Gelsenkirchen-Beckhausen. Welche Lösung ein Gutachter der Stadt Gelsenkirchen nun für Schaffrath vorschlägt. Und warum die schon jetzt wieder überholt ist.

„Unterdurchschnittlich“, „defizitär“, „katastrophal“: In der jüngsten Sitzung der Bezirksvertretung West wurden viele Adjektive bemüht, um die Nahversorgungssituation in Schaffrath zu beschreiben. Was die Anlieger längst wissen, hat nun ein Standortgutachten bestätigt. Es zeigt allerdings auch Lösungsansätze auf – die freilich schon bei der Vorstellung der Studie überholt waren. Und so taten sich die Politiker noch schwerer damit, für Aldi an der Braukämperstraße eine Veränderungssperre zu beschließen.

Ein rund 400 Quadratmeter großer, fußläufig erreichbarer Supermarkt an der Giebelstraße und eben jener Aldi mit 800 Quadratmetern Verkaufsfläche am äußersten Rand des Ortsteils, der von den allermeisten Kundinnen und Kunden nur per Pkw angesteuert und wegen seiner Lage gar nicht erst als Nahversorger eingestuft wird: das war’s an Einkaufsmöglichkeiten für die rund 3200 Schaffrather.

Gutachter schlägt Stadt Gelsenkirchen ein Kirchengrundstück für Nahversorger vor

Zwischen Autobahn A  2, Rungenberghalde und landwirtschaftlichen Flächen liegt Schaffrath (obere Bildhälfte) als Ortsteil von Gelsenkirchen-Beckhausen. Die Nahversorgungssituation ist laut Gutachter „defizitär“.
Zwischen Autobahn A  2, Rungenberghalde und landwirtschaftlichen Flächen liegt Schaffrath (obere Bildhälfte) als Ortsteil von Gelsenkirchen-Beckhausen. Die Nahversorgungssituation ist laut Gutachter „defizitär“. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Als potenzielle Entwicklungsfläche für die Ansiedlung eines Nahversorgers hat das Beratungsbüro Cima das 5800 Quadratmeter große Grundstück der aufgegebenen Heilig-Geist-Kirche an der Giebelstraße ausgemacht. Im Erdgeschoss könnte ein 800 Quadratmeter großer Supermarkt Platz finden; in den darüberliegenden Geschossen seien Wohnungen denkbar, so die Idee.

Dass mit dem Grundstücks-Eigentümer, der Pfarrei St. Urbanus, nicht über das Gedankenspiel gesprochen wurde, darauf wies das Gutachterbüro ausdrücklich hin.

Gelsenkirchener SPD-Politikerin: Lösung ist gut, kommt aber zu spät

Nur realisieren lässt es sich offensichtlich nicht: „Die Idee ist gut, kommt aber zu spät“, so SPD-Bezirksverordnete Ingrid Husmann. Denn die Pfarrei habe ihr Grundstück bereits an einen Bauträger verkauft, der dort Wohngebäude plane.

Ausschuss und Stadtrat haben das letzte Wort

Nachdem die Bezirksvertretung West ein Votum zum Bebauungsplan „Gewerbegebiet südlich Braukämperstraße“ abgelehnt hat – es hätte sich ohnehin um eine Anhörung gehandelt –, haben der Stadtentwicklungs- und Planungsausschuss (Stepla) sowie der Rat das letzte Wort.

Der Stepla ist am Mittwoch, 23. Februar, mitbeteiligt an der Vorberatung, der Rat entscheidet am Donnerstag, 24. Februar, über den Satzungsbeschluss. Es ist der letzte Akt im Bebauungsplan-Verfahren.

Frank Lamfried, Abteilungsleiter Bebauungsplanung und städtebauliche Projektentwicklung, ergänzte: Die Stadt habe bei dem neuen Eigentümer Deutsche Reihenhaus bereits angefragt, ob dieser bereit sei, das Gelände an eine Einzelhandelsgesellschaft zu verkaufen. Leider erfolglos.

Alternative auf Landwirtschaftsfläche in Gelsenkirchen nicht realisierbar

Während Mirco Kranefeld, Vorsitzender der Bezirksfraktion der Grünen, die neueste Entwicklung als „herben Nackenschlag für Schaffrath“ einstufte, regte CDU-Fraktionsvorsitzender Franz-Josef Berghorn an, doch eine landwirtschaftliche Fläche für die Ansiedlung eines Supermarkts zu nutzen. Kollegin Husmann wusste gar von der Verkaufsbereitschaft eines Bauern nahe der Gecksheide zu berichten, wurde von Stadtplanerin Michaela Klee aber gebremst: „Eine Bebauung dort ist nicht möglich, weil es sich um einen regionalen Grünzug handelt.“

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Vor diesem Hintergrund gewann die Diskussion um den letzten Verwaltungsakt in Sachen Bebauungsplan „Gewerbegebiet südlich Braukämperstraße“ besondere Brisanz. Was die Stadt als Beschlussvorschlag vorlegte, war der Ausschluss von Handel mit nahversorgungs- und zentrenrelevanten Kernsortimenten – so, wie es das Einzelhandelskonzept in Gewerbegebieten vorsieht, welches wiederum Bundes- und Landesgesetze präzisiert. Für Aldi gälte zwar Bestandsschutz, eine Vergrößerung aber von aktuell 800 auf knapp 1300 Quadratmeter Verkaufsfläche, wie in einer Bauvoranfrage beantragt, wäre dann nicht möglich.

Gelsenkirchener Politik fürchten, dass Aldi den Standort Beckhausen verlassen könnte

Die Sorge, dass die Discounterkette den Standort dann verlassen könnte, ist groß. „Deshalb sollte Aldi möglichst erhalten bleiben, erst recht wenn kein anderer Nahversorger angesiedelt werden kann“, regte Berghorn an, die Stadt solle „mit Aldi Kontakt aufnehmen und eine ausgleichende Lösung finden; vielleicht ist Aldi ja mit etwas weniger Quadratmeter Verkaufsfläche zufrieden.“

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Auch Ingrid Husmann sprach sich dafür aus, „die Nahversorgung zu verbessern und Aldi zu sichern.“ Kranefeld hingegen bekräftigte seine Position, „wir sollten uns dem Druck von Aldi nicht beugen; keiner zwingt den Discounter dazu, die Filiale aufzugeben.“

Während Lamfried eindringlich appellierte, nicht hinter dem aktuellen Rechtsstand zurückzubleiben – eine Klage von Aldi gegen die Ablehnung seiner Bauvoranfrage war Ende Januar abgewiesen worden –, votierte eine große Mehrheit des Gremiums am Ende für den SPD-Antrag, ein weiteres Mal nicht über die Vorlage abzustimmen. Die Grünen enthielten sich.

Wie es nun mit der Nahversorgung in Schaffrath weitergeht

Wie es jetzt weiter geht mit der Nahversorgung in Schaffrath? Auf Anfrage der Redaktion erklärte die Stadt: „Die Verwaltung hätte es begrüßt, wenn das Kirchengrundstück für eine Einzelhandelsansiedlung verfügbar gewesen wäre. Allerdings wäre damit nicht garantiert, dass es dann auch zu einer Ansiedlung gekommen wäre.“

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Tatsächlich seien in Schaffrath „keine geeigneten Grundstücke für eine marktadäquate Ansiedlung eines Lebensmittelmarktes vorhanden“. Nur durch die Aufgabe vorhandener Nutzungen sei eine entsprechende Fläche bereitzustellen. Die Verwaltung selbst könne keine solchen Flächen schaffen.

Sie sieht allerdings den Bebauungsplan-Beschluss als unerlässlich an, um die Voraussetzung für eine Ansiedlung zu schaffen. „Denn dies hat der Gutachter deutlich gemacht: eine Ansiedlung eines Nahversorgers ist nicht mehr tragfähig, wenn der Discounter an der Braukämperstraße erweitert.“ Es bleibe Aldi überlassen, den bisherigen Betrieb aufrecht zu erhalten. Wegen bereits laufender Investitionsmaßnahmen gehe die Stadt auch davon aus.