Tokio. Laurel Hubbard ist die erste Transgender-Athletin bei Olympia. Gewichtheberin wird nicht nur von Konkurrentinnen misstrauisch beäugt.
Laurel Hubbards Abgang erfolgt nicht durch den Haupteingang des gigantischen Konzertsaals im Tokyo International Forum, sondern durch eine Hintertür der Interviewzone. Die Pressechefin des neuseeländischen Gewichtheberverbandes geleitet die 43-Jährige nach draußen. Sie streichelt der Athletin über die olivgrüne Sweat-Jacke, unter Hubbards ockergelber Schirmmütze ist ein sanftes Lächeln zu erkennen. Kurze Umarmung, dann schließt die Türe.
Und irgendwie wirkt Laurel Hubbard, die vor neun Jahren noch auf den Namen Gavin hörte, nun trotz ihrer 130 Kilogramm Körpergewicht leicht wie eine Feder. Ihre Geschichte ist die von Leib und Heben.
Eine gute halbe Stunde früher herrscht, gemessen an den sonst zuschauerleeren Arenen, großer Andrang. Wer irgendwie einen Zugang bekommt, nutzt ihn. Laurel Hubbard lächelt, als die erste Transgender-Athletin bei Olympischen Spielen auf die Weltbühne des Sports tritt. Beinahe kindliche Freude mixt sich mit Erleichterung. Der Weg der Neuseeländerin ist gezeichnet von Zweifeln, Vorwürfen, Missgunst. Über allem steht die zentrale Frage: Darf so eine Frau überhaupt bei den Olympischen Spielen starten?
Macht sie den Vergleich unfair?
Hubbard hat 2012 operativ ihre sexuelle Identität angeglichen, weil sie sich dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht nicht mehr zugehörig fühlte. Das ist in Zeiten, in denen Diversität gefordert und gefördert wird, sexuelle, kulturelle und ethnische Vielfalt den Gesellschaftsdiskurs antreiben, nicht mehr ungewöhnlich. Der nach Geschlechtern getrennte Leistungsgedanke steht dem jedoch gegenüber. Beeinflusst eine Geschlechtsumwandlung den sportlichen Vergleich, macht sie ihn gar unfair? „Ich weiß, dass diese Teilnahme nicht vollständig ohne Kontroversen ist“, sagt Laurel Hubbard, hohe Stirn und tiefe Stimme.
Ihr sportlicher Montag ist schnell erzählt: In der Schwergewichtsklasse über 87 Kilo reißt Hubbard mit 120 Kilo auf der Hantel den ersten Versuch. Bei anschließenden 125 Kilo ist die Medaillenaspirantin zu lange in der Hocke, ihre Arme zittern. Sie stemmt das Gewicht zwar, aber zwei der drei Kampfrichter machen den zweiten Durchgang ungültig. Und auch beim dritten Mal rutscht die Hantel über den Kopf nach hinten. Salto nullo, der Wettkampf ist für Laurel Hubbard noch vor dem Stoßen beendet. Das Einzige, was ihr auf der Empore gelingt, ist ein starkes Signal: Sie formt ein Herzchen vor ihrer Brust.
Früher startete Hubbard als Mann mittelmäßig erfolgreich, ehe 2001 Zweifel an ihrer Identität aufkamen. „Es gab zu viel, was ich ertragen musste“, sagte sie mal über diese Phase ihres Lebens. Hubbard hörte auf, ihre Geschlechtsumwandlung 2012 mündet auch heute noch in einer komplexen und schwierigen wissenschaftlichen Debatte darüber, ob Transgender-Athletinnen körperliche Vorteile haben. Größere Herzen; mehr Hämoglobin im Blut, das mehr Sauerstoff transportiert; mehr Muskelmasse. Dem gegenüber stehen Verweise auf eine noch nicht ausreichende Forschung und eine bisher ausgebliebene Rekordflut im Spitzensport.
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Laurel Hubbards Zweiflerinnen stehen teils mit ihr auf der Bühne. Die Belgierin Anna van Bellinghen, am Ende Elfte, spricht von einem „schlechten Witz“: „Jeder, der Gewichtheben auf hohem Niveau trainiert hat, weiß ganz genau, dass diese besondere Situation für den Sport und die Athleten unfair ist.“ Die Britin Emily Jade Campbell, die mit 283 Kilo in der Summe Silber hinter der Chinesin Wenwen Li (320 Kilo) gewinnt, hält dagegen: „Sie hat sich fair wie jede andere auch für diesen Wettbewerb qualifiziert.“ Dass Hubbard womöglich die Spiele ob des Trubels um ihre Person nicht richtig genießen kann, ist der Preis für ihre Hartnäckigkeit.
„Eine wundervolle Erfahrung“
Die Situation der neuseeländischen Gewichtheberin erinnert an den Fall Caster Semenya: Die südafrikanische Leichtathletin mit intersexuellen Anlagen war zweimal Olympiasiegerin über 800 Meter. Um in Tokio starten zu können, hätte sie ihre Testosteronwerte hormonell herunterdrücken müssen. Semenya verzichtete. Hubbard ist die einzige in Tokio aktive Transgender-Athletin, aber: Eine kanadische Fußballerin ist nichtbinär, fühlt sich also weder männlich noch weiblich. Um dem Ausdruck zu verleihen, hört sie nur auf den Nachnamen Quinn.
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Laurel Hubbard gab in den vier Jahren bis zu diesem Wettkampf keine Interviews, davor sagte sie, nicht mutiger als andere Transgender zu sein. In der Interviewzone des International Forum wird die Situation nun größer als sie selbst. Erst will sie alle Fragen einzeln beantworten, dann aber verunsichert sie der Andrang, und sie gibt nur ein Statement ohne Nachfragen ab. „Es war eine wundervolle Erfahrung, die mich so dankbar macht, ihr habt mir so viel Liebe geschenkt“, sagt sie als Dank an ihre Unterstützer. „Ich wünschte, ich könnte jedem einzeln danken, der mir auf dieser Reise geholfen und mich ermutigt hat.“
Die sportliche Niederlage ist an diesem Tag ihr größter Sieg: Hätte Laurel Hubbard Gold geholt, wäre ihre Leistung gegen Transgender-Athletinnen genutzt worden. So ist es der erste Schritt, sich einen festen Platz in der Sportwelt zu sichern.