Gelsenkirchen-Rotthausen. Die Kleingartenanlage „Gelsenkirchen-Süd“ in Rotthausen ist die größte der Stadt. Sie umfasst ganze 272 Gärten. Rund 500 Menschen gärtnern hier.

Man kann die Stadt noch deutlich hören, die urbanen Strukturen noch erkennen, etwa anhand riesiger Strommasten, die sich durch die Anlage ziehen. Aber man befindet sich in Gelsenkirchens größter Kleingartenanlage „Gelsenkirchen-Süd“. Und auch davon zeugt einiges: Vogelgezwitscher, weites Grün und bunte Blumen, dazu unzählige ambitionierte Kleingärtner in ihren Parzellen.

Der Begriff „Gartenstadt“ findet hier eine ganz neue Bedeutung. Ganze 272 Gärten umfasst das Gebiet, das in fünf Teile aufgeteilt ist. Das Herz bilden das „Weindorfgelände“ und das „Dauergelände“, diesseits und jenseits des Zubringers zur einstigen B1, der Hattinger Straße. Nördlich davon liegt der „Voßgraben“, im Süden, gleich an der Emscher, der Teil „Schwarzbach“. Ohne direkte räumliche Verbindung gehört noch der Teil „Rheinelbe“ zur dieser großen Stadt aus kleinen Gärten. Die sei sogar einmal noch größer gewesen, erzählt Kerstin Schleicher, derzeit die 1. Vorsitzende.

Straße teilt die Anlage wie der Kanal die Stadt Gelsenkirchen

Wie es in „Großstädten“ so ist, spielt sich das Leben im Viertel ab. Jene gibt es hier auch. Leider, findet die engagierte Leiterin der Geschicke des Vereins. „Bevor ich 2017 stellvertretende Vorsitzende wurde, kannte ich manche Gärten auch nur auf dem Papier.“ Das Vereinsleben finde innerhalb der gefühlten Quartiere statt und nur selten verirre man sich über die Straße. Sie teilt die Anlage wie einst der Kanal die gesamte Stadt. „Auch nach 98 Jahren Vereinsgeschichte müssen wir am Gefühl der Zusammengehörigkeit noch arbeiten.“ Selbst große Feiern und Feste nutzten da nichts. „Man sieht immer nur dieselben Gesichter.“

Grüne Idylle: Kerstin Schleicher ist die Vorsitzende des KGV Gelsenkirchen-Süd.
Grüne Idylle: Kerstin Schleicher ist die Vorsitzende des KGV Gelsenkirchen-Süd. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ausgehend vom Vereinsheim, das klein aber fein Raum bietet für Gemeinschaft, geht es los, zumindest einen Teil der Kleingartenanlage „Gelsenkirchen Süd“ zu entdecken. Sogleich fällt auf: Einige Lauben sind recht groß und solide gebaut. Das seien noch die alten, erklärt Kerstin Schleicher, nach dem Krieg seien die Lauben Wohnorte gewesen. „Das hieß Behelfswohnheim.“ Heute ist diese Nutzung verboten. An sommerlichen Wochenenden mal eine Nacht hier zu verbringen, das jedoch sei bis heute üblich.

Corona brachte einen Run auf die Gärten

Nach nur wenigen Metern erreichen die Streifzügler den Garten von Marianne Prusaczyk. Seit vier Jahren gärtnert sie hier. „Damals sind wir Rentner geworden“, erklärt sie den Schritt. „Ich komme vom Land und habe Spaß an der Gartenarbeit.“ Erdbeeren baut sie an, Spalierobst, Sauerkirschen, Birnen, Äpfel, Himbeeren. Viel Material für Marmeladen also? „Nein. Ich esse in der Saison einfach ein Kilo am Tag.“ Das einzige, das sie einmache, sei Brennnesselsaft. „Der ist im Winter gut für die Immunabwehr.“

Vor ein paar Jahren, als sich Marianne Prusaczyk für das Kleingärtnerwesen entschied, konnte sie sich einen Garten aussuchen. Das sei heute ganz anders, erzählt Kerstin Schleicher. „Der Hype kam mit Corona.“ Mit der Pandemie sei bei vielen die Einsicht gekommen, wie schön es in der Heimat sein kann. Gerade eben, so sagt die Vorsitzende, habe sie einen der letzten Gärten vergeben. „Vor Corona hatten wir einen Leerstand von rund 70 Gärten und dachten, wie werden wir die bloß los? Niemals hätte ich gedacht, dass wir mal eine Warteliste führen.“ Selbst die unattraktivsten Parzellen, die viel Arbeit mit sich bringen und hier vor Ort nicht ohne Grund „Dornröschen-Grundstücke“ genannt werden, seien nun gefragt. „Wir haben uns auch extrem verjüngt. Es sind vor allem Menschen Anfang, Mitte 30 dazu gekommen.“

Obst- und Gemüseanbau ist Pflicht

Für alle gilt: Man muss sich an die Regeln halten. Ein Zehntel der Fläche muss bewirtschaftet werden, drei Bäume sind Minimum, Rankhilfen als Sichtschutz müssen mit Essbarem begrünt werden. „Da achte ich auch ganz penibel drauf“, sagt Kerstin Schleicher. Bei Heinz Klipp muss sie sich da keine Sorgen machen. Der Kleingärtner hat einen grünen Daumen, baut Gemüse von Bohnen über Kartoffeln bis hin zu Möhren in Hochbeeten an, dazu Tomaten, Gurken, Erdbeeren. Besonders exotisch: sein großer Kiwi-Baum. „Vor zwei Jahren haben wir rund 2.400 Kiwis geerntet. Was er mit solch einer Menge gemacht hat? „Ein Teil ging an die Verwandtschaft, ein Teil in Marmelade. Die sind alle weggegangen.“

Beim Gang durch das „Weindorfgelände“ erklärt Kerstin Schleicher, der Kreativität seien keine Grenzen gesetzt. „Ich habe es mal mit Bananen versucht. Aber die sind nichts geworden.“ Aber kürzlich habe ein Kleingärtner zum Beispiel auf Spargel gesetzt – und gute Erträge eingefahren.

Der Zubringer als Schneise zwischen den Teilen

Laube vom Typ „Gelsenkirchen“

Das Kleingärtnern hat in Gelsenkirchen große Tradition. Eine, die über die Stadtgrenzen hinaus bekannt sein muss. Beim Rundgang nämlich stellt Kerstin Schleicher auch einige Lauben vor, so genannte „Typenlauben“.

Da gebe es, so die Vereinsvorsitzende, etwa den Typ „Gelsenkirchen“ oder den Typ „Emscher“. Beide entsprächen den Vorgaben, seien maximal 24 Quadratmeter groß und würden sich nur durch die Position des stillen Örtchens unterscheiden.

Nun ist das Ende des Teils erreicht. Ein kleiner Durchgang führt zum Autobahnzubringer. Wer einmal die Nase raus streckt, zieht sie schnell wieder rein. In der Rushhour die Straße ohne Fußgängerübergang oder Brücke zu überqueren, das scheint fast lebensgefährlich. Die Straße ist eine echte Grenze.

Entlang der Gärten, die an die Hattinger Straße grenzen, geht es zurück zum Anfang der kleinen Begehung. Hier hat Susanne Lukowski ihren Garten. „Die Geräusche nimmt man gar nicht mehr so wahr“, erzählt sie. Vor zehn Jahren übernahmen sie und ihr Mann die Parzelle, auf ihren Wunsch hin. „Ich komme aus dem Kleingarten und liebe dieses Miteinander über den Gartenzaun. Einfach mal raus zu kommen ohne weit fahren zu können, das ist schön. Das ist Natur pur für wenig Geld. Ein Leben ohne meinen Garten kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.“