Gelsenkirchen. Der Christopher Street Day Gelsenkirchen steigt am Samstag, 14. August. Vorab erzählt Organisatorin Hannah Trulsen über ihre Identitätsfindung.

Nachdem am vergangenen Wochenende rund 1000 Menschen beim Ruhr-CSD für die Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auf die Straße gegangen sind, legt die Szene der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, Inter* und queeren Menschen (LSBTIQ*) in der hiesigen City nach: Beim Christopher Street Day (CSD) Gelsenkirchen wird am Samstag, 14. August, ab 14 Uhr für „Einheit in Vielfalt“ geworben.

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Der Demonstrationszug soll am Bahnhofsvorplatz beginnen und endet in einer Kundgebung auf dem Heinrich-König-Platz. Dort ist dann im Pop-up-Biergarten ab 15 Uhr eine Travestieshow geplant. „Wir wollen ein kleines Kulturprogramm bieten, aber es ist sicher keine Partyveranstaltung. Unser Anliegen ist hochpolitisch“, sagt Organisatorin Hannah Trulsen. Denn dass an immer mehr Orten Regenbogenfahnen wehen und Geschlechtervielfalt vor allem popkulturell immer mehr in Erscheinung tritt, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bezeichnungen wie „Gender-Ideologie“ oder „Gender-Gaga“ Einzug in politische Debatten gefunden hätten. „Dabei sollte doch absolut klar sein: Die Identität eines Menschen sollte nicht zur Disposition stehen.“

CSD-Organisatorin prangert systematische Diskriminierung von Regenbogenfamilien an

Froh ist Hannah Trulsen allerdings darüber, dass sie in Gelsenkirchen bislang wenig schlechte Erfahrungen gemacht hat. Zwar werde an der SPD-Parteizentrale in Gelsenkirchen die Regenbogenfahne jedes Jahr von Unbekannten abgerissen, sagt die hauptberufliche Geschäftsführerin der Gelsenkirchener Sozialdemokraten. „Ich selber wurde aber noch nie angepöbelt oder auf offener Straße beleidigt.“

Natürlich seien da manchmal schräge Blicke oder völlig unangemessene Fragen („Wie sieht es bei dir eigentlich untenrum aus?“, „Welchen Namen hattest du früher?“). Aber vielmehr ärgert die 26-Jährige die „systematische Benachteiligung von LSBTIQ*-Personen. Diese zeige sich von fehlenden Toiletten fürs dritte Geschlecht bis hin zu mangelhafter medizinischer Versorgung oder Diskriminierung von Regenbogenfamilien im Abstammungs- und Familienrecht. Sie müssen in Deutschland weiterhin den komplizierten Weg über eine sogenannte „Stiefkind-Adoption“ gehen, wenn beide rechtliche Eltern werden wollen.

Mit 22, ungefähr zu Beginn ihres Sozialarbeitstudiums in Bochum, begann Trulsen ihre Hormontherapie und stellte einen Antrag für eine offizielle Namensänderung beim Amtsgericht. 2000 Euro musste sie alleine für die Gerichtskosten zahlen. Das sei noch so ein Beispiel für die strukturelle Benachteiligung, findet sie.

Wenn man sie fragt, wie sie ihre Geschlechteridentität gefunden hat, erzählt Trulsen unter anderem davon, wie sie nach dem Abi bei ihrem Auslandsjahr in Indien mit „starken Geschlechter-Stereotypen“ konfrontiert worden sei. „Ich durfte damals nicht den Flur sauber machen, das war Frauenarbeit.“ Dies habe sie dazu gebracht, intensiver über ihre eigene Rolle nachzudenken und ihre männliche Identität zu hinterfragen.

Männlicher Name, weibliches Personalpronomen - die Suche nach der richtigen Identität

Aktionsplan für Vielfalt

In Gelsenkirchen gibt es seit Februar 2021 einen LSBTIQ*-Aktionsplan. In ihm werden 62 Maßnahmen aufgelistet, mit denen die Akzeptanz für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in der Stadt gesteigert werden soll.

Darunter fallen zum Beispiel Elternbriefe zu dem Thema, Öffentlichkeitskampagnen und Unisexkabinen im Sport. Weitere Ideen sind Schulungen für Lehrerinnen und Lehrern, Kunstprojekte oder mehr gendergerechte Sprache in der Verwaltung.

Auch berichtet die gebürtige Hammenserin über ihre Zeit als Teenager in der NRW-Landesschülervertretung, als sie noch mit ihrer Anrede experimentierte. „Meinen alten Vornamen zu verwenden, war für mich lange okay, aber ich habe dann gleichzeitig eine Zeit das weibliche Personalpronomen genutzt - was bei vielen zu Verwirrung geführt hat.“ Stück für Stück sei sie dann Schritte Richtung “Hannah“ gegangen. „Und ich habe immer bei jedem Schritt geschaut, ob es sich gut und richtig anfühlt.“ [Lesen Sie hier: Sexuelle Vielfalt: Lehrer in Gelsenkirchen werden geschult]

In Gelsenkirchen würde sich Trulsen - freigesprochen vom Programm ihrer Partei - vor allem mehr „Sichtbarkeit“ von LSBTIQ*-Themen in der Stadt wünschen, „ein öffentlich gut wahrnehmbares Kunstwerk oder einen Regenbogen-Zebrastreifen zum Beispiel.“ Auch einen festen Ansprechpartner für Anliegen aus der Community in der Verwaltung sei sehr zu begrüßen. So eine Stelle gibt es zum Beispiel in Essen oder Düsseldorf. „Dann würde der Austausch zu unseren Anliegen auf dem kurzen Dienstweg erfolgen. Damit wäre schon viel gewonnen.“