Gelsenkirchen. “In Horst trifft man Freunde“: Das Motto des Gelsenkirchener Stadtteils gilt auch im Lockdown - allerdings nur auf dem Wochenmarkt

"In Horst trifft man Freunde" - das sagen die Einwohner des Stadtteils gerne und oft. Es gilt auch noch jetzt, in dieser unwirklichen Zeit. Eingeschränkt, versteht sich. Wer aber am Mittwoch über den Markt geht, erkennt viele Gesichter. „Das geht hier gar nicht anders“, sagt Joachim Gill. Er muss es wissen: Er ist Horster, örtlicher Bezirksbürgermeister - und Marktgänger. Weil auch er froh ist, an diesem einen Tag in der Woche zwanglos mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

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Heute hat nicht jeder Lust, lange im Freien zu verweilen. Es regnet nicht stark, aber ohne Unterlass. Dennoch sind viele Stände vor Ort, ebenso wie etliche Kunden. Barbara Waleda etwa ist mit Hund Erni unterwegs. Beide schützt jeweils ein Regenmantel vor dem fiesen Nieselregen. Gerne komme sie her, sagt die Horsterin. „Oft verabrede ich mich hier mit einer Bekannten. Wir gehen auf den Markt und drehen eine Hunde-Runde durch den Schlosspark.“

Markthändler zu sein, das ist Einstellungssache

Am großen Gemüsestand der Familie Pottbäcker ist einiges los. Hier bedient Monika Tolksberg. Sie erzählt, mit Corona, mit den vielen Einschränkungen, habe sich ihr Berufsalltag schon gewandelt. „Wir haben gelernt, uns Zeit zu nehmen.“ Das gelte für die Kunden, die nun überall anstehen und viel Geduld aufbringen müssen. Das gelte aber auch für sie selbst, die sich nun viel mehr Zeit für die Kunden nehme. Insbesondere für ältere Menschen, die neben dem Gemüse auch ein kurzes Gespräch suchen. „Die erzählen auch viel Privates – und wir hören geduldig zu.“ Markthändler zu sein sein, das sei schließlich Einstellungssache. „Man muss mit Herz und Seele dabei sein.“

Manch einer kann jedoch auch den paar netten Momenten auf dem Markt nichts mehr abgewinnen, der Einschränkungen wegen. „Ich komme nur her, wenn ich muss“, sagt Wolfgang Eilmes. „Schon alleine der Maske wegen. Da beschlägt immer die Brille.“

Am meisten ist am Fischstand los

„Die Menschen sind sehr vorsichtig geworden“, beobachtet Petra Schlüter, Seniorenberaterin und Nachbarschaftsstifterin aus Horst. Um im Lockdown Präsenz zu zeigen, geht auch sie regelmäßig auf den Markt. Und schon grüßt sie hier und winkt da und hat dann einen guten Tipp, wo auf dem Horster Markt das meiste Leben stattfindet: An einem Stand an der Essener Straße.

Dorthin geht es vorbei an der geöffneten Seitentüre von St. Hippolytus. „Die Kirche ist zu Marktzeiten immer geöffnet", sagt Petra Schlüter. „Das ist in diesen Zeiten auch wichtig. Hier können die Menschen auch mal Schutz suchen vor dem Regen und ein Stoßgebet nach oben schicken, damit der Spuk bald vorüber ist.“

Die kleinen Besonderheiten des Alltags

Tatsächlich steht gleich neben dem Gotteshaus ein Stand, vor dem die Menschen in gleich zwei langen Schlangen anstehen. Es ist der Fischstand „Pickmann“, dessen Angebotspalette für viele Horster in Zeiten des Lockdowns zu einem wöchentlichen Höhepunkt geworden ist.

Eine Dame ordert gerade heißen Backfisch und eine Portion Matjessalat. Das mache sie derzeit jede Woche so. „Das ist ein kleines Corona-Ritual geworden.“ Die nächste Dame steht mit einer Bekannten in der Reihe. Es solle heute, so erzählt sie, ein kleiner Feiertag mit frischem Backfisch werden. Eine kleine Abwechselung im tristen Alltag dieser Tage. Ein Marktbesuch, sagt sie, sei immer ein Erlebnis.

Auf dem Horster Markt werden auch Zukunftspläne geschmiedet

So sieht es auch Mario Caniglia. Ihn treffen die Kontaktbeschränkungen doppelt hart. Zum einen ist er Musiker, steht normalerweise als Sänger auf der Bühne. Zum anderen ist er Italiener – mit der so typischen Liebe zu großen Gesellschaften. „Sonntags haben wir uns immer mit der ganzen Familie, das sind etwa dreißig Personen, zum Mittagessen getroffen." Das geht jetzt nicht mehr. Also bleibt auch ihm nur der Gang über den Markt. „Ich bin so alt geworden und ich kann mich nicht erinnern, in meinem Leben schon einmal so lange und so oft untätig auf dem Sofa gesessen zu haben.“

Und so plaudert er denn auch sogleich freudig mit Petra Schlüter, erzählt, dass er sogar zu Hause Hemmungen habe, seiner großen Leidenschaft, dem Singen italienischer Klassiker, nachzugehen. „Was sollen denn die Nachbarn denken? Es sind so schlimme Zeiten, so viele Menschen sterben, und der singt in seiner Wohnung Lieder.“ Ein Wort gibt das andere und schon steht ein großer Plan: Wenn die Pandemie einmal erfolgreich überwunden ist, dann wollen die beiden engagierten Horster an einem Strang ziehen, eine große Party organisieren mir reichlich italienischer Musik – für sich selbst und die ganzen Horster Freunde.

>> INFO: Sonst auch Textilien

- Der Horster Markt ist eine echte Institution und, so betonen die Horster stolz, der zweitgrößte der Stadt. Zumindest in normalen Zeiten.

- Dann nämlich werde das Angebot durch zahlreiche Textilhändler ergänzt, die nicht nur Kleidung anbieten, auch Heimtextilien bis hin zu Gardinen. Das allerdings ist derzeit nicht gestattet.

- In Horst gibt es einen zweiten Wochenmarkt, immer freitags an der Harthorststraße. Dieser ist jedoch wesentlich kleiner.