Das Ricarda-Huch-Gymnasium Gelsenkirchen ist Landessieger im Geschichtswettbewerb. Thema der Neuntklässler: die Nazivergangenheit einer Lehrerin.

Gelsenkirchen. Hildegard Pohl war Lehrerin am Ricarda-Huch-Gymnasium. Mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte haben die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b des Ricarda den Landessieg im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten errungen. Titel ihrer 47-seitigen Arbeit, die sie mit Lehrerin Birgit Langenscheid erstellten: „Die Entnazifizierung von Hildegard Pohl – Mitläuferin oder Schuldige mit Persilschein?“

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Um es vorweg zu nehmen: die „Schuldige mit Persilschein“ trifft den Sachverhalt offenbar besser. Um dieses Urteil fällen zu können, forschten die Schüler in Landes-Archiven, unterstützt auch von der NS-Dokumentationsstätte in Erle. Sie untersuchten, wann die im Jahr 1903 geborene Lehrerin in Organisationen eintrat, die den Nationalsozialisten nahestanden, wie ihre pädagogischen Fähigkeiten waren, wie sie mit Kollegen umging. Das Ergebnis fiel nicht eben positiv für die Lehrerin aus, die nach dem Krieg sogar noch wagte, Entschädigung für die Zeit zu beantragen, in der sie wegen des Entnazifizierungsprozesses nicht arbeiten durfte. Die Zahlung wurde immerhin abgelehnt.

Lehrerin war schon als Studentin 1930 in die NSDAP eingetreten

Birgit Langenscheid, Geschichtslehrerin der Klasse, 9, stieß auf das Thema bei einem Besuch in der Dokumentationsstätte. „Der Nationalsozialismus ist ohnehin Thema in dem Jahrgang. Und als wir auf die ehemalige Lehrerin Hildegard Pohl stießen, hielten wird das für ein gutes Thema für den Wettbewerb ist.“ Das sah auch die Jury der Körber Stiftung so, die den Wettbewerb betreut. Das Motto des aktuellen Wettbewerbs lautete „So geht’s nicht weiter. Krise, Umbruch, Aufbruch.“

Die Schülerin Lara Tiedtke forschte mit ihren Mitschülern von Oktober bis Februar zu Hildegard Pohl. Geschichtslehrerin Birgit Langenscheid betreute die Klasse dabei.
Die Schülerin Lara Tiedtke forschte mit ihren Mitschülern von Oktober bis Februar zu Hildegard Pohl. Geschichtslehrerin Birgit Langenscheid betreute die Klasse dabei. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

Arbeitsteilig machten sich die 25 Gymnasiasten an die Forscherarbeit. Historischer Hintergrund, Ideologie, Folgen oppositionellen Handelns im Beruf und im Privaten, Repressalien für Nicht-Linientreue, die Rolle von nationalsozialistisch geprägten Organisationen: All das trugen die Schüler zusammen, um das Handeln der ehemaligen Lehrerin zu beleuchten.

Den Perspektivwechsel in die 30er Jahre vollzogen

Dabei zeigte sich schnell: Hildegard Pohl war keine Mitläuferin, sondern überzeugte Nationalsozialistin. Rasmus Chaikowski, Sprecher der Klasse: „Wir haben herausgefunden, dass sie schon im Referendariat in verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen engagiert war. Und man hat ihr bescheinigt, dass sie den Schülern das entsprechende Gedankengut engagiert näher bringt.“ Tatsächlich war sie seit 1930 Mitglied der Partei, der Nationalsozialistischen Studentenschaft, hatte eine führende Position in der Frauenschaft, war im NS-Lehrerbund aktiv.

Allerdings haben es sich die Schüler nicht so leicht gemacht, nur nach Mitgliedschaften zu urteilen. „Wir haben den Perspektivwechsel in jene Zeit mitgemacht“, versichert Schülerin Lara Tiedtke. Und auch der Unterschied zwischen juristisch schuldig und moralisch schuldig wurde berücksichtigt.

Unterstützung vom Gauleiter

Rasmus: „Aber bei Hildegard Pohl ist eindeutig, dass sie es nicht nur für die Karriere getan hat, sondern aus Überzeugung.“ Wobei sich auch herausgestellt hat: Ohne Parteiunterstützung hätte sie es mit ihren anfangs sehr schlechten Noten gar nicht in den Lehrerberuf geschafft. Durch die erste Prüfung fiel sie durch, nur durch Fürsprache des Gauleiters wurde sie in den Schuldienst übernommen, während eine Kollegin mit pädagogisch hervorragenden Bewertungen gehen musste – mangels ideologischer Überzeugungen. Und auch der weniger linientreue Schulrektor Dietrich Bruns, der sich nach Kräften mühte, die Indoktrinierung in Grenzen zu halten, wurde deshalb verstärkt zu militärischen Diensten abberufen. Er verstarb nach dem Krieg früh.

Mit Facebook und Twitter ginge es noch schneller

Entscheidung über Bundessieger im Sommer

Als Landessieger wurde die gesamte Klasse mit Lehrerin Birgit Langenscheid von der Körber Stiftung nach Bonn ins Haus der Geschichte eingeladen, das Preisgeld für Landessieger liegt bei 250 Euro. In der nächsten Runde werden nun unter den Landessiegern die Bundessieger ausgewählt.

Diese Entscheidung folgt im Sommer, die Ehrung der Besten ist für den November in Berlin vorgesehen. Sie werden in den Palais Schaumburg eingeladen. Bundesweit forschten 5.600 Schülerinnen und Schüler dafür, 1.992 Beiträge gingen ein.

Hildegard Pohl wurde ein halbes Jahr nach Kriegsende aus dem Schuldienst entlassen. 1949, nach der Entnazifizierung, wurde sie in den Ruhestand versetzt, mit gekürzten Bezügen. 1950 wurde sie nach erneuter Überprüfung entlastet, aber nicht wieder eingestellt.

Und was wäre heute, wenn ein totalitäres Regime an die Macht käme? „Man sieht ja, was geschieht in so einem Klima. Und mit Facebook und Twitter geht die Indoktrinierung und Hetze noch schneller. Aber ich glaube, dass unsere Gesellschaft noch zu aufgeklärt ist, als dass es in diesem Ausmaß möglich wäre“, hofft Rasmus.