Gelsenkirchen. Am Ricarda-Huch-Gymnasium Gelsenkirchen gibt es jetzt ein Sinfonieorchester mit Siebtklässlern. Warum das viel mehr als nur Musiktalent fördert.

Ein Sinfonieorchester mit Siebtklässlern, die gerade erst ein Instrument spielen gelernt haben: Das klingt mutig? Ist es auch. Aber es macht ganz offensichtlich Spaß und spornt an, jedenfalls diese jungen Musikerinnen und Musiker am Ricarda-Huch-Gymnasium. Im Rahmen des Talentschulangebotes bekommen alle Jungen und Mädchen Instrumentalunterricht, anfangs in einer Bläser-, Streicher- oder Percussionsklasse. Eine Stunde pro Woche, die in Corona-Zeiten leider nicht selten ausfallen oder virtuell laufen musste. Bratsche spielen lernen im Distanzunterricht – das muss man wollen.

Geduld, bis sich dem Instrument der erste Wohlklang entlocken lässt

Doch die meisten Schüler hier wollten das offenbar, sogar sehr. Und so spielen sie bereits nach weniger als zwei Schuljahren gemeinsam im Orchester. Geigen, Bratschen, Celli, Saxophone, Tuba, Trompete, Querflöte, Vibraphone, Drums und mehr. Bis so ein Saxophon sich einen wohlklingenden Ton entlocken lässt, braucht es Geduld und Ausdauer. Semih weiß das aus eigener Erfahrung, entmutigen ließ der Zwölfjährige sich aber nicht. Und so spielt auch er heute mit beim „Fiddle Kids Rag“. Nur zwei der mehr als 30 Musizierenden haben vorher überhaupt je ein Instrument gespielt.

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Tuba spielen ist nicht nur anstrengend, sondern auch von der Technik her schwierig.
Tuba spielen ist nicht nur anstrengend, sondern auch von der Technik her schwierig. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Auch Streichinstrumente zählen nicht gerade zu jenen, bei denen der Wohlklang sich quasi von allein ergibt. Und doch sind auch hier die Schüler dabei geblieben. Sham (12) hält ihre Bratsche, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie lernt das Spielen besonders schnell, aber auch ihre Mitstreiterinnen – fast nur Mädchen wagten sich an Geige, Cello und Co – üben fleißig und gerne, täglich, wie sie versichern.

Instrumente stellt die Schule

Die Instrumente stellt eigentlich die Schule, die Cellisten bekommen sogar eines für daheim und eines für die Schule, weil der Transport so schwierig ist. Melisa hat aber bereits eine eigene Geige, im Sommer von Mama geschenkt bekommen. Und übt nun nach eigenen Angaben täglich, wie ihre Mitstreiterinnen ebenfalls für sich versichern.

Vorwiegend Jungen bei den Percussions-Instrumenten

Belkis (links) und Mata haben sich fürs Saxophon entschieden.
Belkis (links) und Mata haben sich fürs Saxophon entschieden. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

An den Percussions-Instrumenten – mit Ausnahme des Schlagzeugs – sitzen vorwiegend Jungen, die Bläser sind gemischt besetzt. Seit sechs Wochen erst üben sie als Orchester den „Fiddle Kids Rag“, erstmal gilt es, zusammen zu finden. Es klingt noch nicht lupenrein, was die heute gut 30 Musiker zählende Formation spielt. Aber in jedem Takt ist hörbar, wie engagiert diese Musiker bei der Sache sind. Und genau darum geht es. Was fehlt, sind Auftrittsmöglichkeiten. Nur beim Tag der offenen Tür gab es dazu Gelegenheit, alles andere inklusive Weihnachten musste pandemiebedingt ausfallen.

Fast alle wollen dabei bleiben

Lea Dietrich, die ebenso wie Anna Maria Stiefermann an der Folkwang-Hochschule in Essen mit dem Schwerpunkt Orchesterleitung studiert hat und mit ihr das neue Orchester leitet, ist beeindruckt vom Engagement der Schülerinnen und Schüler. Im nächsten Schuljahr, wenn die aktuellen Schüler im achten Jahrgang sind, wäre die Orchesterteilnahme freiwillig, nicht mehr Bestandteil des Regelstundenplans. Auf die Frage, wer denn dann im nächsten Jahr weitermachen möchte, gehen beim Besuch der WAZ bei der Probe die allermeisten Finger hoch.

Schulleiter: Die Erfolgserlebnisse stärken das Selbstvertrauen und motivieren zum Lernen

Der Schulleiter Michael Frey sieht das Orchester als wichtigen Baustein der Talentförderung im Haus. „Die Kinder lernen hier, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Sie bekommen relativ schnell Erfolgserlebnisse, die das Selbstvertrauen stärken.“ Und das wiederum wirke sich positiv auf die Lust aus, auch anderes zu lernen und sich etwas zuzutrauen.

Orchesterleiterin Lea Dietrich hat die Bläserklasse betreut. Wenn noch nicht alles perfekt klappt, macht sie den jungen Musikern Mut. Dass sie überhaupt schon soweit sind, im Orchester zu spielen, sei bewundernswert nach der knappen Vorbereitungszeit.
Orchesterleiterin Lea Dietrich hat die Bläserklasse betreut. Wenn noch nicht alles perfekt klappt, macht sie den jungen Musikern Mut. Dass sie überhaupt schon soweit sind, im Orchester zu spielen, sei bewundernswert nach der knappen Vorbereitungszeit. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Bedauerlich finden die Chorleiterinnen, dass aktuell keine Konzertbesuche möglich sind. „In anderen Jahren sind wir mit der Bläser- oder Streicherklasse nach Dortmund ins Konzerthaus gefahren, das ist aktuell nicht möglich. Die meisten haben ja noch nie ein klassisches Konzert gehört, das wäre schon wichtig“, bedauert Anna Maria Stiefermann.

Talentschul-Status ermöglicht Orchesteraufbau

Seit 2019 ist das Ricarda-Huch-Gymnasium Talentschule. Dass Instrumentalunterricht für jedes Kind und auch die Einrichtung des Orchesters möglich ist, hat die Schule auch dieser Tatsache zu verdanken.

Langfristig hoffen Orchesterleiterinnen und Schulleiter auf ein aufwachsendes Orchester, dem auch ältere Schüler treu bleiben, die mit ihrem fortgeschrittenen Können die jüngeren anspornen. Die Instrumente stellt die Schule, sie dürfen auch mit nach Hause genommen werden, damit geübt werden kann.