Gelsenkirchen-Hassel. Auf dem Markt in Gelsenkirchen-Hassel stehen freitags nur zwei Stände. Die aber sind gut besucht. Besonders begehrt: der Mittagstisch.

„Frau Doktor, hier habe ich noch etwas für ihren Mann, zum Naschen. Mit einem schönen Gruß von der Helga.“ Die Markthändlerin steckt ihrer Kundin ein kleines Leckerchen zu. Beide lachen. Die Stimmung ist gut. Wer ein paar Minuten das Treiben am Stand des „Schlesiers“ auf dem Markt in Hassel beobachtet, der gewinnt den Eindruck, die drei Damen vom Grill bekommen hier Konkurrenz – von den zwei Damen vom Fleischstand.

Gelsenkirchen-Hassel: Ein kleiner Markt mit großem Unterhaltungswert

Ihre Erzählungen, ihre flotten Sprüche, das erinnert an ein gutes Kabarett. „Ich stelle mich manchmal hin und höre einfach nur zu“, erzählt Dr. Siegbert Panteleit. Im Auftrag der Stadt betreut er die zehn Märkte in Gelsenkirchen. „Hier wird dokumentiert, was morgens in der Zeitung steht. Da entstehen Dialoge und ein Witz, der aus dem vollen Leben kommt. Und wenn ich nach Hause gehe, dann bringe ich nicht nur die Wurst mit, sondern auch die schönen Geschichten.“

Auf dem Markt in Gelsenkirchen-Hassel geht es lebendig zu und heiter.
Auf dem Markt in Gelsenkirchen-Hassel geht es lebendig zu und heiter. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das wirkt fast ein bisschen aus der Zeit gefallen. Das Hier und Jetzt ist geprägt von Abstand, von Kontaktbeschränkungen, oftmals von Einsamkeit. Auf dem Markt in Hassel jedoch, so klein er mit seinen zwei Ständen am Freitag auch ist, geht es lebendig zu und heiter, kommen Menschen zusammen, empfinden trotz körperlicher Distanz einen Hauch der alten Nähe im Quartier.

Hier kann man ein Schwätzchen halten und Neuigkeiten austauschen. „Schon im Orient war der Basar der Seismograph der politischen Stimmung“, weiß Panteleit. „Die Herrscher sind verkleidet über die Märkte gegangen, haben gehört, wie das Volk denkt.“ Das riete er auch heutigen Mandatsträgern.

Der Markthändler ist der neue Friseur

Was die hier erfahren würden? Auf jeden Fall, wie schwierig die emotionale Lage im von Corona geprägten Alltag für viele Menschen ist. „Ich komme gern zum Markt. So kommt man überhaupt mal unter Menschen“, erzählt Nicole Reisge, die mit Hündin Lilli gekommen ist. Das erlebt auch Irmgard Doktor so, die gerade ihren Einkauf bei den beiden Damen beendet hat. „Uns bleibt ja nur noch der Einkauf. Die beiden nehmen sich Zeit für ein Gespräch.“ Da müsse man als wartender Kunde schon mal Geduld mitbringen. „Wer die Zeit nicht hat, der soll sich umdrehen und gehen. Tut aber keiner.“ Ein möglicher Grund: Wer wartet, wird ja selbst mit einem netten Gespräch belohnt.

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Tanja Lechtenböhmer hat kaum Zeit für ein paar Worte. Schon steht die nächste Kundin vor der Theke des „Schlesiers“. Die muss nun ein paar Minuten warten. Für die Presse. „Viele Kunden kennen wir seit vielen Jahren und nennen uns beim Vornamen“, erzählt die Händlerin. Bei der wartenden Kundin sucht sie Bestätigung: „Ne, Ulla?“ Die nickt. Freitags gehe es immer besonders hoch her. „Dann gibt es Mittagstisch. Den koche ich selbst am Vortag.“

Auf dem Hasseler Markt kann man die Sorgen vergessen

Heute steht das populärste Gericht auf der Karte: Gulaschsuppe. „Die ist weltbekannt“, wirft Händlerkollegin Helga ein. Tanja Lechtenböhmer bestätigt das. „Die läuft von alleine.“ Besonders in diesen Zeiten. Im Lockdown habe die Nachfrage extrem zugenommen. Die Menschen seien froh und dankbar, auch mal versorgt zu werden, nicht jeden Tag selbst kochen zu müssen. Heute seien allein 70 Portionen vorbestellt gewesen. Dazu habe man natürlich auch welche dabei gehabt für den spontanen Einkauf.

Hasseler Markt hat eine lange Tradition

Der Hasseler Markt hat eine lange Tradition, war einst groß und beliebt. Frühmorgens schon kamen die Arbeiter der Zeche Westerholt, sich hier ihre Stullen zu holen. Da seien allein dafür 40 bis 50 Ringe Fleischwurst draufgegangen, weiß Dr. Siegbert Panteleit.

Diese Zeiten jedoch sind lange her. Der Markt wurde immer kleiner. Seit Corona dürfen hier zudem nur noch Lebensmittel verkauft werden. Somit gibt es am Mittwoch drei Stände auf dem August-Schmidt-Platz, am Freitag nur zwei.

Je länger man auf dem Hasseler Markt steht, desto mehr kann man die Sorgen auch mal vergessen. Die Sonne scheint, der Frühling liegt ebenso in der Luft wie das fröhliche Lachen der Menschen. „Die Gesellschaft bricht auseinander. Gerade in der Krise brauchen wir diese kleinen Orte, die Gemeinschaft erzeugen“, sagt Siegbert Panteleit und stellt einen weiteren „Sozialarbeiter“ vor, den Markthändler Bernd Müller.

Der Markthändler ist der neue Friseur

Auch er spürt, wie es die Kunden nach einem Gespräch dürstet. „Und das wird von Woche zu Woche mehr. Meine Kunden wünschen sich das – und ich unterhalte mich gern mit ihnen.“ Manch einer, erzählt der Vollblut-Kaufmann, habe in den vergangenen Wochen sein Herz ausgeschüttet. „Das Vertrauen der Menschen ist groß.“ Und gerechtfertigt. Als Bernd Müller weiter erzählt, drängt sich mehr und mehr eine Erkenntnis auf: Der Markthändler, so scheint es, ist der neue Friseur.