Gelsenkirchen-Buer. Das Wirtschaftsmodell Wochenmarkt erlebt durch Corona in Gelsenkirchen eine Renaissance – auch als ältestes soziales Netzwerk.

Auf dem buerschen Wochenmarkt herrscht reges Treiben. Soweit das in diesen Zeiten möglich ist. Menschen warten in langen Schlangen und mit viel Abstand, bis sie an der Reihe sind, sich mit Gemüse, Käse, Fleisch oder Fisch für das Wochenende einzudecken. Einige nutzen die Wartezeit, mit dem Hintermann ein paar Worte zu wechseln. Andere schwatzen im Vorübergehen ein paar Minuten mit Bekannten.

Monika Strock und Andreas Heyer sind einander zufällig begegnet, warten beide in der Schlange eines Fleischhändlers. „Wir haben uns schon länger nicht gesehen“, erzählt sie. „Und haben uns trotzdem erkannt“, scherzt er. Denn jetzt, im Winter, sind die meisten so dick eingepackt, dass nur die Augen nicht verdeckt sind von Kleidung oder Mundschutz.

Ein Treffpunkt für Menschen aus Gelsenkirchen-Buer

Beide sind Stammkunden auf dem Markt, kommen regelmäßig her. Derzeit aber wissen sie das Angebot noch mehr zu schätzen. „Ich treffe immer wieder alte Kollegen hier“, verrät Monika Strock, dass sie als Lehrerein arbeitet und als solche noch relativ viele Kontakte habe. Schnell wird deutlich: Der Wochenmarkt ist in Coronazeiten wieder ein Erfolgskonzept und fungiert nicht nur als Wirtschaftsraum im Freien, er erlebt ebenso eine Renaissance als das ursprünglichste soziale Netzwerk und lokales Nachrichtenportal.

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Davon weiß auch die Obst- und Gemüsehändlerin Cristina Liverani-Müller zu berichten. Besonders ältere Menschen kämen auch, um beim Einkauf ein bisschen zu klönen. „Wir haben zum Beispiel eine ältere Kundin, die ist sehr traurig, weil sie ihre Enkel und Urenkel nicht sehen kann. Sie hat oft Tränen in den Augen. Ich weiß das und suche immer das Gespräch mit ihr. Man spürt schon, die Leute brauchen das.“

„Menschen brauchen soziale Kontakte“

Und nicht nur die älteren Menschen bedürften der Aufmunterung. „Es kommt auch ein Mädchen mit seiner Mutter zu uns, das darf nicht in die Kita. Einmal stand sie bei mir und weinte dicke Tränen. Seitdem kommen die beiden an jedem Markttag her und wir erzählen uns etwas.“ Weil sie so berührt gewesen sei, habe sie dem Mädchen vor einiger Zeit Malzeug geschenkt, erzählt Cristina Liverani-Müller. „Jetzt bringt sie mir immer ein Bild mit. Zu Hause habe ich schon eine ganze Mappe voll.“ Der Alltag der Markthändler habe sich durch Corona somit schon geändert. „Menschen brauchen soziale Kontakte, brauchen Gesellschaft“, sagt sie und lacht: „Und ich als Italienerin besonders.“

Beim Gang durch die Reihen fällt ein neuer Stand auf. Er bietet italienische Spezialitäten an. Auch dahinter steckt eine Corona-Geschichte: „Wir hatten eine Eisdiele in Herne“, berichtet Julia Serra von „Bella Italia“, man habe geschäftlich umdisponieren müssen. In Dortmund betreibe die Familie zudem ein kleines Geschäft mit italienischen Leckereien. Es wird in den schwierigen Monaten zum Grundstein einer neuen Idee: Mit mehreren Marktständen ist man nun unter der Woche in der Region unterwegs, um so das wirtschaftliche Fortbestehen zu sichern. „Man muss ja überleben.“ Das immerhin klappt. Ob Mandelgebäck, Wurstwaren oder Käse, die Ware kommt an. „Wer einmal gekauft hat, kommt auch wieder.“

Fotos zeigen vom neuen Badezimmer

Weiter geht die Runde. Manchmal ist es schon schwierig zu verstehen: Wo nun ist ein Laufweg abgesperrt, wo beginnt die Absperrung für einen Stand und wie führt die „Einbahnstraße“ nun von wo nach wo? Aber die meisten Kunden kennen ihren Weg bereits, steuern zielstrebig „ihren“ Stand an und warten geduldig in der Schlange.

Am Fischstand von Elke Ritter zeigen sich Händlerin und Kunde gegenseitig Handyfotos. „Von unseren neuen Badezimmern“, sagt Detlev Knebel und lacht. Zumal beide das Werk der jeweiligen Söhne seien, verrät er. Auch, dass er, selbst ein Westerholter, schon seit Jahren regelmäßig auf dem Wochenmarkt einkaufe. „Wegen dem Quatschen.“ – „So war es ja auch schon immer auf dem Markt“, sagt Elke Ritter, die viele ihrer Kunden mit Namen kennt. Nur kämen jetzt, zu Coronazeiten, eben noch mehr Menschen her und wüssten diese besondere Atmosphäre zu schätzen.

So viele Märkte gibt es in Gelsenkirchen

Märkte sind die älteste Form des Wirtschaftens an einem dafür vorgesehenen Ort. Sie haben eine jahrtausende lange Geschichte. Einer der ältesten deutschen Wochenmärkte befindet sich in Trier. Er wurde bereits im Jahr 958 eingerichtet.

Auf Gelsenkirchener Stadtgebiet gibt es immerhin zehn Wochenmärkte. Sie sind unterschiedlich groß und finden an unterschiedlichen Tagen statt, manche nur einmal, dreimal in der Woche. Der buersche Wochenmarkt gilt als am meisten belebter in der Stadt.

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