Gelsenkirchen. Einst war sie eine moderne Vorzeigestraße in Gelsenkirchens Stadtteil Rotthausen. Wie nun neue Visionen die Lothringer Straße beleben könnten.

Einst war sie eine moderne Vorzeigestraße. Doch über Jahrzehnte hat der Zahn der Zeit an den Bauten genagt. Nicht ohne Grund steht über der Lothringer Straße in den städtischen Akten der Hinweis „Erneuerungsbedarf“. Der soll nun behoben werden. Beim Landeswettbewerb „Zukunft Stadtraum“ wurde Gelsenkirchen für die Zukunftsbilder zum Umbau der Lothringer Straße in Rotthausen ausgezeichnet. Ein erster Schritt. Mit etwas Glück nimmt man auch die nächste Hürde der Ausschreibung und kann die Pläne realisieren.

Gelsenkirchen: Visionen der Stadtplaner sollen Lothringer Straße wieder beleben

Christa Lenz steht an dem numerischen Ende der Straße und erinnert sich noch gut an die zehn Jahre ihrer Kindheit, die sie hier ab den 50er Jahren verbringt. In einer Wohnung im Haus Nummer 44. „Mein Vater war damals aus Bayern von der Zeche Dahlbusch angeworben worden und meine Mutter kam mit mir im Bauch nach. Unsere Wohnung hatte damals schon ein Badezimmer mit einem Kohlebadeofen und nicht, wie viele andere, nur eine Toilette auf dem Flur“, erzählt sie, die heute am Anfang der Lothringer Straße in einem Häuschen wohnt. „Meine Mutter hat erzählt, dass sie darum beneidet wurde.“ So ändern sich die Zeiten. „Man sprach damals hier von der Bayern-Kolonie“, sagt Georg Gerecht, Vorsitzender des örtlichen Bürgervereins und Schwager von Christa Lenz. [Lesen Sie auch:In welcher Kategorie Rotthausen beim großen WAZ-Stadtteil-Check als Sieger abschneidet]

Georg Gerecht, Vorsitzender des Bürgervereins Rotthausen, und Christa Lenz vor ihrem Geburtshaus in der Lothringer Straße: Vorfreude auf eine mögliche Modernisierung eines Gelsenkirchener Viertels.
Georg Gerecht, Vorsitzender des Bürgervereins Rotthausen, und Christa Lenz vor ihrem Geburtshaus in der Lothringer Straße: Vorfreude auf eine mögliche Modernisierung eines Gelsenkirchener Viertels. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Er hat im Rucksack Bilder dabei. Es sind die Visionen, die ein Forscherteam des Wuppertal Instituts, die Emschergenossenschaft und das Planungsbüro MUST Städtebau GmbH zum Wettbewerb eingereicht haben. Von diesem Standort aus blicken sie in die Straße, so wie es die Spaziergänger heute tun. [Lesen sie auch: Wie die Gelsenkirchenerin Denisa Contra die Gastronomie in Buer beleben will.]

Hoffnung auf Städtebaufördermittel

Die prämierten Zukunftsbilder sollen in den nächsten Monaten weiter konkretisiert werden. Dafür findet am Samstag, 21. August, und Sonntag, 22. August, eine Bürgerbeteiligung in der Lothringer Straße statt, um mit den Anwohnern die Zukunftsbilder zu diskutieren.

Darauf aufbauend wird anschließend eine konkrete Entwurfsplanung entstehen. Diese soll Anfang 2022 bei der zweiten Stufe des Landeswettbewerbs eingereicht werden. Wird die Lothringer Straße auch hier ausgezeichnet, hat Gelsenkirchen gute Chancen, im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms Rotthausen zusätzliche Städtebaufördermittel zu erhalten.

Doch es ist alles anders: Die Häuser sind herausgeputzt, die Straße durch grüne Inseln verkehrsberuhigt, überall verweilen Menschen im Freien in kleinen Oasen. Ein anderes Bild aus vorherigen Planungen zeigt sogar mittig einen „Lothringer Platz“ – mit großer Wasserfläche an der rechten Seite. Georg Gerecht vermutet, wie die Planer darauf gekommen sind: „Hier, wo jetzt der Spielplatz ist, war im Krieg ein Löschwasserteich. Der wurde angelegt, nachdem die ersten Brandbomben gefallen waren.“ Es könne sich also um eine Reminiszenz an vergangene Tage handeln.

Modernisierung der Lothringer Straße in Gelsenkirchen: Anwohner freuen sich darauf

Bevor sich die Besucher aufmachen, die Lothringer Straße zu begehen, kommt eine junge Mutter mit zwei Kindern um die Ecke. „Ich bin gespannt und freue mich drauf“, sagt sie im Vorübergehen und macht ganz deutlich, fast alle Anwohner verfolgen die Maßnahme. „Im Jahr 2015 hat es seitens der Stadt geheißen, jetzt nehmen wir uns Rotthausen vor. Dass es rund sechs Jahre dauern würde, das hat damals keiner gedacht“, sagt Georg Gerecht.

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Es geht entlang der Lothringer Straße. Ein Abstecher in den einen oder anderen Hinterhof verschafft einen Eindruck von dem Viertel. Einstmals, erzählt Christa Lenz, sei das ein großer Hinterhof gewesen, in dem die Mütter die Wäsche aufgehängt und alle Kinder gemeinsam gespielt hätten. Heute ist die große Fläche parzelliert. In einem Hof befindet sich eine Spanferkelbraterei. „Die gibt es schon lange. Aber damals war das unser Bäcker“, sagt Christa Lenz.

Blick in die untere Lothringer Straße im Gelsenkirchener Stadtteil Rotthausen: Anwohner freuen sich über eine mögliche Wiederbelebung ihres Viertels.
Blick in die untere Lothringer Straße im Gelsenkirchener Stadtteil Rotthausen: Anwohner freuen sich über eine mögliche Wiederbelebung ihres Viertels. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Aus einem Fenster im Erdgeschoss blickt eine Frau auf die Lothringer Straße. „Ich bin hier groß geworden“, erzählt Heidrun Waldheuser. Die angedachten Umbaumaßnahmen findet sie gut – allerdings kämen sie zu spät. Sie selbst sieht ihre Zukunft nicht mehr hier. „Ich will wegziehen, weil ich mich in der Straße nicht mehr wohlfühle.“ Dennoch: „Die Verkehrsberuhigung finde ich super. Die fahren ja oft hier 100 Stundenkilometer.“

Lothringer Straße: Gelsenkirchens Stadtteilentwicklung macht Lust auf Zukunft

Vor dem Haus Nummer 24 steht ein großes Gerüst, vor der Türe dazu eine kleine Bank und ein Plastikstuhl. Hier sitze immer der neue Eigentümer und beaufsichtige die Arbeiten, erzählt Christa Lenz. Wie alle freut sie sich, dass das Haus, das noch vor kurzem als „Schrottimmobilie“ geführt wurde, eine neue Zukunft erwartet. Die Sitzgelegenheit wirkt einladend. Wenig später ist sie denn auch belegt – von vier Besuchern aus Paris, gekommen, um in schönster Pracht gekleidet, einer Hochzeitsgesellschaft beizuwohnen. [Lesen Sie auch: Ein Besuch in Gelsenkirchens größter Kleingartenanlage in Rotthausen]

Hier endet der Bereich der Lothringer Straße, der umgestaltet werden soll. Die Straße selbst reicht noch weiter bis an die Steeler Straße heran. Hier lebt Christa Lenz. Noch. Auch sie zieht in absehbarer Zeit fort von hier. Aus persönlichen Gründen. „Ich habe mich hier immer wohlgefühlt“, betont sie. Deswegen übernehme ihre Tochter dann auch die Immobilie. Auch Georg Gerecht sagt, er lebe wieder gerne hier. „An allen Ecken stehen Gerüste und es wird gearbeitet. Diese Stadtteilentwicklung macht Lust auf Zukunft.“