Gelsenkirchen. Nach den Osterferien werden fast alle Schüler wieder zu Hause unterrichtet. Gelsenkirchener Eltern reagieren mit Kritik – und mit Verzweiflung.

Seit Donnerstagnachmittag ist klar: Fast ausnahmslos alle Schülerinnen und Schüler in NRW, Abschlussklassen ausgenommen, werden nach den Osterferien nicht in ihre Klassenräume zurückkehren. Wieder mindestens eine Woche Distanzunterricht, wieder die Frage: Wer kann mein Kind betreuen? Und: Wie kann ich ihm im Homeschooling die Unterstützung geben, die es braucht? Gelsenkirchener Eltern und Lehrer sind über die jüngsten Beschlüsse der schwarz-gelben Landesregierung gar nicht glücklich.

Wieder Distanzunterricht: Wut und Verzweiflung bei Gelsenkirchener Eltern

„Das Verständnis unter Eltern ist mittlerweile bei Null“, sagt Jan Klug, Gelsenkirchener Stadtschulpflegschaftsvorsitzender, dessen Kind die Albert-Schweitzer-Förderschule besucht. Seit einem Jahr sei es immer wieder das gleiche: Man gehe in die Ferien und erfahre nur sehr kurzfristig von der Politik, wie es danach weitergehen soll. „Wer es schafft, von Freitag auf Montag eine Betreuung für seine Kinder zu organisieren, ist in einer sehr privilegierten Situation“, sagt Klug bitter.

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Er kenne sowohl Befürworter von Distanz- als auch von Präsenzunterricht. Eines hätten aber alle Eltern gemeinsam. „Sie ärgern sich, weil Planungssicherheit absolut nicht vorhanden ist“, betont Klug. Denn im Homeschooling sei ja nicht bloß die pure Anwesenheit eines Erwachsenen nötig. „Viele Schüler brauchen nicht nur eine Aufsicht, sondern Unterstützung bei den Aufgaben.“ Das gelte vor allem für Förderschüler: „Ihnen kann man dieses Hin und Her – mal Schule, mal Distanzunterricht – kaum noch vermitteln.“

Durch kurzfristige Ansagen geraten Eltern und Schulen extrem unter Druck

„Die Landespolitik ist unmöglich“, sagt auch Tanja Bartußek, Mutter eines 15-jährigen Schülers an der Gesamtschule Berger Feld. „Durch diese kurzfristigen Ansagen geraten Eltern und Schulen extrem unter Druck.“ Sie selbst sei froh, dass sie in dieser Situation keine jüngeren Kinder zu betreuen habe. Und auch der Distanzunterricht klappe eben nur „mehr oder weniger gut.“ Das sei stark vom Lehrer abhängig.

Präsenzunterricht ab 19. April geplant

Nach der ersten Schulwoche im Distanzunterricht soll es für NRW-Schüler ab 19. April – sofern es das Infektionsgeschehen zulässt – wieder in den Wechselunterricht (also eine Mischung aus Homeschooling und Präsenzunterricht) gehen.

Im Präsenzbetrieb der Schulen wird es eine grundsätzliche Testpflicht für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und weiteres Personal an den Schulen geben. Zwei Selbsttest pro Woche sollen dann durchgeführt werden.

„Manche machen regelmäßig Videokonferenzen, manche aber gar nicht. Ich würde mir wünschen, dass es da einheitliche Vorgaben geben würde“, kritisiert die Mutter. Denn so gingen bei vielen Schülern die klaren Strukturen verloren: „Wenn sie nicht um 8 Uhr vor dem Laptop sitzen müssen, spielen viele natürlich nachts Playstation und schlafen dann aus.“

„Es muss etwas geschehen, endlich! Es geht um unsere Kinder!“

Und wie sehen es die Eltern von Grundschülern? Gar von Erstklässlern, die gefühlt noch gar nicht richtig in der Schule angekommen durften? Samah Yousuf, ihre Kinder besuchen die erste und zweite der GGS Heistraße, beschreibt die Stimmung in ihrer Familie so: „sauer, wütend, traurig“. „Man ist überfordert und die Stimmung unter den Eltern ist gar nicht gut“, sagt die Schulpflegschaftsvorsitzende. „Man kommt definitiv an seine Grenzen und ist aus der Puste“, sagt Samah Yousuf auch und fordert: „Es muss etwas geschehen, endlich! Es geht um unsere Kinder!“

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Von Matthias Korfmann und Stephanie Weltmann

Miriam Weber*, ebenfalls Mutter von zwei Kindern im Grundschulalter, in der ersten und dritten Klasse, fühlt sich „so hilflos und ausgeliefert“. Sie fragt sich, was in diesen Zeiten „den Kindern noch alles zugemutet wird und wie wir das als Eltern noch auffangen können“. Die 36-Jährige hat überhaupt kein Verständnis dafür, „dass man die Jüngsten so auflaufen lässt“. Als Alleinerziehende spüre sie häufig auch Verzweiflung – und ihren Kindern merkt sie an: „Meine Kinder leiden sehr offensichtlich, sie vermissen ihren Alltag, die Freunde, einfach alles.“

Für viele Eltern ist die Situation seit einem Jahr wie ein ständiger Drahtseilakt

Jennifer Pauls Forderung ist eine, die alle Eltern sofort unterschreiben würden: „Unsere Kinder sollten wieder ganz normal leben können“, sagt sie in diesem zweiten April in Folge in der Pandemie. Von der Politik und den Verantwortlichen ist sie enttäuscht: „Sie hatten lange genug Zeit, sich etwas zu überlegen“, sagt die 31-Jährige. Das Leben ist für Jennifer Paul mit zwei Kindern jeweils in der ersten und zweiten Klasse und einem kleineren Geschwisterchen aktuell ein „Drahtseilakt“ – „man fühlt sich für alles verantwortlich“.

„Ich finde es sehr schade, dass gerade Schüler mit besonderem Förderbedarf zurückgeworfen werden“, betont Johannes Bellebaum. Der Lehrer für Deutsch und katholische Religion unterricht an der Gesamtschule Ückendorf sogenannte IFö-Klassen mit Schülern, die gerade erst nach Deutschland gekommen sind. Man habe sich vorab auf die Möglichkeit vorbereitet, dass nach den Osterferien alle Kinder wieder von zu Hause unterrichtet werden, berichtet er: „Wir haben noch einmal versucht, technische Hürden zu beseitigen, zum Beispiel mit den Kindern geübt, wie man in die Videokonferenz kommt.“

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Doch viele Probleme blieben eben weiter bestehen – zum Beispiel ein fehlender Internetzugang zu Hause. „Manche erreichen wir momentan nur mit Arbeitsblättern per Post. Für die Schüler aus den IFö-Klassen, die gerade die Buchstaben lernen, ist so eine Arbeitsweise sehr schwierig“, sagt Bellebaum. Er habe nach allen Vorbereitungen nun die Hoffnung, zumindest mehr Schüler zu erreichen als in der letzten Homeschooling-Phase.

* Name geändert. Vollständiger Name der Redaktion bekannt.