Gelsenkirchen-Schalke. Wie eine junge Mutter mit ihren zwei Töchtern im eigenen Auto nach Gelsenkirchen floh. Und warum sie hier immer noch nicht aufatmen kann.
Ein Flüchtling? Das waren immer andere, irgendwo weit weg. Nun ist Olena Molodchenko (34) selbst auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine und heilfroh, in Sicherheit zu sein: in Gelsenkirchen. Sechs lange Tage war sie unterwegs mit ihrem Suzuki, an Bord fünf Kinder und Jugendliche, jedenfalls bis Warschau. In Schalke könnte sie nun endlich schlafen in der Wohnung von Familie Aptekar. Doch keine Chance. Während ihre zwei Mädchen neben ihr liegen, halten die Sorgen um ihre Familie in der Heimat sie wach.
Sie wirkt etwas blass und mitgenommen, als sie im Horster Pfarrzentrum St. Hippolytus in gutem Englisch von ihrer Flucht erzählt: Ihr Vater war es, der sie am ersten Tag der russischen Invasion dazu drängte, das Land zu verlassen, auch um seiner Enkelinnen Ivanna (8) und Mirra (6) willen. Er war es, der sie bereits am ersten Kriegstag, 24. Februar, zur Tankstelle schickte und alles andere organisierte: Lebensmittel und Getränke, Ausweisdokumente, Kleidung. „Er hat an alles gedacht“, sagt Olena Molodchenko dankbar und kämpft mit den Tränen.
Ukrainerin hält von Gelsenkirchen aus die Verbindung zu ihrer Familie im Kriegsgebiet
So richtig durchzuatmen, fällt ihr sichtlich schwer. Die Anspannung der letzten Tage steckt ihr noch in den Knochen: „Zwei Tage lang standen wir in einer Autoschlange, bis wir endlich an die Grenze zu Polen kamen. Von dort aus ging es nach Warschau, wo eine befreundete Familie aus Spanien die drei Jugendlichen in Empfang nahm, die von meinen Eltern als eine Art Pflegefamilie betreut worden waren.“
Denn ihre Eltern wollten wegen der pflegebedürftigen, an Krebs erkrankten Oma in Irpin bleiben, in jenem Vorort von Kiew, der gerade unter massivem russischen Beschuss steht. „Was ich an Bildern von dort bekomme, erkenne ich fast nicht mehr wieder. Alles ist zerstört, und vor unserem Haus stehen Putins Panzer.“
Gelsenkirchener Familie wurde durch Gemeinde-Netzwerk auf Hilferuf aufmerksam
So richtig durchzuatmen, fällt ihr sichtlich schwer. Die Anspannung der letzten Tage steckt ihr noch in den Knochen: „Zwei Tage lang standen wir in einer Autoschlange, bis wir endlich an die Grenze zu Polen kamen. Von dort aus ging es nach Warschau, wo eine befreundete Familie aus Spanien die drei Jugendlichen in Empfang nahm, die meine Eltern als eine Art Pflegefamilie betreut hatten.“
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In Polen wurden die erschöpften Kriegsflüchtlinge dann von ihnen völlig Unbekannten abgeholt, die sie erst einmal in ihrer Privatwohnung ausschlafen ließen. Vermittelt hatte dies der Gelsenkirchener Aptekar, selbst in der Ukraine geboren, seit 20 Jahren Pastor in der Christlichen Freikirche Lebendiges Wort in Schalke und ständig im Austausch mit Gläubigen (nicht nur) in seiner früheren Heimat. Über dieses Netzwerk hatte er von der Flucht der jungen Mutter erfahren und sich bereit erklärt, sie und ihre zwei Kinder aufzunehmen („sie brauchten Hilfe, also helfe ich“). Auch für zwei weitere Ukrainer (80) rückte die Familie Aptekar zusammen.
Schlechtes Gewissen plagt junge alleinerziehende Mutter aus der Ukraine
Hier in Gelsenkirchen ist der 34-Jährigen der Krieg fast genauso nah wie zuvor. „Ich kann an nichts anderes denken; ich erfahre jeden Tag von immer mehr Angehörigen, Freunden und Bekannten, die bei den Angriffen getötet wurden. Die Russen zielen auf Zivilisten, sogar auf Kinder“, berichtet sie und wird still.
„Sie hat ein schlechtes Gewissen, hier in Sicherheit zu sein, während andere in Lebensgefahr schweben. Erst gerade hat sie die Nachricht vom Tod eines Neffen erhalten. Er wurde in seiner Wohnung von einer Bombe getroffen“, bringt Alfred Aptekar die Gefühle der alleinerziehenden Mutter auf den Punkt.
Dass ihre Eltern es samt kranker Oma es doch noch raus geschafft haben aus Irpin, ebenso ihre Schwestern und deren Kinder: Darüber ist sie sehr erleichtert. „In dem Dorf im Westen der Ukraine sind sie erst einmal sicher, dort gibt es auch genug Lebensmittel, Wasser und Strom. Aber wer weiß, wie sich diese Situation entwickelt.“ Am liebsten würde sie lieber heute als morgen zurückkehren in ihr altes Leben als selbstständige Textil-Designerin. Doch sie ahnt: Bis dahin wird es womöglich noch sehr lange dauern.
Die Pfarrei St. Hippolytus in Horst unterstützt die Christliche Freikirche in Schalke materiell und finanziell bei deren Hilfe für ukrainische Flüchtlinge (Pfarrer Wolfgang Pingel: „Es ist uns ein Herzensanliegen“). Sie bittet um Spenden, die an Gemeinden im Kriegsgebiet weitergeleitet werden, damit diese Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen können. Kontoinhaber: Lebendiges Wort Christliche Freikirche (IBAN: DE10 3606 0591 0001 2429 57, Verwendungszweck: Ukrainehilfe).