Gelsenkirchen. Gerd Rehberg erlebt 70 Jahre Stadt- und Fußballgeschichte. Über viele Jahrzehnte prägt er sie auch mit. Aus der neuen Serie „StadtGEschichte(n)“.
Wenn Gerd Rehberg erzählt, dann möchte man endlos zuhören: Er hat nicht nur knapp 70 Jahre Stadt- und Fußballgeschichte erlebt, er hat sie über Jahrzehnte auch geprägt. Zeiten, in denen man noch nicht alles online regelt sondern zupackt, wo es nötig ist – charmante Schildbürgerstreiche, für die der heute 85-Jährige immer wieder gut ist, inklusive.
Als Gerd Rehberg am 8. Januar 1936 in Powunden in Ostpreußen geboren wird, da wirft der Nationalsozialismus bereits seine Schatten über Europa. Der ausgehende Zweite Weltkrieg stellt das Leben der Familie auf den Kopf: Im Januar 1945 reihen sich Mutter Auguste und der kleine Gerd in den Flüchtlingstreck ein gen Westen. Vater Walter ist schon vor drei Jahren im Krieg gefallen. Die beiden sind auf sich gestellt. „Man hatte ja nur, was man am Körper hatte.“ Wobei die Mutter es geschafft hat, ein Glas mit Gänseschmalz mitzunehmen, erinnert sich Gerd Rehberg. Der dient auf dem beschwerlichen Weg als kalorienreicher Proviant.
Eine schicksalhafte Begegnung
Die erste Station von Mutter und Sohn auf der Reise in ein sicheres Leben ist die dänische Hauptstadt Kopenhagen. „Da waren wir in der Turnhalle einer Schule untergebracht.“ Hier kommt es zu einer Begegnung, die Gerd Rehbergs Leben nachhaltig prägen soll: Er lernt den kleinen, fußballverrückten Jeckel kennen. „Der Junge hatte es geschafft, sein Album mit Sammelbildern zu retten. So etwas gab es damals schon. Ich weiß noch, die waren von der Zigarettenmarkte Salem“m erinnert sich Rehberg. Über diese kleinen Bildchen lernt der junge Gerd den damaligen Kader der Knappen kennen.
Der Weg der Flüchtlinge führt weiter nach Juitland in ein großes Auffanglager. „Da habe ich dann zum ersten Mal auch selbst Fußball gespielt – mit selbst gefertigten Bällen. Die Frauen haben die genäht und mit Pferdehaar gestopft. Das ging ja noch. Aber einige hatten Lumpen drin. Wenn die nass wurden, hat sich so manch ein Junge beim Spiel den Zeh gebrochen.“ Vielleicht ist auch das ein Grund, warum Gerd Rehberg das aktive Spiel nicht zur Passion wird.
Englisch fürs Leben
Dreieinhalb Jahre später finden Mutter und Sohn in Schleswig-Holstein eine Heimat. Hier steht endlich wieder ein richtiger Schulalltag an. Bislang hat der junge Gerd viel mit der Mutter gelernt. „Ich musste zwei Klassen tiefer anfangen.“ Weil er aber, wieder gemeinsam mit der Mama, so fleißig lernt, schafft er es binnen weniger Monate, zwei Klassen zu überspringen.
Dann steht der Wechsel auf die Mittelschule an. „Die hatten da alle schon zwei Jahre Englisch gehabt.“ Weil die Mutter dabei nicht helfen kann, investiert sie einen Teil des knappen Geldes in Nachhilfeunterricht. „Für 2,50 Mark die Stunde.“ Mit Erfolg.
„Mit dem Englisch kam ich auch später noch überall durch“, sagt Gerd Rehberg, lacht und gesteht: „Nur das Telefonieren war immer schwierig – weil man da die Hände nicht einsetzen konnte.“
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Bald steht der junge Mann vor der Entscheidung, wohin es ihn beruflich zieht. „Ursprünglich wollte ich zur See fahren.“ In Hamburg absolviert er mit 16 Jahren die Aufnahmeprüfung zur Ausbildung als Schiffsoffizier – und besteht, als einer von 50 jungen Männern unter 500 Bewerbern. „Im Mai 1952 sollte ich nach Hamburg auf ein Segelschulschiff. Aber die Reederei hat Konkurs angemeldet.“ Das Aus für diese Karrierepläne.
Mit dem Sonderzug nach Heisingen
„Viele meiner Freunde waren damals schon ins Ruhrgebiet gegangen in den Bergbau.“ Der ist in diesen Tagen besonders in Norddeutschland auf Werbetour, verspricht sichere Arbeitsplätze. „Da habe ich erst einmal auf der Karte nachgeschaut, wo Schalke ist und mich für die Zeche Westerholt entschieden.“
Mit dem Sonderzug für künftige Berglehrlinge geht es nach Essen-Heisingen. Dort warten die Steiger der jeweiligen Zechen auf die Neuankömmlinge. Alles klappt und Gerd Rehberg legt auf Westerholt an. „Gewohnt habe ich im Pestalozzidorf in Westerholt. Da waren die Kinder bei Hauseltern untergebracht. Ein Paar hatte sechs Jungen bei sich. Und wenn man Glück hatte, hatten die Kosteltern eine hübsche Tochter“, sagt er und lacht verschmitzt.
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Bald wird hier das politische Talent des jungen Mannes deutlich. Sein erstes Amt: Sprecher der rund 200 jungen Berglehrlinge. Er ist Mittelsmann, wenn es Probleme gibt. Während seiner Zeit als Berglehrling, Knappe, Lehrhauer, Hauer und auch später als Steiger wird er mehr und mehr zum Ansprechpartner für die Kumpel und zum Kümmerer. So nimmt er sich der ersten türkischen Gastarbeiter an. Weil er weiß, was es bedeutet, allein und fern der Heimat klarkommen zu müssen.
Zweimal noch hätte alles auch anders kommen können: „In meinem zweiten oder dritten Lehrjahr bekam ich ein Schreiben von einer Reederei aus Hamburg, ich könnte sofort anfangen auf dem Schulschiff Pamir.“ Tut er aber nicht. Zum Glück. Das Schiff nämlich sinkt wenig später im Atlantik. „Dann wär’ ich schon lange bei den Fischen.“ Einige Jahre später tut sich erneut eine Alternative zum Leben im Revier auf. „Ich war schon verheiratet, da hatte ich ein Angebot aus Stuttgart, nach Afrika zu gehen in den Goldbergbau. Ich hatte einen Kollegen, der hat das gemacht und so davon geschwärmt. Da wäre ich fast schwach geworden – aber meine Frau nicht.“
Traumhafte Wahlergebnisse
Gerd Rehberg bleibt in Gelsenkirchen und schreibt hier mehr und mehr Geschichte. Die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und in der SPD gehören für einen echten Bergmann zum guten Ton. Weil er immer den Menschen im Blick hat, ist er rasch beliebt und gefragt.
1975 wird er erstmals in den Stadtrat gewählt und macht von sich reden – mit der Forderung nach einem Tempolimit von 30 Kilometern in Wohngebieten. In Hassel setzt er diese damals recht visionäre Regelung alsbald auch durch. Natürlich ist er zuweilen unbequem für die Oberen. Stets spricht er auch unbehagliche Wahrheiten aus. Weil er aber so erfolgreich ist, führt an Gerd Rehberg in Gelsenkirchen kein Weg vorbei.
In seinem Hasseler Wahlbezirk holt er einmal 91 Prozent der Stimmen. „Zweimal hatte ich in NRW in einem Großstadtwahlbezirk das beste Ergebnis“, sagt der heute ruhelose Ruheständler und ergänzt gleich in der ihm eigenen Bescheidenheit: „Aber damals war die Parteienlandschaft auch noch anders.“
1979 wird Gerd Rehberg Bürgermeister. Ein Amt, das er 25 Jahre bekleidet – mit ganzem Herzen. Immer donnerstags hält er im buerschen Rathaus seine Sprechstunde ab, will ganz bewusst ansprechbar sein für die Menschen. „Ohne Anmeldung.“ Das versteht sich für den engagierten Kommunalpolitiker von selbst. Und die Leute kommen mit den unterschiedlichsten Anliegen. „Der eine hatte Probleme mit der Wohnung, der andere wollte über Schalke reden.“ Gerd Rehberg hört allen zu.
Sein Engagement in der Stadt und für die Stadt ist aller Ehren wert. Ausgezeichnet ist es ohnehin vielfach. „Ich habe zwei Bundesverdienstkreuze, eins am Bande und eines Erster Klasse.“ Das schmunzelt Gerd Rehberg. „Ich habe noch nie eines getragen.“ Gleiches gilt für den Ehrenring der Stadt Gelsenkirchen, der ihm einst anlässlich der zehnjährigen Mitgliedschaft im Stadtrat verliehen wurde. „Der liegt im Tresor.“ In Ehren hält er ihn dennoch. Das wird sogleich deutlich als er erzählt, in einer Verkaufssendung für alte Schätze im Nachmittagsfernsehen sei einmal jemand mit dem gleichen Ring gewesen. „Der hat den da für 800 Euro verkauft. Das gehört sich nicht.“
Ein Drittel des Trio infernal
Gerd Rehberg legt, gemeinsam mit anderen, auf Schalke den Grundstein für das neue Jahrtausend.
Dieses Trio infernal ist unvergesslich: Finanzvorstand Jupp Schnusenberg, Manager Rudi Assauer und, natürlich, Präsident Gerd Rehberg. Gemeinsam führen sie den Verein in ein neues Jahrtausend, schaffen Unglaubliches und setzen sich mit der Arena ein Denkmal in der Stadt.
Nie wird Gerd Rehberg seine ersten Stadionbesuche vergessen. „In der Glückauf-Kampfbahn gab es damals Lokalderbys am laufenden Band“, erinnert er an eine Zeit, in der der Fußball noch mehr in der Region zu Hause war, in der auch viele Nachbarstädte erfolgreiche Clubs hatten. Nur wenige sind heute noch deutschlandweit bekannt. Ob er sich an sein erstes Spiel erinnert? Na klar: „Da haben wir gegen die Sportfreunde Katernberg gespielt – und die Bude war voll.“ Schalke wird fester Bestandteil des Lebens des jungen Mannes. „Ich bin immer hin.“
Bis er jedoch Vereinsmitglied wird, soll es noch lange dauern. „Besonders, als ich in den Stadtrat gekommen bin, wurde mir davon abgeraten.“ Aus Sorge, Gerd Rehberg könne bei Abstimmungen befangen sein. Zum Jahresbeginn 1987 folgt er dann doch seinem Herzen – und muss sich bei manch einer Abstimmung im Sportausschuss geschlossen halten. Egal.
In der Krise wird er gebraucht
Anfang der 90er Jahre kriselt es auf Schalke. „Da gab es hier riesige Probleme.“ Die Vereinsoberen erinnern sich an den engagierten wie kreativen Kommunalpolitiker. „Da bin ich von Rudi Assauer und Jürgen Möllemann, der von der FDP; der war damals auch noch dabei, gefragt worden, ob ich Präsident werden will.“
Gerd Rehberg
Gerd Rehberg war bis 2004 Bürgermeister der Stadt, bis 2007 Vorsitzender des FC Schalke 04. Seit 2007 ist er Ehrenpräsident.
Bis heute ist er seinem Stadtteil treu geblieben, seiner Stadt und seinem Club – samt zahlreicher Einsätze. „Mit Ruhe ist nichts“, sagt er und lacht.
Damals ist das ein durchaus abenteuerlicher Posten. Denn weil noch durch die Mitgliederversammlung bestimmt, wechseln die Herren in diesem Amt häufiger. „Diese Versammlungen hatten einen hohen Unterhaltungswert“, erinnert sich auch Gerd Rehberg. „Das ging so nicht weiter. Deswegen war die einzige Bedingung, dass wir gemeinsam die Satzung ändern und der Vorstand künftig vom Aufsichtsrat bestimmt wird.“ Das Angebot reizt den Hasseler durchaus. Doch er will mit der Familie darüber sprechen. „Meine Frau hat gesagt, du bist verrückt.“ Vielleicht stimmt er gerade deswegen zu.
Eine Herausforderung: „Wir hatten damals einen Etat von 28 Millionen Mark. Dem gegenüber standen Schulden in Höhe von 19 Millionen. Schalke ging es schlecht. Aber wir haben die Ärmel hochgekrempelt mit einer echten Malocher-Mentalität.“
Die, wirft er ein, brauche es auch in der jetzigen Situation wieder. „Wir haben wirklich viel angepackt. Und wir waren doch ein ganz guter Vorstand, oder? Natürlich haben wir auch Glück gehabt mit dem UEFA-Cup 1997.“ Trotzdem, hinter den Kulissen seien die Sorgen zuweilen groß gewesen. „Was meinen Sie, wie viele Bettelgänge Rudi und ich gemacht haben. Manchmal hatten wir kein Geld für das Waschmittel, mit dem die Trikots gewaschen wurden.“
Die FIFA an der Nase herum geführt
Der Einsatz lohnt sich. Auch der von Gerd Rehberg. „Ich hatte damals einen ganz guten Draht zum Ministerpräsidenten Wolfgang Clement. Über den sind wir an die Landesbürgschaft gekommen für den Bau der Arena.“ Was dabei hilft ist auch die Aussicht auf die WM im eigenen Lande – kleine Streiche inklusive.
Als nämlich Ende der 90er Jahre Vertreter der FIFA nach Gelsenkirchen kommen, das Gelände für den Austragungsort der WM zu besuchen, wollen die Herren beeindrucken. Obwohl ein Beginn der Baumaßnahmen noch gar nicht absehbar ist, schaffen sie über Nacht ein paar Bagger heran. Nachdem sie Orte eventueller Blindgänger ausgemacht haben, lassen sie die großen Maschinen in sicherer Entfernung ein paar Löcher buddeln. Die FIFA-Offiziellen sind schwer beeindruckt. Kurz nach ihnen verschwinden auch die Löcher wieder. Sie werden einfach zugeschüttet. Ihren Zweck haben sie ja bereits erfüllt.
Es sei eine gute Zeit gewesen, sagt der heutige Ehrenpräsident im Rückblick. Und dennoch: „Ich war oft nah dran, alles hinzuschmeißen. Mit Assauer war es auch nicht immer einfach. Aber ich gehöre nicht zu den Menschen, die einfach gehen. Ich bleibe, solange ich gebraucht werde.“