Steuerbetrug in Millionenhöhe: Was die Anklage als Strafe fordert und was die Mutter des neugeborenen Kindes des Angeklagten erstmals ausgesagt.
Im Gerichtsprozess um Steuerbetrug in Millionenhöhe gegen einen angeklagten Gelsenkirchener Unternehmer ist die Beweisaufnahme am Dienstag vor der Großen Wirtschaftskammer in Essen abgeschlossen worden. Anklage und Verteidigung stellten in ihren Plädoyers ihre Strafanträge.
Die Staatsanwaltschaft sieht demnach „das auf Täuschung und Schwarzarbeit ausgerichtete Wirken des Angeklagten“ als erwiesen an und forderte im Hinblick auf eine Gesamtschadenssumme von acht Millionen Euro (Steuerschaden: vier Millionen Euro) eine Haftstrafe „von sieben Jahren“ für den 57-Jährigen. Über manipulierte Geldspielautomaten waren über Jahre hohe Summen am Fiskus vorbei in schwarze Kassen gewandert.
Für den mitangeklagten ehemaligen Filialleiter forderte die Anklage eine „Strafe von drei Jahren und sechs Monaten“, für eine langjährige Mitarbeiterin eine Geldstrafe von „90 Tagessätzen à zehn Euro“.
Angestellte des Gelsenkircheners geht Verhältnis mit dem „Big Boss“ ein
Der Verteidiger des Gelsenkirchener betonte in seinem Plädoyer die weitreichenden „sozialen und wirtschaftlichen Folgen“ für den Unternehmer durch den Prozess. Der Anwalt war der Überzeugung, dass die „existenzvernichtenden Folgen“ nach neuneinhalbmonatiger Untersuchungshaft für seinen Mandanten schon ein großes Maß an Sühne darstellen und bat um die Möglichkeit, dass der Unternehmer die Gelegenheit bekommt, „sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“ Mit Blick auf die zu zahlende Wiedergutmachung – bislang sind erst 1,16 Millionen Euro zurückbezahlt worden – forderte der Verteidiger „nicht mehr als drei Jahre Strafe“.
Für die Mitangeklagten beantragten ihre Verteidiger „nicht über zwei Jahre Strafe mit Bewährung“ sowie Freispruch.
Vor den Plädoyers sagte nach mehreren Vorladungen erstmals eine Angestellte vor Gericht aus, mit der der Unternehmer seit Mitte September ein gemeinsames Kind hat. Zuständig war sie unter anderem für vorbereitende Arbeiten der Finanzbuchhaltung für Spielhallen des Angeklagten.
Mit versteinerter Mine hörte die Ehefrau des Angeklagten, die mit ihm zwei Kindern großzog, den oft fahrigen Ausführungen der 41-Jährigen zu, die Ende 2016 ein Verhältnis mit dem „Big Boss“ oder „Macher“, so bezeichnete sie den Unternehmer, eingegangen ist. Der aktuelle Beziehungsstatus blieb zumindest vor Gericht offen. Zu viel sei erstmal aufzuarbeiten, sagte die Mutter.
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Während der Befragung vermied der Geschäftsmann Blickkontakt mit der Mutter seines dritten Kindes. Auch die Begrüßung vor Beginn der Verhandlung fiel betont distanziert aus, als die 41-Jährige mitsamt Kinderwagen den Gerichtssaal betrat: Eine „Ghetto-Faust“ gab es für seine Angestellte, mehr nicht.
Demnächst muss sich der Gelsenkirchener mit seinem Sohn noch wegen „versuchter schwerer räuberischer Erpressung“ vor Gericht verantworten.
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Ausflug zum Ferienhaus auf Ibiza des Gelsenkirchener Geschäftsmannes
Staatsanwaltschaft und Gericht interessierten sich dafür, ob und wie oft der Gelsenkirchener hohe Bargeldbeträge mit nach Hause gebracht hat. Ebenso, ob daheim über die Arbeit, über die Durchsuchungen der Steuerfahndung und andere Geschäftsprobleme geredet wurde.
Das Erinnerungsvermögen der 41-Jährigen war dahingehend äußerst lückenhaft. Den Vater ihres Sohnes bezeichnete sie als „stets angespannt“ und „sprunghaft“ bei Gesprächen. Über den Inhalt des Strafverfahrens sei nie gesprochen worden, lediglich einmal habe er sich bei ihr beklagt, dass ihn der Mitangeklagte beklaut habe. Außerdem wolle sie von dem Ganzen nichts mehr wissen. „Meine Aufmerksamkeit gehört ganz dem Kind“, sagte die Angestellte.
Von den üppigen Bargeldübergaben an den Angeklagten am heimischen Wohnsitz in Gelsenkirchen hatte die 41-jährige Frau augenscheinlich nichts mitbekommen. Überhaupt tat sie sich schwer, eine Aussage zu ihrem Eindruck von den Vermögensverhältnissen des Geschäftsmannes abzugeben.
Der Vorsitzende Richter Roland Wissel hatte die Bürokauffrau im Zeugenstand danach gefragt, ob sie das Ferienhaus des Angeklagten auf Ibiza kenne, ob sie dort schon mal gewesen sei und wie sie die Immobilie beschreiben würde – als normal, gehoben oder luxuriös. Ihre Antwort: „Was heißt normal? Für den einen ist das normal, für den anderen luxuriös.“
Einmal will die 41-Jährige nach eigener Aussage mit dem Angeklagten das Feriendomizil auf den Sonneninsel besucht haben. Übernachten wollte sie aber lieber „im Hotel“.
AMG-Mercedes als Dienstwagen für 41-jährige Bürokauffrau
Mitbekommen hat die 41-Jährige zumindest, dass der Geschäftsmann ein Faible für hochwertige schnelle Autos hat und auch das Personal mit Premiumfahrzeugen unterwegs war. Sie selbst fährt eine firmengeleaste AMG A-Klasse von Mercedes. Bei einem „Nettolohn von 1200 Euro“ konnte sie dem Gericht aber keine Angaben darüber machen, wie hoch die Steuern sind, die sie dafür entrichten muss.
Das Urteil wird der Vorsitzende Richter Roland Wissel am 6. Dezember um 10.15 Uhr verkünden.
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