Gelsenkirchen-Altstadt. Geschäfte und Geschichten: Barbara Kloubert und Klaus Ellenbeck widmen sich in ihrem Buch Handel und Wandel an der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen
Wer, was, wo, wann? Durchaus akribisch und mit Blick für die kleinen, feinen Randnotizen sind Barbara Kloubert und Klaus Ellenbeck diesen Fragen nachgegangen. Im Mittelpunkt ihres Interesses diesmal: Die Bahnhofstraße. Ihr neues Buch beschäftigt sich mit der 160-jährigen Geschichte der Gelsenkirchener Einkaufsmeile. Untertitel: „Ein Bummel vom Neumarkt bis zum Bahnhof.“
Bummel über die Gelsenkirchener Bahnhofstraße und durch die Jahrzehnte
Damit ist auch stilistisch die Richtung vorgegeben: Der Spaziergang längs der Bahnhofstraße startet an den Häusern mit den Nummern 2 und 4. Wobei: Einkaufsmeile ist für die ersten rund 40, 50 Jahre ein hochtrabender Begriff. Ursprünglich war es nicht vielmehr als ein Feldweg, der das Kirchspiel am heutigen Heinrich-König-Platz mit dem Bahnhof (Lesen Sie auch: Leerstände und Entwicklung im Bahnhofscenter) verband. Vor allem der Kaufmann Heinrich Mönting, so die Autoren, „engagierte sich für den Ausbau der Bahnhofstraße, die wohl 1858 ihre Geburtsstunde feierte“. Zumindest wurde 1958 das Hundertjährige gefeiert. Die Entwicklung nahm bereits ab 1875 Schub auf. Gelsenkirchen darf sich seither Stadt nennen. Längs der Straße entstanden etliche Bekleidungs- und Kolonialwarengeschäfte, Restaurants, Metzgereien oder auch Bierschwemmen.
Es macht den Charme des Buches aus, dass das Autorenpaar aus diesen Gründerzeiten – bunt gewürfelte,, aber anschauliche – Belege liefert. Mit Anzeigen, Werbung oder zahlreichen historischen Bildern und Postkarten zu meist kurzen Begleittexten wird ein Zeitbogen bis in die Gegenwart geschlagen. Reizvoll ist auch die Gegenüberstellung von historischen Ansichten und heutigen Motiven.
Tapeten zu „billigen Preisen“ und Cigarren „fein von Geschmack“
1876, erfahren wir aus Anzeigen in der damaligen Emscherzeitung, bewarb W. Pellmann an der Bahnhofstraße 672 „zu billigen Preisen“ seine reichhaltige Tapeten-und Teppichauswahl, W. Stegmann pries „fein von Geschmack und weißem Brande“ seine „Cigarren“ an, eine Frau Ostermann an der Bahnhofstraße 594 offerierte ihre Friseurinnen-Kunst im „Haarflechten“ und die „Gebr. Haas verkauften „Fahnen. Reichsfahnen. Reichsadler“.
Seit 1863 hatte die Bahnhofstraße eine Gasbeleuchtung, um 1917 ratterte bereits die Tram über das Straßenpflaster, in den 1950ern war sie bereits weitgehend verkehrsfreie Flaniermeile und ab den 1960er Jahren reine Fußgängerzone.(Lesen Sie auch: Was sich Gelsenkirchener von ihrer City wünschen)
Gelsenkirchener Autorenpaar hat schon sechs Bücher veröffentlicht
Kloubert und Ellenbeck haben für ihr Buch auf etliche Veröffentlichungen zurück gegriffen, eine üppige Postkartensammlung ausgeschlachtet und vor allem viel Recherchearbeit investiert. Seit Oktober 2018 ist es – stets im Eigenverlag – das sechste lokale Buchprojekt des Paares. Den Grabstätten oder Kirchen in Gelsenkirchen haben sie sich gewidmet, nun also der Bahnhofstraße. „Der Mensch muss etwas zu tun haben“, sagt Klaus Ellenbeck, der stets für das Layout verantwortlich zeichnet. Barbara Kloubert ist dagegen „die Kreative, die Material sucht und sichtet“ und für die Projekte aufbereitet.
Der bilderreiche Bummel entlang der Bahnhofstraße führt entlang an Geschäften, die längst Geschichte sind. Und an Häusern, die früher und teils noch heute noch stolz von Glanz und Gloria der Einkaufsstraße zeugen: Die Gebäude von Sinn und Carsch, das Textilhaus Kogge (am heutigen Kaufhof) der prächtige Neubau der Gebr. Alsberg „mit 58 Spezialabteilungen“an der Ecke Augustastraße und natürlich an gleicher Stelle das 1997 geschlossene Westfalenkaufhaus gehören dazu.
Kinos wie das Apollotheater (1906 eröffnet) oder die Schauburg (1916), Kaffeehäuser wie „Kaiser-Café“ („Vornehmes Lokal. Bestens empfehlen“), aber auch Betriebe wie – das kann man nicht erfinden „Fisch-Haus Friedrich Fischer“ an der Bahnhofstraße 70, Salamander, Lederwaren Grote oder das Pelzhaus Gompertz zeugen von früher, reicher Vielfalt. Und es gibt einige Handelsnamen, die überdauerten die Jahrzehnte. Dieler, 1953 als Textilhaus gegründet, zählt dazu. Die Alte Apotheke. Oder Preute. An den einst florierenden Haushaltswarenladen erinnert heute die Platzbezeichnung. Und dann ist da noch Moden Schmitz: Die Anfänge liegen im Jahr 1886. Nähartikel, Knöpfe, Weiß- und Wollwaren verkaufte die Vorgängerfirma S. Winter zunächst. Ab 1915 firmierte das Geschäft als „Haus der Dame“. In den 1950er Jahren, damals schon an der Adresse Bahnhofstraße 21, stiegen dann Erich und Gertrud Schmitz in das Geschäft ein. Sohn Roman führt es heute. (Lesen Sie auch:So ist die Lage in der Gelsenkirchener City)
Buch erschien in kleiner Auflage und wird im Gelsenkirchener Buchhandel verkauft
Das Buch „160 Jahre Bahnhofstraße in Gelsenkirchen“ kostet 20 Euro. Verkauft wird es im Stadtsüden bei Junius, Kottmann und der Mayersche Buchhandlung. Die zog 1998 auf 2000 Quadratmetern ins Weka-Karree, 2012 ins alte Boecker-Haus auf 1100 Quadratmeter und belegt heute lediglich 305 Quadratmeter an der Hausnummer 64 – eine Entwicklung, die auch die rasante Veränderung im Einzelhandel auf der Bahnhofstraße zeigt, die über Jahrzehnte zu den umsatzstärksten Einkaufstraßen in Deutschland zählte.
Interessenten außerhalb Gelsenkirchens können das Buch bestellen: Mail an buchversand.ellenbeck@gmx.de
Jüdische Kaufleute verloren ihre Geschäfte
Stolpersteine auf der Bahnhofstraße erinnern an jüdische Familien und Kaufleute wie Gompertz oder Wollenberg, die von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Ein großer Teil der Geschäftsinhaber war bis in die späten 1930er Jahre jüdischen Glaubens. Im NS-Jargon wurde die Bahnhofstraße sogar als „Jerusalemer Straße“ bezeichnet.Oft zogen Geschäftsleute erhebliche Vorteile aus der Judenverfolgung zu Zeiten des NS-Regimes und profitierten von der „Arisierung“ der Geschäfte. Viele grenzten sich auch ab, indem sie für sich als „christliches Geschäft“ warben.Alsberg war seit 1927 einer der großen Einkaufskonzerne Deutschlands. Mit den Reichstagswahlen 1933, stellen die Autoren in ihrem Buch fest, gingen die von der Firma in Gelsenkirchen geschalteten Anzeigen deutlich zurück. Seit 1933 firmierte das Geschäft als Westfalenkaufhaus WEKA, das Warenhaus der jüdischen Gründerfamilie wurde von der Rings AG übernommen. Martin Rings war Direktor der Commerzbank in Buer. Die Alsbergs wurden verfolgt. Manche gingen ins Exil, andere wurden in Konzentrationslagern getötet.