Gelsenkirchen-Ückendorf. Warum die Zukunft eines Sportplatzes im Gelsenkirchener Süden die Gemüter hochkochen lässt: Wir bringen Ordnung in die Konfliktlinien.
Es dürfte aktuell kaum ein Grundstück im Gelsenkirchener Süden geben, dessen Zukunft solche Interessenskonflikte auslöst: An der Dessauerstraße in Ückendorf, umgeben vom Wertstoffhof, Aldi und Netto, dem Frischezentrum und in Nachbarschaft des Reitvereins ETuS, liegt ein Fußballplatz, der die vielen Akteure beschäftigt. Soll dort eine Gewerbehalle entstehen oder eine „grüne Insel“? Soll dort der Reitverein oder ein Geschäftsmann expandieren? Ein Ordnungsversuch.
Der Eigentümer: Verkauf als gesetzliche Aufgabe
Der Sportplatz und die an den Reitverein ETuS vermietete Anlage daneben sind im Besitz des Bundeseisenbahnvermögens (BEV). Zur Nutzung des Fußballplatzes besteht ein Vertrag mit dem Fußballverein ETuS 1934, Namensvetter des Reitvereins. Wie es beim BEV auf Nachfrage heißt, habe man „die gesetzliche Aufgabe, langfristig sämtliche eigenen Liegenschaften zu veräußern“. Dies gelte auch für die Dessauerstraße. Konkreteres zu möglichen Verkaufsplänen teilte man nicht mit. Allerdings hatte man bei der Stadt und bei Gelsensport offenbar deutliche Signale wahrgenommen, dass ein Verkauf bevorsteht – und mit den ansässigen Fußballern das Gespräch für einen Umzug ins Südstadion gesucht.
Der Reitverein ETuS: Ist seine Zukunft gefährdet?
Als Monika Patryas vom Reitvereins ETuSim April 2021 in der WAZ vom geplanten Verkauf des Sportplatzes las, sei sie beinahe aus den Schuhen gekippt. Erst recht als sie dann erfuhr, dass es um eine Gewerbehalle auf der Fläche gehen soll. „Mit uns hatte niemand geredet“, sagte sie als Mitmieterin der Anlage – und setzte ihren Protest in Gang. Für sie steht nicht weniger als die Existenz des Vereins auf dem Spiel: „Unter der zunehmenden Bebauung und der damit verbundenen Lärmbelästigung ist die Ausübung unseres Reitsports und die Durchführung des Reitunterrichts nicht mehr möglich“, heißt es in einer von rund 1680 Personen unterschrieben Petition des Vereins, der den Sportplatz für Turniere und Feste genutzt hat. ETuS würde sich gerne erweitern und den Platz als Reit- und Weidefläche nutzen. Patryas argumentiert, dies sei nicht nur aus ökologischen, auch aus sozialen Gesichtspunkten sinnvoll: ETuS führe als einziger Reitverein im Süden viele weniger gut betuchte Familien ans Reiten heran. Lesen Sie mehr: Darum bangt ein Gelsenkirchener Reitverein um seine Zukunft
Der Fußballverein: Nicht ganz glücklich
Gemischte Bilanz beim ETuS Gelsenkirchen 1934, dessen Umzug von der Dessauerstraße zum Südstadion der SG Eintracht 07/12 mittlerweile einige Monate her ist: Mit den Vereinskollegen komme man zwar gut klar, „aber von dem, was uns versprochen wurde, ist nichts passiert“, sagt der Vereinschef Peter Schreiner. Ein Beispiel sei die Flutlichtanlage vom alten Platz. „Da wollte man eigentlich prüfen, ob die mit umziehen kann, aber passiert ist da nichts.“ Von Gelsensport, der Stadt und Politik fühlt sich Schreiner alleine gelassen. „Es wird viel geredet, geholfen wird uns nicht.“ Auch wenn die Sportler bereits umgezogen sind: Gekündigt werden soll der Vertrag mit dem BEV erst, wenn die Fläche verkauft wurde.
Der Geschäftsmann: Zwischen Betrieb und Sport
Erhan Baz, Geschäftsführer der Halal-Schnellrestaurant-Kette „Mr. Chicken“ mit Hauptsitz an der Dessauerstraße, würde die Fläche gerne zum Teil gewerblich, aber auch für ein „Judo-Talentförderungszentrum“ nutzen, wie der ehrenamtliche Präsident des JC Koriouchi Gelsenkirchen auf Nachfrage mitteilt. Dass er, wie oft seitens der Gegner seiner Pläne behauptet wird, dort eine Fabrik für Fleischverarbeitung errichten will, dementiert er. Auch wehrt er sich dagegen, öffentlich als „Investor“ bezeichnet zu werden, aus seiner Sicht ist Baz lediglich „der Initiator“, weil er als erstes Interesse für eine konkrete Nutzung der Fläche bekundet habe. Dass er den Zuschlag auch erhalte, sei nicht sicher. Wie die WAZ von der Stadt erfuhr, liegt für ein Vorhaben wie das von Baz geplante eine positive Bauvoranfrage vor. Das heißt: Bescheinigt wurde, dass die gewerbliche Nutzung des Grundstücks möglich ist.
Der Supermarkt: Passt nicht ins Konzept
Interesse an der Bebauung des Sportplatzes hat auch Aldi. Der Discounter hat bereits eine kleinere Filiale an der Dessauerstraße 51, würde sich aber gerne von 800 auf etwa 1270 Quadratmeter vergrößern. Das widerspricht allerdings dem städtischen Einzelhandelskonzept, wie die Verwaltung erst in der letzten Sitzung des Stadtrates bekräftigt hatte. Aldi kann seine Pläne also (erst einmal) nicht verwirklichen.
Fridays for Future: Fläche ökologisch aufwerten
Die Ortsgruppe von „Fridays for Future“ (FFF) unterstützt den Reitverein. Im Dezember demonstrierten die Klimaaktivisten bereits gegen die mögliche Versiegelung des Geländes. Bei FFF macht man darauf aufmerksam, dass die Sportanlage im Freiflächenentwicklungskonzept der Stadt den „Grünen Inseln Ückendorf“ zuzurechnen ist und deswegen auch als solche ökologisch aufgewertet werden sollte. Rechtlich bindend ist das Konzept allerdings nicht.
Die Anwohner: Nicht noch mehr Unruhe bitte
Unterstützt wird der Reitverein auch von einer Anwohnerinitiative, der nach eigener Angabe mittlerweile über 40 Wohneinheiten angehören. Für sie steht „die Erhaltung der Wohn- und Lebensqualität im Stadtteil im Mittelpunkt“, sagt Ückendorferin Heike Roscher. Ihre Sorge: Sollte noch mehr Gewerbe an die Dessauerstraße kommen, werde die bereits stark frequentierte Straße noch weiter durch Lieferverkehr und Abgase belastet. Sollte „Mr. Chicken“-Chef Erhan Baz hier investieren dürfen, befürchten sie, könne er seinen Standort vor Ort „in eine riesige Fläche verschmelzen“. Ein solcher Großmarkt vor der Haustür könne für die Eigentümer vor Ort eine Wertminderung ihrer Immobilien zur Folge haben, so die Sorge.
Die Politik: Altlastenproblematik berücksichtigen
In der Politik macht man sich Sorgen um die Altlastenproblematik durch eine einstige Destillationsanlage auf dem Sportgelände, es soll um krebserregende Stoffe im Boden und mögliche zukünftige Gefahren fürs Grundwasser gehen. Dies müsse bei der Nutzung der Fläche mitberücksichtigt werden, heißt es etwa von Grünen und SPD. Aus Sicht der städtischen Umweltbehörde ist es übrigens problematisch, wenn zu sehr in den Boden eingegriffen wird.
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Die Grünen hatten die Kompromissfindung an der Dessauerstraße in der WAZ als ihr wichtigstes politisches Ziel für 2022 formuliert. „Wir müssen die Interessen von Investor und Reitverein unter einen Hut bekommen. Leider sehen wir nicht, dass die Stadt da um einen Ausgleich bemüht ist“, kritisiert Jan Philip Schaaf, der für die Partei in der Bezirksvertretung Süd sitzt. Für David Fischer, Ratsherr der Grünen, ist die positive Bauvoranfrage für eine gewerbliche Nutzung der Fläche kein reiner Verwaltungsakt. Für ihn liegt, auch hinsichtlich der spärlichen Einbindung des Reitvereins, „die Vermutung nahe, dass Gespräche mit Investoren hinter geschlossenen Türen geführt worden sind.“ Aus Sicht der Grünen gebe es genug Möglichkeiten, Erhan Baz andere Grundstücke anzubieten. Silke Ossowski von der SPD will die Rolle der Stadt nicht überbewerten, man müsse klären, welches Interesse die BEV als Eigentümer überhaupt habe.