Gelsenkirchen-Buer. Vor 50 Jahren wurde aus der Gelsenkirchener Ingenieurschule ein Ableger der Fachhochschule Bochum. Das Talentscouting der WH gilt als vorbildlich.

„Zu jedem Punkt unserer Geschichte war es unser Ziel, Zukunft zu gestalten“, sagt Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, der Präsident der Westfälischen Hochschule. So sei es bis heute. Vielleicht sogar mehr denn je. Denn der Ort ist nicht nur einer der Ausbildung, er ist auch eine Zukunftswerkstatt, eine, in der geforscht wird und über das Vorstellbare hinaus gedacht.

Vor 50 Jahren wird an der Neidenburger Straße erstmals Hochschulbildung angeboten. Ein Novum für Gelsenkirchen und, streng genommen, ein früher Impuls für den viele Jahre später so wichtigen Strukturwandel. „Die Geschichte der Stadt und der Region, geprägt von Kohle und Stahl, hat dazu geführt, dass Menschen hier sesshaft geworden sind. Diese jungen Menschen waren aber nicht unbedingt für eine akademische Karriere vorgesehen.“

Mit einer Ingenieurschule geht alles los

Als die Ingenieurschule 1971 der Fachhochschule Bochum angegliedert wurde, entstanden ganz neue Studiengänge, berichtet Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule, wie die einstige FH nun heißt.
Als die Ingenieurschule 1971 der Fachhochschule Bochum angegliedert wurde, entstanden ganz neue Studiengänge, berichtet Prof. Dr. Bernd Kriegesmann, Präsident der Westfälischen Hochschule, wie die einstige FH nun heißt. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Die zunächst sehr technisch ausgerichtete Fachhochschulbildung am Standort ändert das. Sie bietet auch talentierten wie ehrgeizigen Facharbeitern die Möglichkeit, mehr zu lernen. „Fachhochschulen sind immer Hochschulen des Aufstiegs gewesen.“

Ein Bildungsstandort ist das Gelände bereits seit Anfang der 1960er Jahre. 1958 ermächtigt der Rat der Stadt die Schulverwaltung, die Errichtung einer Ingenieurschule bei der Landesregierung zu beantragen. Dennoch dauert es bis Oktober 1962, bis die ersten jungen Männer hier lernen. Zur Wahl stehen drei Ausbildungen: Maschinenbau-Konstruktionstechnik, wenig später auch Maschinenbau-Fertigungstechnik und Elektrotechnik-Antriebstechnik.

Ehrgeizige Studenten nehmen ihr ganz persönliches Wirtschaftswunder in Angriff

Ein Bildungsstandort im Grünen: Das Luftbild zeigt Hans-Schwier-Berufskolleg, Haus Heege und Westfälische Hochschule.
Ein Bildungsstandort im Grünen: Das Luftbild zeigt Hans-Schwier-Berufskolleg, Haus Heege und Westfälische Hochschule. © Hans Blossey

Der Zeitgeist und das Fächerangebot bedingen, dass die Ingenieurschule eine ziemliche Männerdomäne ist. „Es gibt keine Belege darüber, aber es ist davon auszugehen, dass es fast keine Frauen hier gab.“ Hier lernen zu dürfen, das ist für die jungen Männer eine Ehre und Auszeichnung. Wer angekommen ist, hat sich bereits gegen andere Bewerber in einer Aufnahmeprüfung durchgesetzt und hat sein Schicksal nun selbst in der Hand, kann im aufstrebenden Deutschland als graduierter Ingenieur sein ganz persönliches Wirtschaftswunder schaffen.

Mit der Gründung der Fachhochschulen in Deutschland im Jahr 1971 wird die Ingenieurschule am 1. August des selben Jahres der Fachhochschule Bochum angegliedert. Unter ihrem Dach entstehen am Rande von Buer ganz neue Studienangebote.

Ein Bildungsstandort im Grünen

Zugleich gibt es immer mehr Möglichkeiten, die fachgebundene Hochschulreife zu erlangen. Das öffnet die Hochschule für immer mehr junge Menschen, die antreten, mehr aus ihrem Leben zu machen. Ein Angebot, das genau den Bedarf in Gelsenkirchen trifft. „Das ist bis heute etwas Spezifisches für diese Stadt: In Gelsenkirchen gibt es eine niedrige Quote junger Menschen, die eine allgemeine Hochschulreife haben“, sagt Bernd Kriegesmann und spricht sowohl über damals als auch über heute. Die fachgebundene Hochschulreife ist viel weiter verbreitet.

10.000 Studierende bevölkern den Gelsenkirchener Campus

Die Westfälische Hochschule bietet rund 50 Studiengänge an. Knapp 10.000 Studierende lernen hier, etwa die Hälfte am Standort Gelsenkirchen, der Rest in Bocholt oder Recklinghausen.

Auf dem Campus Gelsenkirchen sind die Fachbereiche „Maschinenbau, Umwelt- und Gebäudetechnik“, „Elektrotechnik und angewandte Naturwissenschaften“, „Informatik und Kommunikation“ sowie Wirtschaft angesiedelt. Mehr Informationen gibt es unter www.w-hs.de.

Der Strukturwandel stellt die Region in den ausgehenden 80er Jahren vor große Herausforderungen. Noch einmal soll ein Impuls ausgehen vom Bildungsstandort im Grünen. Im Oktober 1991 macht sich die Emscher-Lippe-Agentur für die Gründung einer eigenständigen Fachhochschule in der einstigen Stadt der tausend Feuer stark. 1992 wird die FH Gelsenkirchen eröffnet – als 50. Hochschule des Landes. Einmal mehr geht es darum, jungen Menschen die Chance zu bieten auf eine erfolgreiche Zukunft.

Professoren als Talentscouts

„Wir wollen helfen, gesellschaftlich vorgezeichnete Wege zu durchbrechen“, sagt Kriegesmann und weist stolz auf ein eigenes Erfolgskonzept hin, das in NRW bald Schule macht. 2011 nämlich verschreibt man sich an der FH Gelsenkirchen dem „Talenscouting“. Ähnlich wie im Fußball wollen die Professoren junge Menschen möglichst früh erreichen.

„Wir sind dann in die Schulen gegangen und haben die Jugendlichen ermutigt zu studieren. Diese Initiative gefiel dem Land so gut, dass man ein Landesprogramm auflegte nach dem Gelsenkirchener Vorbild.“ Und

weil man in der Stadt an der Emscher ja schon weiß, wie es geht

Ziel der NRW-Talentförderung ist die Entfaltung von Talenten bei Kindern und Jugendlichen unabhängig vom Elternhaus. Dies geschieht beispielsweise durch das Talentscouting, das 2011 an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen entstand.

Scout Suat Yılmaz war einer der Pioniere, mittlerweile hat sich das Konzept dank der Unterstützung des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums auf inzwischen 17 Fachhochschulen und Universitäten im ganzen Bundesland ausgeweitet.

, werden bis heute alle Talentscouts für NRW an der Westfälischen Hochschule qualifiziert.

Noch immer sind weibliche Studierende unterrepräsentiert

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In einer Sache übrigens gibt es nach wie vor Aufholbedarf: Immer noch ist die Zahl der männlichen Studenten weitaus größer. Das liege, meint Kriegesmann, an der weitgehend technischen Ausrichtung. Auch jahrelanges Engagement der Schulen, Mädchen und Jungen besonders naturwissenschaftliche und technische Fächer, die sogenannten MINT-Fächer, nahezubringen, hätten daran nichts geändert. Anders sei das natürlich in Bereich der Wirtschaftswissenschaften und, ein ungewöhnliches Aushängeschild der WH, im Bereich Journalismus/Public Relations.

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Immer wieder hat sich der Hochschulstandort neu erfunden, hat die Einrichtung mutig auf die Entwicklung reagiert. Viele Hürden hat man erfolgreich genommen. Heute steht in vielen Bereichen eine der größten Aufgaben unserer Zeit im Mittelpunkt: eine erfolgreiche wie nachhaltige Welt, die den Klimawandel eingrenzen kann.

Professoren müssen das „echte“ Leben kennen

„Seit jeher ist das Studienangebot ständig erweitert und aktualisiert worden“, sagt Barbara Laaser, die Pressesprecherin der Westfälischen Hochschule. Dabei gehe es auch darum, ganz neuartige Studiengänge anzubieten, die dann Impulse geben und, im besten Fall, sogar Unternehmensgründungen befördern. Nicht selten nämlich seien die Studenten, die hier ohne Barrieren im Kopf forschen und Lösungen suchen für aktuelle Probleme, die erfolgreichen Unternehmer von morgen.

Der besonders praktische Aspekt der Ausbildung prägt damals wie heute den Standort. Das wirkt sich nicht nur auf die Studierenden aus. Auch auf die Lehrkräfte. Sie nämlich dürfen, anders als bei Universitäten, keine rein akademische Laufbahn haben. Sie müssen mindestens drei Jahre außerhalb einer Hochschule tätig gewesen sein. Salopp könnte man sagen, sie müssen das „echte“ Leben kennen in einem Wirtschaftsunternehmen. „Diese Leute bringen eine ganz andere Anwendungsorientierung mit“, sagt Kriegesmann.

Das Problem: „Nahezu alle haben bei uns Gehaltseinbußen.“ Jobs an der Hochschule bringen aus finanzieller Sicht weniger ein als jene in der freien Wirtschaft. Der Präsident der Westfälischen Hochschule aber ist für seinen Beruf Feuer und Flamme. „Da ist einerseits die totale Freiheit, forschen zu dürfen in dem Bereich, in dem ich es will. Daneben ist es eine ganz großartige Aufgabe, jungen Menschen zu helfen, ihren eigenen Weg zu finden.“