Gelsenkirchen. 29 Gelsenkirchener Immobilien gehören nach US-Recht amerikanischen Besitzern. So lief der Cross-Border-Deal vor 20 Jahren, so könnte er enden.

2001: Nicht wenige Städte stehen buchstäblich vor der Pleite, ausgeglichene Haushalte sind eine Utopie. In dieser verfahrenen Situation griffen etliche deutsche Kommunen zum vermeintlich rettenden Strohhalm. Der wurde unter tatkräftiger Hilfe von Fonds-Gesellschaften aus den USA gereicht. Die Verwalter klammer Kassen von Garmisch bis Flensburg entdeckten Cross-Border-Leasing (CBL) als vermeintlichen Heilsbringer. Das galt auch im chronisch armen, damals unter Oliver Wittke schwarz-grün regierten Gelsenkirchen.

Verkauft an einen US-Fonds und zurück-gemietet wurden das städtische Kanalnetz, 2002 dann 29 städtische Gebäude – vom Rathaus Buer bis zur Gesamtschule Ückendorf. Das teure Drama nahm seinen Lauf. Bis der Vorhang fällt, wird es dauern – bis 2041.

Erst wurde das Gelsenkirchener Kanalnetz versilbert, dann die Immobilien

Auch das Leibniz-Gymnasium in Buer ist Teil des Cross-Border-Leasing-Geschäfts.
Auch das Leibniz-Gymnasium in Buer ist Teil des Cross-Border-Leasing-Geschäfts. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

2001 flog Gelsenkirchens damaliger Kämmerer Rainer Kampmann (CDU) nach New York und schloss in den USA an die 1000 Seiten umfassende Verträge über einen vielversprechenden „Leasingvertrag” mit einen US-Investor, der über einen Steuerdeal Geld in die leere Stadtkassen spülen sollte.

Erst wurde das Kanalnetz versilbert, dann die Immobilien. 29 Gebäude, so die Angaben der Verwaltung, wechselten nach amerikanischem Recht auf Zeit den Eigentümer und wurden im zweiten Schritt direkt zurückgemietet. Der amerikanische Geldgeber konnte dies steuerlich absetzen und gab einen Teil des Gewinns an die Städte zurück.

Die SPD und Frank Baranowski hatte den Deal mit den Gebäuden anders als beim Kanalnetz damals als zu risikoreich abgelehnt. Generelle Kritik am grenzenlosen Geschäft gab es allein von Linksaußen.

Das für den amerikanischen Steuerzahler teure Schlupfloch wurde geschlossen

Über einen legalen Steuertrick flossen zunächst 21 Millionen Euro nach Gelsenkirchen. 2008, im Zuge der weltweiten Finanzkrise, wurde dann das für den amerikanischen Steuerzahler teure Schlupfloch geschlossen.

Der Finanzdienstleister AIG, der das Leasinggeschäft abgesichert hatte, wurde zudem in der Bonität herabgestuft, Gelsenkirchen musste neue Sicherheiten bringen. Vertragsstrafen in dreistelliger Millionenhöhe drohten. Die Stadt erstand zur Absicherung US-Anleihen in Höhe von 45,2 Millionen Euro, die jedoch später ohne Verlust wieder veräußert wurden. Damit wurde der „Kanalteil“ des Cross-Border-Geschäfts weitgehend verlustfrei abgeschlossen.

Zeitweilig im US-Besitz

Diese Immobilien sind – auf Zeit – nach Informationen der WAZ in US-Besitz:

Rathaus Buer, Bildungszentrum Ebertstraße, Verwaltungsgebäude Zeppelinallee 4, Kurt-Schumacher-Straße 2 und 4 sowie Vattmannstraße 11.

Schulen an der Grenzstraße 3, Mühlenstraße 15, Hagemannshof 5, St. Michael-Straße 1 und Mühlbachstraße. Leibniz-, Grillo- (plus Außenstelle), Schalker, Ricarda-Huch-, Max-Planck-, Annette-von-Droste-Hülshoff- und Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium. Gesamtschulen Buer-Mitte, Horst und Ückendorf. Berufskollegs Augustastraße 52 und 54, Grimmstraße 42, Overwegstraße 63, Goldbergstraße 58, Königstraße 1, Goldbergstraße 60 und Heegestraße 14.

Bleibt der Immobilien-Part. Die Linke, grundskeptisch beim Verkauf und der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen oder Grundstücke, fragte jüngst im Liegenschaftsausschuss nach dem Stand der Dinge und erhoffte sich Auskunft über die kommunalen Gebäude in US-Besitz. Thomas Grohé, sachkundiger Bürger für die Linke in Gelsenkirchen, wollte schlicht wissen: „Was ist mit den Dingern?“ Und wann gehören die Gebäude wieder Gelsenkirchen?

Kündigung der Verträge wurde bereits zu Beginn der Transaktionen einberechnet

Seit 2002, so die Verwaltung, liefen fünf Verträge (Trust 2002-1 bis 2002-5) für verschiedene Immobiliengruppen, insgesamt 29 Gebäude. Der früheste Kündigungstermin für die verschiedenen Schul- und Verwaltungsgebäude sei nach etwa 25 beziehungsweise 27 Jahren erreicht, für Trust 2002-1 zum 1. Januar 2033/2034, ansonsten liefen die Verträge bis Ende April 2041. Auch wenn es aktuell kein Thema ist: „Eine vorzeitige Kündigung der Verträge wurde bereits zu Beginn der Transaktionen einberechnet und entsprechende Beträge wurden verzinslicht angelegt. Zahlungsströme oder Überweisungen finden nicht mehr statt“, heißt es in der Stellungnahme der Verwaltung.

+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Gelsenkirchen verpassen? Dann können Sie hier unseren kostenlosen Newsletter abonnieren +++

Die Pflichten der Stadt halten sich auch in Grenzen: Sie umfassen jährliche Meldungen an den amerikanischen Investor sowie die beteiligten Banken und Trusts, beispielsweise durch die Übersendung des städtischen Ergebnis- und Beteiligungsplans. Zudem muss der Investor über notwendige Renovierungsmaßnahmen informiert werden.

Ex-OB Baranowski: Wir sind durch die Verträge in unserem Handeln eingeschränkt

CBL behindere Gelsenkirchen „bei der Stadtentwicklung. Wir sind durch die Verträge in unserem Handeln eingeschränkt und können nicht frei über unsere Immobilien verfügen“, analysierte der ehemalige Oberbürgermeister Frank Baranowski bereits 2008. Als SPD-Landtagsabgeordneter hatte er früh den Deal kritisiert. Lars-Martin Klieve, Kämmerer mit CDU-Parteibuch, sah das anders: Weil die Stadt für die Vertragsdauer zwar die Gebäude vorhalten müsse, über die Nutzung aber selbst entscheide, sehe er keine Nachteile. Vorbehalte hatten auch die Aufsichtsbehörden und die damalige rot-grüne Landesregierung beim Vertragsabschluss nicht. Wie der Deal tatsächlich ausgeht, wird sich in spätestens 20 Jahren zeigen.