Gelsenkirchen. Auch in Gelsenkirchen leiden die Friseure unter dem Corona-Shutdown, sehen auf Dauer ihre Existenz bedroht. Was drei Friseur-Meister dazu sagen.
Alle Rücklagen aufgebraucht, vielleicht auch schon die Altersvorsorge: „Es ist eine existenzbedrohende Situation“, sagt Holger Augustin über den zweiten Corona-Shutdown. Der Gelsenkirchener Friseur weiß, wovon er da gerade spricht, ist er doch auch der Obermeister der Friseur Innung Emscher-Lippe-West. Und auch Augustins Salon ist wie alle anderen in dieser Stadt, diesem Land seit dem 16. Dezember: geschlossen. Bis auf Weiteres. Ohne Aussicht auf baldige Öffnung.
30 Prozent der Friseurbetriebe werden es nicht schaffen
Es schaut düster aus, um dieses Dienstleistungsgewerbe. Rund 80.000 Friseurläden gibt es in Deutschland, mit rund 260.000 Mitarbeitern. 300 Betriebe davon in Gelsenkirchen, so Augustin. „Wir sind eine große Branche, allerdings mit vielen kleinen Einzelbetrieben“, so Augustin. Und genau da liege das Problem: Viele der kleinen und kleinsten Läden sind finanziell gar nicht auf das vorbereitet, was sie seit einem Jahr Corona-Pandemie erleben und tragen müssen. Wie auch?
Augustin rechnet damit, dass es 30 Prozent der Betriebe treffen wird. „Finanziell ist es fatal“, sagt auch Augustins Kollege aus dem Nordwesten der Stadt, Thomas Grewer. Die finanziellen Hilfen, auf die nun endlich auch die Friseure dieses Landes bauen könnten – „kann man noch gar nicht beantragen“, so Grewer, der einen Salon in Resse betreibt.
Mitarbeiter in Kurzarbeit, Überbrückungshilfe lässt auf sich warten
„Die Abschlagszahlungen und die Antragstellung starten im Monat Februar 2021“, heißt es auf der Internetseite des Bundeswirtschafts- und Finanzministeriums zur so genannten Überbrückungshilfe III. Und weiter: „Die regulären Auszahlungen starten im Monat März 2021.“
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Die Aktion „Licht an!“
In vielen deutschen Städten, auch in Gelsenkirchen, haben sich die Friseure am letzten Januarwochenende, von Sonntag, 31. Januar, bis Montag, 1. Februar, an einer besonderen Aktion beteiligt.
Unter dem Titel „Licht an!“ wollte die Branche auf die wirtschaftliche Lage der Friseurbetriebe im Corona-Shutdown hinweisen. Eine ganze Nacht lang ließen die Friseure in ihren leeren Salons das Licht an.
Auf die November- und Dezemberhilfen haben die Friseurbetriebe übrigens keinen Anspruch. Der Grund: In beiden Monaten, auch wenn sie im Dezember nur bis zum 16. öffnen durften, hatten sie Einnahmen.
Augustin und Grewer, sie beide haben ihre Mitarbeiter in die Kurzarbeit geschickt. Und auch das ist wieder ein weiterer Posten, der ins Kontor schlägt. Denn: Das Jobcenter zahlt das Kurzarbeitergeld nicht direkt an die Angestellten, sondern rückwirkend an den Arbeitgeber. Bedeutet: Augustin, Grewer und all die anderen Friseursalonbetreiber dieser Republik gehen erstmal in Vorleistung für ihre Mitarbeiter.
Thomas Grewer: „Die finanziellen Sorgen fressen einen auf“
„Irgendwann ist der finanzielle Rahmen ausgeschöpft“, sagt Thomas Grewer – und spricht nicht nur für sich, sondern all seine Kollegen. Denn gerade in den Monaten Januar und Februar „werden die Hauptkosten fällig“, sagt Holger Augustin, wie beispielsweise Versicherungen und andere feste Posten.
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Das erlebt auch Sven Arrivabene, der seit 22 Jahren in der Selbstständigkeit lebt, einen Salon in Erle betreibt und stellvertretender Obermeister der Innung ist. Er habe, das sagt er im Gespräch, noch ganz gut vorsorgen können, habe in den vergangenen Monaten sehr sparsam gewirtschaftet. „Ich habe viel Kontakt zu Kollegen, viele von ihnen sind am Limit, wissen nicht, wie sie ihre Miete zahlen sollen“, berichtet Arrivabene aber auch.
Sein Kollege Thomas Grewer sieht es so: „Man hat natürlich Ängste und Sorgen.“ Aber noch schaffen auch sie es. Grewer musste bereits einen größeren Kredit aufnehmen, sein Vorteil: Das Haus, in dem sich sein Salon befindet, ist sein Eigentum. Dennoch sagt er: „Die finanziellen Sorgen fressen einen auf.“
Viele der Stammkunden kamen für die sozialen Kontakte zum Friseur
Holger Augustin antwortet auf die Frage, ob er seine persönliche Existenz bedroht sieht, mit einem „Jein“. Auch er hat einen Kredit genommen, bei seiner Hausbank, fragt sich aber häufiger: „Was kann ich mir noch leisten?“. Er sagt dennoch: „Noch kommen wir ganz gut klar.“
Augustin und Grewer tut es auch und vor allem leid um ihre Stammkunden, um die, die schon vor der Pandemie wenige soziale Kontakte hatten, sich immer auch in den Friseursalon gesetzt haben, um ein bisschen zu reden, zu plaudern, ja, etwas loszuwerden.
Keine Lobby, keine Unterstützung: „Alle arbeiten weiter, bis auf die Friseure“
Und einen weiteren Aspekt sehen die Friseure: den der Hygiene. Die Kundin, die jede Woche kommt, um sich die Haare waschen und später frisieren zu lassen. „Viele können sich nicht mehr selber die Haare waschen“, so Augustin, und nutzen den Service gerne und regelmäßig. Es sei auch der sozial-gesellschaftliche Part, der die Arbeit der Friseure so wichtig mache.
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„Wir kommen tatsächlich zu kurz“, schildert Holger Augustin seinen Eindruck. So wie eine Gruppe ohne Lobby, ohne Unterstützung, irgendwie durchs Raster gefallen. Sven Arrivabene beklagt die fehlende Empathie seitens der Behörden – und, dass den Selbstständigen „überhaupt keine Wertschätzung entgegengebracht“ werde.
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Eine Perspektive gibt es für die Friseure nicht
Thomas Grewer ist sich sicher: Wenn sich die Politik für einen richtigen, harten Lockdown entschieden hätte, alles runtergefahren worden wäre – hätte das Virus weniger Chancen, sich auszubreiten. Und er fügt hinzu: „Im Endeffekt arbeiten alle weiter, bis auf die Friseure.“
Eine Aussicht, eine Perspektive? Arrivabene, Augustin und Grewer wissen nicht, ob sie tatsächlich ab dem 15. Februar wieder Haare schneiden können. Wünschen würden sie es sich sehr: „Wir hängen so in der Luft“, so Sven Arrivabene. Doch ein bisschen was Gutes, Tröstliches bleibt, in den Worten von Holger Augustin, mit Blick auf die kommenden Wochen: „Wir können ja nur positiv denken, was wollen wir machen?“.
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