Gelsenkirchen-Erle. Im November erkrankten Annika Wahl und ihr Ehemann an Covid-19. Noch immer hat die Yogalehrerin mit den Spätfolgen zu kämpfen.
Annika Wahl ist, wenn es so etwas gibt, das Gegenteil von Risikogruppe. Die 38-jährige Bueranerin ist kerngesund und ausgesprochen sportlich. Früher hat sie in der Hockey-Bundesliga gespielt, inzwischen leitet sie das Yoga-Studio „Yoga Street“ in Gelsenkirchen-Erle. Aber wenn sie heute Treppen steigen muss oder mit zwei Einkaufstüten an der Hand durch den einsetzenden Regen nach Hause eilt, dann bleibt ihr oft die Luft weg. Das geht so seit November – seit sie an Covid-19 erkrankte. Noch immer kämpft sie mit den Folgen.
Man sieht es ihr nicht an. Den Videochat mit der WAZ führt sie zwischen zwei Online-Kursen von der Yogamatte aus ihrem Studio, sie wirkt gesund, fit und entspannt, demonstriert sogar einmal kurz einen schwierigen seitlichen Handstand. Doch es war ein langer Weg zurück. Während ihrer Covid-Erkrankung im November hat sie per Instagram Tagebuch geführt, Gedanken festgehalten, kurze Videos gedreht. Ihre Instagram-Story sollte Pflichtlektüre für alle die sein, die immer noch dem Irrglauben anhängen, bei Corona handele es sich um eine „harmlose Grippe“.
Diese Symptome hatten die beiden Gelsenkirchener
Wo sie sich infiziert hat, weiß sie: „Mein Mann hat sich auf seiner Arbeitsstelle angesteckt – und dann das Virus wohl unwissentlich an mich weitergegeben.“ An einem Samstag im November entwickelte er Symptome. Die beiden begaben sich vorsorglich in Quarantäne, Annika Wahls Ehemann ließ sich dann am Montag auf Corona testen. Der Test fiel positiv aus, genau wie Annika Wahls Test einen Tag später.
„Bei meinem Mann waren es grippeähnliche Symptome“, erinnert sich Annika Wahl. „Er hatte Fieber, war schlapp und hat bis zu 20 Stunden am Tag geschlafen.“ Auch bei ihr sei es an den ersten Tagen ähnlich gewesen: „Fieber, Gliederschmerzen, ab und an trockener Husten.“ Doch am fünften Tag verschlechterte sich die Situation plötzlich, sie bekam Atemnot. Annika Wahl rief ihren Hausarzt an, der wies sie ins Krankenhaus ein.
Diese Technik bewahrte Annika Wahl vor der Beatmungsmaschine
„An diese Tage kann ich mich nicht wirklich genau erinnern“, sagt sie heute – das liege auch an den Medikamenten, die sie im Krankenhaus bekommen habe. An die Probleme beim Luftholen erinnert sie sich aber gut. „Meine Lungenbläschen hatten sich verklumpt“, sagt sie. Das Atmen fiel immer schwerer. „Luftnot macht Angst“, beschreibt sie diesen Zustand heute ganz nüchtern.
Sie ist überzeugt: Ihre Atemtechnik, die sie sich in 19 Jahren Beschäftigung mit Yoga antrainiert hatte, bewahrte sie davor, an eine Beatmungsmaschine angeschlossen zu werden. „Bewusst zu atmen hilft gegen die Panik“, sagt sie, „ich habe auch etwa gelernt, welche Körperhaltung man einnehmen muss, um die Lunge zu entlasten.“ Dennoch: Instagram-Videos aus dieser Zeit machen erschreckend deutlich, wie hart sie das Virus erwischt hat. Sie zeigen eine blasse, sichtlich angegriffene Frau, die zwar beim Sprechen lächelt, aber nach zwei bis drei Wörtern nach Luft ringen muss.
Mit diesen Spätfolgen hat sie zu kämpfen
Den Mut habe sie aber nie verloren. „Weinen ist in solchen Situationen sowieso kontraproduktiv“, sagt sie. „Ich habe die ganze Zeit fest darauf vertraut, dass ich wieder rauskomme.“ In ihrem Instagram-Tagebuch hält sie einerseits die körperlichen Symptome fest – beschreibt aber unter dem Oberbegriff „Geist“ auch, wie sie sich fühlt, „Achterbahn, etwas traurig“ steht da zu Beginn ihres Krankenhausaufenthaltes, „ungeduldig, aber happy, dass es bald nach Hause geht“, ein paar Tage später. Per Video beantwortet sie auch Fragen von Freunden: „Hattest Du Angst zu sterben?“ lautet eine – „Nein, zu keinem Zeitpunkt“, sagt sie da, immer noch schwer und mühsam atmend. Angst habe sie höchstens davor gehabt, ihre Eltern anzustecken.
Das ist jetzt alles fast zwei Monate her. Inzwischen geht es ihr und ihrem Mann wieder äußerlich gut – Spätfolgen sind aber geblieben. Die Kurzatmigkeit bei Belastung etwa, auch mit Konzentrationsstörungen habe sie zu kämpfen gehabt. Und ihr Geschmackssinn ist noch nicht wieder der alte. „Ich schmecke nur noch Süßes“, berichtet sie. „Süßigkeiten kann ich nicht essen, der Geschmack ist zu stark.“ Salziges oder Bitteres dagegen schmecke sie noch nicht wieder.
Jetzt hilft Annika Wahl anderen Menschen
Ihr Yoga-Training habe ihr über die Krankheit hinweggeholfen, ist sie sich sicher. Jetzt nutzt sie ihre Erfahrungen, um sie weiterzugeben, um Mut zu machen, um Menschen die Angst zu nehmen. „Resilienz“ ist das Stichwort, auf diesem Gebiet kennt sie sich aus, gibt Seminare und hält Vorträge. „Resilienz ist die Fähigkeit, ein Stehaufmännchen zu sein“, erklärt sie – man könne trainieren, eine Resistenz gegenüber Stress und Ängsten zu entwickeln. „Stressig ist beispielsweise für viele Menschen gerade in dieser Zeit, mit sich ständig ändernden Regeln umzugehen“, sagt sie. Daran arbeite sie mit ihren Kursteilnehmern.
„Man muss sich vorstellen, man wäre mit dem Auto im Nebel unterwegs“, wählt sie ein Bild. Weit sehen könne man nicht, die Scheinwerfer helfen auch nicht, weil sie nur den Nebel reflektierten. „Da muss man sich Meter für Meter vorantasten“, sagt Annika Wahl – am Ende komme man aber ans Ziel. Auf die aktuelle Situation übertragen heißt das: Es ergebe gerade wenig Sinn, sich Gedanken über den Urlaub im Herbst zu machen – stattdessen solle man sich überlegen, womit man sich am nächsten Wochenende eine Freude machen kann.
Eine ganz einfache Übung für zwischendurch verrät Annika Wahl dann noch. „Einfach mal ans offene Fenster stellen, tief und achtsam atmen und das Wetter wahrnehmen“, sagt sie. Das helfe, sagt sie und lächelt.
Mehr Informationen zum Yogastudio "Yoga Street" gibt es im Internet.
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