Gelsenkirchen. Justizminister Marco Buschmann mahnt im WAZ-Interview beim Thema Corona „mildere Eingriffe in die Grundrechte“ an. Impfpflicht nur für Ältere?
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mahnt in der Debatte um die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht einen „milderen Eingriff in die Grundrechte“ an. Was er damit meint und für welchen Kurs er in der Pandemiebekämpfung wirbt, erklärt der Gelsenkirchener, im Interview mit Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, und Sinan Sat, Leiter der WAZ Lokalredaktion in Gelsenkirchen.
Herr Minister, bekanntlich stehen Sie einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 kritisch gegenüber. Machen wir jetzt nicht wieder den Fehler, uns aufgrund einer akuten Entspannung der Lage in falscher Sicherheit zu wiegen? Was ist, wenn im Herbst ein neues Virus kommt und die Impfquote ist nicht hoch genug?
Buschmann: Ich werbe dafür, dass jeder sich impfen lässt, um sich selbst zu schützen, aber auch sein Umfeld. Aktuell weisen uns Rechenmodelle für die kommenden Wochen einen guten Weg. Wenn die Gefahr einer Überlastung unseres Gesundheitswesens immer stärker schwindet, entfällt die Begründung für massiven Grundrechtseingriffe der letzten Monate. Und das nimmt natürlich auch Einfluss auf die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht.
Sie sind also für eine Impfpflicht ab 50?
Buschmann: Eine Impfpflicht ist ein tiefer Grundrechtseingriff. Ob er gerechtfertigt ist, ist eine komplexe medizinethische Frage. Das muss im Parlament im Rahmen einer Gewissensentscheidung beantwortet werden. Genau dafür habe ich geworben und genauso wird es kommen. Als Justiz- und Verfassungsminister muss ich aber auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinweisen. Wenn nach Aussagen von Experten und sogar einiger Initiatoren der Gesetzentwürfe eine Impfpflicht ab 50 in etwa so effektiv wäre wie eine Impfpflicht ab 18, dann sollte meiner persönlichen Meinung nach der mildere Eingriff in die Grundrechte gewählt werden.
Weil der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die einrichtungsbezogene Impfpflicht faktisch aussetzen wollte, haben Sie ihn indirekt der Tyrannei bezichtigt. Haben Sie da nicht überzogen?
Buschmann: Nein, denn der Begriff der Tyrannei beschreibt ja seit mehr als 2000 Jahren Machthaber, die sich selber nicht an Recht und Gesetz gebunden fühlen.
Entschuldigung, wir reden über Markus Söder.
Buschmann: Wenn ein Inhaber staatlicher Macht einen expliziten Rechtsbruch ankündigt, dann ist das völlig inakzeptabel.
Wie akzeptabel ist es denn, wenn ein Bundestagsvizepräsident auf geltendes Recht pfeift? Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki war ja offenbar stolz darauf, während des Lockdowns illegal in einer Kneipe gewesen zu sein.
Buschmann: Die Bindung an Recht und Gesetz gilt für alle. In einem Rechtsstaat müssen sich aber gerade die Inhaber exekutiver Gewalt in gesteigerter Weise daran gebunden fühlen und dürfen auch diesbezüglich keinerlei Zweifel aufkommen lassen.
Am 19. März enden zunächst alle bisherigen Anti-Corona-Maßnahmen. Wieso sprechen Sie nicht mehr vom „Freedom Day“? Das war doch zeitweise der Lieblingsbegriff prominenter FDP-Politiker.
Buschmann: Dieser Begriff ist ja aufgeladen und durch den Schmutz gezogen worden von Leuten, die mit Freiheit nichts zu tun haben. Es geht mir darum, dass wir die tiefgehenden Einschränkungen in das Leben der Menschen zurücknehmen, sobald das verantwortbar möglich ist. Dass in unserer Gesellschaft eine große Sehnsucht nach Freiheit herrscht, freut mich.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst fordert vom Bund eine Rechtsgrundlage für einen Corona-Basisschutz ab dem 20 März.
Buschmann: Gegenwärtig kann ich mir nur die Fortsetzung von Maßnahmen vorstellen, die besonders wirksam und zugleich gering in ihrer Eingriffsintensität sind. Wir sollten dabei vor allem die besonders vulnerablen Gruppen im Blickt behalten, etwa über Testkonzepte und Maskenpflicht in Seniorenheimen. Die Entscheidung liegt in den Händen der Fraktionen im Bundestag.
Ihre Partei war nicht einverstanden damit, dass das RKI den Genesenenstatus im Alleingang von sechs auf drei Monate reduziert hatte. Ihr designierter Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat RKI-Chef Lothar Wieler quasi das Vertrauen entzogen. Sollte Wieler zurücktreten?
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Buschmann: Die Art und Weise, wie die Verkürzung des Genesenenstatus zustande gekommen ist, war inakzeptabel und hat zu viel Verwirrung geführt. Mir ist wichtig, dass wir das nun zurück ins Parlament holen und klare Regeln im Gesetz treffen.
Sollte Wieler zurücktreten?
Buschmann. Das muss Herr Lauterbach entscheiden.
Und Ihr Vertrauensverhältnis zu Lauterbach sieht wie aus?
Buschmann: Ich habe ein sehr viel besseres Verhältnis zum Bundesgesundheitsminister, als viele glauben. Wir haben beide große Freude daran, mit dem Argument zu arbeiten. Wir sind häufig unterschiedlicher Meinung, aber diskutieren respektvoll miteinander. Das gemeinsame Ziel möglichst guter Entscheidungen profitiert von engagierten Debatten.
Sie mögen sich?
Buschmann: Wenn Herr Lauterbach mit seinen Kurvendiagrammen kommt, dann schreckt mich das nicht ab. Im Gegenteil. Ich mag Daten und Fakten.
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