Die Pandemie hat die Welt verändert und das Leben. Vor besonderen Herausforderungen stehen Menschen, wenn sie Impfgegner im Freundeskreis haben.

„Als ich Kanzler Olaf Scholz habe sagen hören, Deutschland ist nicht gespalten, da habe ich nur gedacht, nein. Nie war das Land so gespalten wie heute“, sagt ein junger Bueraner. Der Mittzwanziger weiß, wovon er spricht. Die Spaltung nämlich erlebt er ganz persönlich. Er hat seine beste Freundin verloren. „Ich bin sehr traurig. Und es tut mir noch mehr weh, dass ich ihr Kind, mein Patenkind, nun nicht mehr sehen kann.“

Zu Beginn der Pandemie haben sich die beiden noch oft getroffen. In dieser Zeit findet auch die Taufe statt. Man fühlt sich eng verbunden. Jedoch: „Sie war ohnehin immer recht konservativ. Das hat sich dann immer mehr gesteigert. Es war ein langer Prozess, den ich zuerst gar nicht realisiert habe. Ich wollte einfach nicht glauben, dass meine beste Freundin eine Querdenkerin ist.“

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Wer das selbst erlebt hat, der weiß, wie schmerzhaft dieser Prozess ist, wenn sich ganz unerwartet solche Gräben auftun, Positionen immer weiter auseinander driften. Wer über solche Erlebnisse der Entfremdung spricht, das macht die Vorbereitung dieses Artikels rasch deutlich, mag das nur anonym tun. Weil es ja auch um andere geht. Weil man durch die Nennung des eigenen Namens den Graben nur vertiefen würde. Vielleicht könnten Leser dadurch erspüren, um wen es geht. Denn jene, die hier erzählen, kommen aus der Mitte der Gesellschaft.

Ein Erlebnis, das Spuren hinterlassen hat

Die Freundschaft aufgeben, das will der Bueraner aber nicht sogleich. „Aber unsere Diskussionen wurden immer heftiger. Sie argumentierte, meinte, ihre Positionen belegen zu können. Ich habe dann dagegen gehalten. Aber sie wurde immer persönlicher und verletzender. Und wenn dich jemand gut und lange kennt, dann kennt er eben auch deine Schwachpunkte.“ Es bleibt nur eins: „Heute haben wir gar keinen Kontakt mehr. Wenn ich online sehe, was sie postet, bin ich nur schockiert, was so etwas mit einem Menschen machen kann. Es ist so traurig.“

Ein Erlebnis, das bei dem jungen Mann Spuren hinterlassen hat. „Ich spüre, dass ich Menschen nicht mehr so schnell vertrauen kann. Für mich war es schlimm, zu erleben, dass alles, was man nur aus dem Fernsehen kannte, auf einmal so nah war. Meine Angst ist, dass das alles extremer wird. Wir erleben gerade, was sich auch in Amerika abspielt – nur nicht so extrem.“

„Das ist schon sektenartig“

Auch eine Bueranerin hat die Erfahrung gemacht, dass Unterschiede in der Bewertung der Pandemie eine Freundschaft belasten. Sie gehört einer anderen Generation an, ist Mutter. „Das Thema spaltet total“, erzählt sie von regelrechten „Bekehrungsversuchen“ einer guten Freundin. „Das ist schon sektenartig.“ Ihre Freundschaft aber will sie nicht aufgeben. „Wir sprechen noch miteinander. Aber ich spüre, man redet sich immer wieder in Rage. Dann blocke ich ab.“ Für sie bleibt nur ein Weg: das Thema umschiffen.

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Sie setzt selbst auf Toleranz. Jeder könne doch selbst entscheiden, wie er mit Corona umgehe. So lange das Privatsache sei, nicht andere dadurch geschädigt werden. Ihre Hoffnung ist, dass sich durch eine deutliche Verbesserung der pandemischen Lage dieser Streitpunkt bald erledigt habe. „Und ich glaube, wir haben das dann alle ganz schnell vergessen.“ Im Kleinen und in der gesamten Gesellschaft.

Ein ansonsten intelligenter und belesener Freund

Und dann ist da noch ein dritter Gelsenkirchener, der kaum fassen kann, wie sich sein Bekannter immer mehr radikalisierte je länger die Pandemie dauerte. „Über einzelne Maßnahmen diskutieren, Sinn und Unsinn mancher Verordnungen kritisch hinterfragen, unterschiedlicher Meinung bei der Frage nach einer Impfpflicht sein - all das ist ja kein Problem. Aber wenn ein ansonsten intelligenter und belesener Freund auf einmal anfängt abgefahrene Verschwörungstheorien über den vermeintlich echten Grund für die Impfungen zu verbreiten (Stichwort: Genveränderungen und Komplott der Pharma-Industrie), dann reißt in dieser Freundesbeziehung etwas, von dem ich mir nicht sicher bin, ob es jemals wieder zusammenwachsen kann“, berichtet der der Mittdreißiger von seinen Erfahrungen.

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Den Kontakt zu seinem Freund hat er abgebrochen. Und das nicht nur, weil der ungeimpfte Freund sich weigerte, vor einem Treffen einen Coronatest zu machen. Jedes Zusammenkommen, jedes Gespräch sei außerdem früher oder später an einen Punkt gekommen, an dem es um Corona ging. „Und das führt zu nichts“, so der Gelsenkirchener. Dass der Eine den Anderen für ein willenloses Lämmchen hält, „das von einem weltweiten Kartell aus Politik und Pharmaindustrie zur Schlachtbank geführt wird“ und der Andere seinen einstigen Weggefährten für hoffnungslos verloren hält im Netz von Falschnachrichten und Hetzern, das werden beide wohl auch nach der Pandemie „nicht mehr vergessen können.“

Deutschland mag angesichts einer großen Mehrheit von Impf- und Maßnahmenbefürwortern also möglicherweise nicht in der Mitte gespalten sein, die Trennlinien verlaufen aber dennoch auch mitten durch Familien und Freundschaften.