Gelsenkirchen. Silvester in Gelsenkirchen: Sandra (33) und Cassian (23) haben Nachtdienst auf der Intensivstation, mit Covid-19-Patienten. Worauf sie hoffen.

Sandra (33) und Cassian (23) müssen in der Silvesternacht arbeiten. Sie haben Dienst auf der Intensivstation der Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen. Während die einen stöhnen, weil es keine Böller zu kaufen gab, pflegen die beiden Patienten, die um ihr Leben kämpfen. Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind, aber auch andere Schwerkranke mit Lungenentzündungen oder Herzinfarkt zum Beispiel. Und obwohl beide sich nichts aus Knallerei machen, ist es nicht das Jammern über den Böller-Verzicht, der die beiden wütend macht.

Erschöpft und empört

Wobei wütend nur bedingt passt. Treffender wäre erschöpft und empört: erschöpft von diesem Jahr, in dem die Arbeit in der Pflege noch belastender war als sonst, die Anforderungen noch höher. Empört darüber, dass es tatsächlich Menschen gibt, die gegen die Kontaktbeschränkungen demonstrieren, sich gegen Mund-Nasenschutz und Abstand wehren, ihr Leben und das der anderen gefährden. Und sie sind empört, dass die Politik noch immer nichts Grundlegendes getan hat, um die Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf zu verbessern.

Was vor allem fehlt, ist die Zeit für mehr Zuwendung

„Die Einmalzahlung ist eine nette Geste. Aber sie hilft nicht wirklich. Wir wünschen uns etwas Nachhaltiges, mehr Personal“, erklärt Cassian. Dass das nicht von jetzt auf gleich funktioniert, ist ihm klar. Aber ein Anfang müsse gemacht werden. Das ist seine Hoffnung für das nächste Jahr: Dass endlich gehandelt wird. Sandra beteuert: „Ich würde diesen Beruf immer wieder ergreifen, ich mache ihn wirklich gerne. Aber uns fehlt zu oft die Zeit, das zu tun, was den Beruf auch ausmacht. Den Patienten mehr Zuwendung zu geben, uns mehr Zeit für sie zu nehmen zu können. Gerade jetzt, wo die Angehörigen nicht kommen können.“ Natürlich setze man sich auch zu den Patienten, halte Händchen, tröste, schaffe Telefonkontakte zu den Angehörigen. „Aber wir müssen uns diese Zeit wirklich abringen und wir würden gern mehr machen“, versichert Sandra.

Die Angst, andere anzustecken, lässt sich nicht ausblenden

Das Privatleben der beiden liegt derzeit weitgehend auf Eis. Die Angst ausblenden, andere mit dem Virus anzustecken: „Das funktioniert nicht, gar nicht,“ bekennen beide. Gut sei, dass es jetzt regelmäßige Tests im Krankenhaus für sie gebe, nach denen sie sich dann trauen, auch die Eltern mal zu sehen, wenn auch mit Abstand. „Im ersten Lockdown habe ich meinen Eltern, die Risikopatienten sind, die Einkäufe nur vor die Tür gestellt. Jetzt habe ich sie mit Abstand immerhin mal treffen können, direkt nach einem Test. Ich sehe meinen Partner und meine Tochter; das ist alles“, erzählt sie.

Privatkontakte komplett runtergefahren

Auch Cassian hat seine Kontakte auf ein Minimum heruntergefahren, einziger Indoor-Kontakt jenseits der Klinik ist seine Partnerin, zum Fest auch die Eltern. Ansonsten ein, zwei Freunde mit zwei Metern Abstand im Park, das war‘s für ihn. Schon im ersten Lockdown hat er Covid-19-Patienten gepflegt, wieviele es waren und wieviele gestorben sind: Er weiß es nicht. Man lasse das Leid nicht zu nah an sich rankommen, das habe man gelernt, sonst halte man es nicht aus auf die Dauer, erklärt er.

Was hart ist: Bei Covid-19 dauert das Sterben länger

„Dass Patienten sterben ist für uns ja nicht neu. Das kommt auf der Intensivstation eben vor. Aber mit Covid ist es schon anders. Das Sterben dauert länger“, berichtet Cassian. Dass die Patienten keinen Besuch bekommen dürfen mit Ausnahme der finalen Phase, macht es noch schwerer. Es sind vor allem ältere Patienten, die sie betreuen. Junge Covid-Patienten mit schweren Verläufen werden meist schnell in die Uniklinik überwiesen.

"Wenn es zu schlimm ist, muss man drüber reden. Aber nicht mit dem Partner."

Was helfe beim Verarbeiten des Erlebten, sei Galgenhumor, den man automatisch entwickele, bekennen die beiden. Und wenn es zu schwer wird, reden sie mit den Kollegen darüber, um es nicht allein mit sich ausmachen zu müssen. „Wenn es zu schlimm ist, muss man drüber reden. Aber das geht mit Kollegen besser als mit dem Partner in der Regel“, schildert Sandra. Und Cassian bestätigt: „Wir sind ein gutes Team, gehen freundschaftlich miteinander um. Das macht es leichter.“

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Eigentlich brauchen beide zur richtigen Erholung auch richtigen Abstand von der Klinik, von Zuhause. Doch gerade das funktioniert in Zeiten von Corona nicht. Besondere Techniken zum Runterkommen und Abschalten haben sie nicht, Schlafen funktioniert noch. Kein Wunder, nach den anstrengenden Diensten.

Auch körperlich extrem anstrengend

Covid-Patienten zu behandeln ist auch körperlich extrem anstrengend. „Schon allein das ständige An- und Ausziehen der Schutzkleidung“, bekennt Cassian. Schutzkittel ausziehen - Hände desinfizieren, Gesichts-Shield oder Brille abnehmen - Hände desinfizieren, FFP2-Make abnehmen - Hände desinfizieren, Überschuhe ausziehen – Hände desinfizieren - das dauert, mehrere Minuten. Und das Ganze X-Mal täglich.

An ein "normales" Leben schon in 2021 glauben beide nicht

Dass das nächste Jahr schon deutlich besser wird, wagen die beiden nicht zu hoffen. Ein bis zwei Jahre werde es noch dauern, bis wieder „normales“ Leben möglich ist, schätzen sie. Zwar werden sie voraussichtlich mit zu den ersten gehören, die geimpft werden. Viel verändern werde sich trotzdem nicht für sie. „Jedenfalls nicht, solange man nicht weiß, ob die Impfung auch davor schützt, den Virus zu übertragen“, sagt Sandra.

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