Gelsenkirchen. Am Sonntag wäre mit der Ritterkür der Startschuss für den Karneval gefallen. Den Jecken bleibt nur Karnevalsmusik und viel Wehmut.

In diesen Tagen wäre der Startschuss gefallen für die Hochzeit des närrischen Treibens an der Emscher: Es hätten fortan wöchentlich Sitzungen stattgefunden, die fünfte Jahreszeit hätte das Leben aller Narren beherrscht. In diesem Jahr aber bleiben die Säle leer und still - und zwar Corona-bedingt. Ein echter Jeck jedoch lebt seine Leidenschaft ganzjährig und auch ohne tolles Treiben aus. Selbst in der Pandemie – zumindest ein bisschen, erzählt Hans-Georg Schweinsberg, der Geschäftsführer des Festkomitees Gelsenkirchener Karneval.

„Ich bin jetzt seit 50 Jahren im Karneval aktiv“, erzählt er und gesteht sogleich, jetzt, wo es üblicherweise losginge, fehle ihm das närrische Treiben doch sehr. „Der Rhythmus ist total unterbrochen. Dass es für mich so schlimm wird, hätte ich nicht für möglich gehalten.“ Zumal man ja bereits vor langer Zeit entschieden habe, gemeinsam und konsequent dem jecken Leben zu entsagen – solange es nicht in den eigenen vier Wänden und im engsten Familienkreis stattfindet.

Karneval ohne Bützen? Das geht eigentlich gar nicht

„Ich bin ein lustiges Kerlchen.“ Und so versuche er, weiterhin Kontakt zu halten zu all den vielen Wegbegleitern. „Wir telefonieren viel, haben kürzlich sogar eine Vorstandssitzung im Videochat gemacht. Aber das ist nicht wie sonst, man kann sich nicht drücken. Das fehlt schon sehr.“ Karneval ohne Bützen, das geht eben eigentlich gar nicht. Mit seiner Wehmut stehe er auch nicht allein da, erzählt Schweinsberg. „Ich habe oft Kontakt zum Karnevalsprinzen Bill aus Chicago. Der rief mich an und sagte, er wäre so gern wieder nach Gelsenkirchen gekommen an Weiberfastnacht. Das wird ihm sehr fehlen.“

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Und ist denn nicht eine Online-Sitzung denkbar in einer Zeit, in der sogar Firmenfeiern auf Distanz stattfinden? „Wir haben mit dem Gedanken gespielt – und ihn verworfen. Es dürften ja noch nicht einmal die Garden tanzen.“ Und Karneval ohne Garden, das geht eben auch nicht. „Nur den Sitzungspräsidenten, das will sich keiner ansehen“, stapelt der Vollblut-Jeck tief.

Ihm bleibt nur die Karnevalsmusik in seinem Arbeitszimmer

Denn die Leute blendend zu unterhalten, das beherrscht er sehr wohl. In der Bütt nämlich vereint er Talent und Leidenschaft, zuweilen sogar aus dem Stegreif. Dann schreibt er schon mal ein paar flotte Reime auf einer Serviette nieder und trägt sie danach launig vor. Online aber sei das für ihn unvorstellbar. „Wenn die Leute vor mir im Saal sitzen, genau das ist mein Ding. Aber wenn das aufgezeichnet wird und man sich dann auch noch selbst sieht – oh, Gott!“

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So bleibt Schweinsberg nur die Karnevalsmusik. Die laufe zwar nicht im Familienwohnzimmer, dafür in seinem Arbeitszimmer aber umso öfter. Und das ganzjährig. „Da sind wir als Familie etwas ungewöhnlich: Meine Tochter hört schon mal im Sommer Weihnachtsmusik. Und ich habe schon zu kölschen Tönen den Tannenbaum geschmückt.“ Soll heißen: Gehört wird, was das Herz erfreut.

Die Narrenkappe bleibt in diesem Jahr ganz sicher unter Verschluss

Bleibt noch die Frage, wie Hans-Georg Schweinsberg die tollen Tage verbringt, die für die Jecken in dieser Corona-Session 2020/21 so trüb wie nie verlaufen werden. „Ich denke, die Trauer wird bis dahin immer schlimmer werden. In diesem Jahr bleibt die Narrenkappe also auf jeden Fall unter Verschluss.“ Ob er wirklich nicht versucht sei, mit der Pappnase im Gesicht an Karneval auf dem Sofa in Erinnerungen zu schwelgen? „Wenn ich in diesem Jahr an Weiberfastnacht die Kappe aufsetze", antwortet er und lacht, "dann erklärt mich meine Frau für verrückt“.

Traditionell fällt der Startschuss für des jecke Treiben an der Emscher mit der „Ritterkür“ des KC Astoria am ersten Sonntag nach dem Dreikönigstag. Übervoll wäre der närrische Terminkalender gewesen, liegt doch Rosenmontag diesmal sehr früh - und zwar auf dem 15. Februar. So kurz die Session gewesen wäre, so heftig ist die Zeit der Trauer der Jecken in der Stadt.