Gelsenkirchen. Hier gab es großen Sport, lernten zahllose Gelsenkirchener Schwimmen, verliebten sich gar manche: ein sentimentaler Blick zurück aufs Zentralbad.

Gerhard Gumpmann schaut nachdenklich und auch etwas wehmütig auf diese weite Welt aus Kacheln und Kabinen, Becken und Beton. Vor wenigen Monaten wäre Besuchern hier noch nach kürzester Zeit der Schweiß ausgebrochen, hätte sich im mollig warmen Umfeld ein leichter Chlorgeruch in der Nase festgesetzt, hätten eifrige Schwimmer die Wasseroberfläche durchpflügt. Doch nun ist es kühl. Staubig. Verlassen. Das Zentralbad hat ausgedient. Die Zeichen stehen auf Abriss. Zeit für einen letzten, gemeinsamen Blick zurück.

Schwimmwettkämpfe wurden von Gelsenkirchen aus weltweit gesendet

Das Zentralbad in Gelsenkirchen schloss zu den Sommerferien und öffnete nach der Corona-Pause nicht mehr. Nun wird der Komplex an der Overwegstraße für den Abbruch vorbereitet.
Das Zentralbad in Gelsenkirchen schloss zu den Sommerferien und öffnete nach der Corona-Pause nicht mehr. Nun wird der Komplex an der Overwegstraße für den Abbruch vorbereitet. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Gumpmann steht nahe der alten Schwimmmeisterkabine, dem „Zentrum der Macht“, wie er lachend sagt. In der Kabine sind die Schaltpulte längst tot, mit denen vor Monaten noch die Wasser-Berieselungsanlage angestellt wurde, die Alarmsignale gaben, wenn sich die Chlorgaskonzentration erhöhen sollte. Ein paar Kaffeebecher, Thermoskannen und eine Maggiflasche stehen herum. Die ersten Bauarbeiter haben sich hier ihren Pausenraum eingerichtet. Derzeit sind sie dabei, die Baustelle einzurichten, Zugänge sicher zu verrammeln, Sperrgitter aufzustellen, eine Videoüberwachung zu installieren.

Schreiben Sie uns: Ihre Erinnerungen sind gefragt!

Mit Pommes, Trinkpäckchen oder einer Limo konnte man sich früher beim oder nach dem Badbesuch stärken. Unzählige Mütter und Väter warteten auch in der „Milchbar“, während der Nachwuchs nebenan Schwimmen lernte. Und auch ein Schalker Urgestein, Mannschaftsbetreuer Charly Neumann, hat einen Teil seiner gastronomischen Wurzeln im Zentralbad. Der gelernte Bäcker pachtete dort einst den Imbissbetrieb.

Für Schwimmmeister Gerhard Gumpmann hängen am Bad nicht nur berufliche Erinnerung – dort hat sich auch sein Privatleben deutlich verändert, durch eine für ihn höchst attraktive Vereinsschwimmerin: „Ich habe hier 1978 meine Frau kennen gelernt. Wir sind seit 33 Jahren verheiratet“, sagt er.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Zentralbad? Gehörten Sie zu den Frühschwimmern, waren Sie dort zum wöchentlichen Bad in der Wanne? Haben Sie dort Schwimmen gelernt, haben Sie dort trainiert oder in der Sauna gesessen? Wenn ja, wie war das? Lassen Sie uns an Ihren Bad-Geschichten teilhaben und schreiben Sie gerne an die Redaktion: redaktion.gelsenkirchen@waz.de

Gumpmann und Michael Mross, der als Leiter des technischen Immobilienmanagements der Stadtwerke hier quasi jede Pumpe und jeden Kessel kennt, schwelgen kurz in Erinnerungen. Bis zu 800 Badegäste an einem Tag waren früher keine Seltenheit, weiß Mross. „Schon schade, wenn man weiß, wie viele Menschen hier Spaß hatten.“ Dazu zählen die glorreichen Sportzeiten des Zentralbads, als selbst Stars wie Franziska van Almsick ihre sportliche Visitenkarte in Gelsenkirchen abgaben, als Hunderte Besucher die Wettkämpfe verfolgten. Mross: „Das 25-Meter-Becken galt als besonders schnell. Hier wurde der Worldcup auf der Kurzstrecke ausgetragen. Aus diesem Bad haben die Sender in alle Welt übertragen.“ Nichts scheint in diesem Moment ferner.

Der Badkomplex wurde 1971 in Gelsenkirchen eingeweiht

Ein Absturzschutz umfängt das leere Sportbecken. Die 25-Meter-Bahn war bei Schwimmsportlern beliebt, sie galt als schnell. 450 Besucher fanden auf den Tribünen Platz.
Ein Absturzschutz umfängt das leere Sportbecken. Die 25-Meter-Bahn war bei Schwimmsportlern beliebt, sie galt als schnell. 450 Besucher fanden auf den Tribünen Platz. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das Licht in der Schwimmhalle ist leicht diffus, hinter den großen Glasfenstern passt der trübe Herbsthimmel zur Stimmung. Erster Baudreck überzieht den Boden und die einstigen Wärmebänke, ein paar welke Blätter hat der Wind verweht, der Sprungturm ist abgeriegelt. Das Braun der Wandprofile und das Blau der Becken wirken kühl. „Tja“, sagt Gumpmann, „so ein Schwimmbad hält ein Arbeitsleben lang. Ich habe hier gelernt, jetzt gehöre ich zu denen, die mit abschließen.“ 1973 hat der Gelsenkirchener seine Lehre begonnen. Das Zentralbad war zwei Jahre zuvor eingeweiht worden. 63 ist Gumpmann jetzt, ist stellvertretender Leiter der Stadtwerke-Bäder, hat seinen Arbeitsplatz längst im Erler Sportparadies. Nun wird das Zentralbad einem Neubau weichen. Gumpmann, mittlerweile im 49. Dienstjahr, macht noch ein paar Monate weiter.

Er gehörte einst zu den ersten Auszubildenden der Stadt Gelsenkirchen im Bäderbereich. „Bademeister war bis dahin ein Anlernberuf mit sechs Wochen Ausbildung. Das waren oft frühere Maurer, Fliesenleger oder Kumpel, die dat Schwatte nicht mehr sehen konnten“, sagt er. Entsprechend rau war der Kommando-Ton. Viele, gibt er zu, hätten da durchaus das Klischeebild des ungekrönten Herrschers am Beckenrand erfüllt.

Einige Stammgäste haben die Spindschlüssel mitgenommen

1973 hat Gerhard Gumpmann im Zentralbad seinen Dienst begonnen und wurde Schwimmmeister. Er arbeitet immer noch für die Stadtwerke.
1973 hat Gerhard Gumpmann im Zentralbad seinen Dienst begonnen und wurde Schwimmmeister. Er arbeitet immer noch für die Stadtwerke. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Gumpmann, ein drahtiger, sportlicher Typ, ist früher gerne und intensiv geschwommen. „Das gehört ja auch zum Beruf, dass man sich körperlich fit hält“, sagt er. Doch das macht er nur noch selten im Becken. „Irgendwann so um 2000 habe ich mir gesagt, damit ist jetzt Schluss. Jetzt kennst du jede Fliese mit Namen.“

Er gehört seither nicht mehr zu denen, die Schwimmen fest in ihren Alltag eingebaut haben. Besonders die Frühschwimmer sind es, die im Zentralbad stets zu den treuesten Gästen gehörten, so der 63-Jährige. „Es gab Leute, die hatten gefühlt ihren eigenen Spind. Die haben den Schlüssel sogar mit nach Hause genommen.“ Durften sie natürlich nicht, aber bei einigen Stammgästen wurde großzügig darüber hinweg gesehen.

Tausende Tonnen Beton, Stahl und Glas werden in Gelsenkirchen in Fraktionen getrennt

Seit den Sommerferien war klar: Das Kapitel Zentralbad endet, der Betrieb lief in Coronazeiten unspektakulär aus. Seit dem 14. Oktober ist auch das „Actic“-Fitnessstudio geschlossen. Das große Ausräumen hat begonnen. Bis August 2022, so das Ziel, soll das Bad dem Erdboden gleich gemacht worden sein, sollen tausende Tonnen Beton, Stahl und Glas in einzelne Fraktionen getrennt und abgefahren worden sein.

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Sand- und Aktivkohlespuren ziehen sich über den Boden von Sport- und Mehrzweckbecken, vermischen sich in einer Pfütze Restwasser zu einer schmierigen Pampe. Die Technik des Zentralbads hat hier sichtlich aufgegeben. Passend zum Finale, als habe sie gewusst, dass sie nach 50 Betriebsjahren nun endlich ausgedient habe.

Beim letzten Spülgang nach der Schließung hat es einen Filterdurchbruch gegeben, die Filterstoffe, Aktivkohle und Sand,  wurden ins trocken laufende Becken gepresst.
Beim letzten Spülgang nach der Schließung hat es einen Filterdurchbruch gegeben, die Filterstoffe, Aktivkohle und Sand, wurden ins trocken laufende Becken gepresst. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Beim letzten Spülgang nach der Schließung hat es einen Filterdurchbruch gegeben, die Filterstoffe wurden ins trocken laufende Becken gepresst. Ein Schaden, der nicht mehr ins Gewicht fällt. Was gestern noch wertvolle technische Infrastruktur war, ist nun nur noch Schrott. Das 25 mal 16,66 Meter große Sportbecken – leer gelaufen und mit einem Absturzschutz umstellt. Nichtschwimmer- und Mehrzweckbecken: trocken. An die 600 Umkleidekabinen stehen offen. Blaue, gelbe und grüne Türen haben einst in den Gängen farbliche Orientierung ermöglicht. Hunderte Seifenschalen – längst ungenutzt. Die Duschen – sind abgestellt. Ein Bad auf dem Trockenen.

Gelsenkirchener Zentralbad bot 450 Besuchern auf der Tribüne Platz

Das Zentralbad war eine prosperierende Anlage. „Unser Flaggschiff“, sagt Stadtwerke-Mitarbeiter Michael Mross. Es gab Zeiten, da war Gelsenkirchen stolz auf diesen Komplex. Vier Becken, jede Menge Bewegungsflächen, eine großzügige Zuschauertribüne mit 450 Plätzen, eben Platz ohne Ende. Dazu haushohe Glasfassaden, eine eigene Gymnastikhalle, ein Bäder- und Saunabereich, Solarium, eine Milchbar, etliche Büroräume zunächst für die eigene Bad-Verwaltung und dann für Vereine, viel, viel später auch Fitness-Geräte zwischen Kunstpflanzen-Kübeln und in jüngerer Zeit schließlich das integrierte Fitnessstudio im Bemühen, die Attraktivität zu steigern und Einnahmen zu generieren. Mehr ging nicht für Schul-, Sport- und Freizeitschwimmer.

Zur Bauzeit in den 1970ern entstand eines der größten Bäder Europas

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Doch die Aufzählung macht auch das Problem deutlich, das mit schwindenden Besucherzahlen und steigendem Bewusstsein für Energieverbrauch und Kosten wuchs. Das Zentralbad war schier zu groß. Gebaut in einer Zeit, als sich Gelsenkirchen noch auf dem Weg zur Ruhrmetropole mit bald 400.000 Bewohnern wähnte, als Wirtschaftlichkeit kein zentrales Thema war, gönnte sich Gelsenkirchen eines der größten Hallenbäder Europas.

Die Tauchbecken im Saunatrakt: Rundum haben noch ein paar versprengte Ruheliegen ihren Platz behalten. Eine Dampfsauna und drei klassische Trockensaunen hatte das Gelsenkirchener Zentralbad zu bieten.
Die Tauchbecken im Saunatrakt: Rundum haben noch ein paar versprengte Ruheliegen ihren Platz behalten. Eine Dampfsauna und drei klassische Trockensaunen hatte das Gelsenkirchener Zentralbad zu bieten. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dazu gehörte auch der Saunatrakt. In der ersten Etage hat er überdauert, dieser einzigartige Geruchsmix aus Holz, Wasser, Schweiß und dem letzten Saunaaufguss. Ein paar ausrangierte Plastikstühle und Ruheliegen umstehen noch die Tauchbecken, der Sauna-Ruhebereich ist ein gemauertes Atrium unter freiem Himmel. Schön war und ist anders.

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Rund 75.000 Kubikmeter umbauter Raum werden verschwinden. „Wir bauen das Gebäude zunächst bis auf den Rohbauzustand zurück, ehe ab Januar 2022 der eigentliche Abriss beginnt, sagt Guido Molitor, der für das Großvorhaben die Projektbetreuung übernommen hat. Die Arbeit benötigt besondere Sicherheitsvorkehrungen. Mineralfaser-Dämmplatten und Asbest-Baustoffe in den Wänden erfordern entsprechende Maßnahmen. Auf dem Brachgelände der ehemaligen Polizeiwache plus dem heutigen Zentralbad-Areal soll eine Polizeihochschule entstehen, in der auch ein modernes Schwimmbad seinen Platz finden könnte. Die Standortentscheidung wird zum Jahreswechsel erwartet. Das Land als Träger der Fachhochschule wäre Mieter, die GGW, die Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, würde den Komplex errichten.

Fernwärmeleitung vor dem Abriss des Badkomplexes wird umgelegt

Doch zunächst gilt es, einen kniffeligen Bypass zu legen. Das Zentralbad wurde mit Fernwärme versorgt. An den Rohrleitungen hängen weitere Gebäude, unter anderem das City-Hochhaus schräg gegenüber. Der Leitungsschluss muss auch in der Abbruchzeit gewährleistet sein.

Mit der Abwicklung seines alten Bades hat Gerhard Gumpmann nichts mehr zu tun. Er schaut auf die Kopfwand neben dem Sprungturm. Dort hängt eine Normalzeituhr. Früher hatten sie die Schwimmmeister und die Badegäste im Blick. Der Sekundenzeiger tickt noch immer unverdrossen voran – der Countdown für das Zentralbad läuft