Gelsenkirchen. Ein Gespräch mit Deutschlands jüngster Polizeipräsidentin über Gelsenkirchen, Corona, Rassismus bei der Polizei, Machos und rosa Pumps.

Die wöchentliche Lieferung frischer Schnittblumen ist noch nicht gekommen, weshalb ihr Büro heute weniger floral daherkomme als üblich, entschuldigt sie sich. Einmal in der Woche lasse sie sich einen Strauß kommen, verrät die 39-Jährige und fügt augenzwinkernd hinzu: „Mir schenkt ja sonst keiner Blumen.“

Dabei bedarf es wahrlich keiner ausgeprägten Phantasie, um sich vorzustellen, dass es sich in diesem Büro auch so ganz gut aushalten lässt: geschmackvoll eingerichtet, heller Holzparkettboden, hohe Wände, weiße Sprossenfenster, Fotos von Freunden und Familie, ein von der Decke hängender Boxsack und rosa Pumps – zu Letzterem später mehr –, willkommen bei Britta Zur, Gelsenkirchens „etwas anderen Polizeipräsidentin“.

Seit fast einem Jahr ist die ehemalige Staatsanwältin nun in ihrem neuen Amt, in einer neuen Stadt. „Ich bin in Gelsenkirchen angekommen und ich liebe die Menschen hier“, sagt Zur und meint die Offenheit und Direktheit, die den Menschen im Ruhrgebiet nachgesagt wird.

Zuvor hat die 39-Jährige in Düsseldorf gezielt Übergriffe auf Amtspersonen verfolgt, war zuständig für Mord und Totschlag, für Kapitaldelikte. Sie hätte auch einen anderen, noch lukrativeren Beruf ergreifen können, verrät sie. Aber sie wollte und will aus Leidenschaft Unrecht bekämpfen. Britta Zur ist eine Jägerin.

Polizeipräsidentin wähnt überall das Verbrechen

In ihrem Büro im Polizeipräsidium Gelsenkirchen-Buer fühlt sich Präsidentin Britta Zur sehr wohl, wie sie sagt.
In ihrem Büro im Polizeipräsidium Gelsenkirchen-Buer fühlt sich Präsidentin Britta Zur sehr wohl, wie sie sagt. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dafür zahlt sie aber auch einen Preis: „Die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, die menschlichen Abgründe, in die ich geblickt habe, sie sind längst ein Teil von mir“, gewährt die Behördenleiterin einen Blick in ihre Seele. Kürzlich hatte sie in einem Interview mit dem Bistumsmagazin Bene gesagt, sie wähne überall das Verbrechen. „Wenn ich Menschen beobachte, dann kreisen meine Gedanken immer auch darum, was als Nächstes passieren könnte“, sagt Zur.

Sie habe damit zu leben gelernt, es belaste sie nicht, sagt die zweifache Mutter. Zerstreuung findet sie beim Sport, beim Joggen am Rhein etwa und bei Fitness, vor allem bei den Gesprächen mit ihren Freunden und Bekannten, die sie in diesen Zeiten vermisst. „Das Gebot der Stunde ist ohne jeden Zweifel die Einhaltung der Coronaschutzverordnungen, dazu gehört eben auch Abstand halten“, stellt Zur mit ernster Miene klar. Nur einen Augenblick später weichen ihre Gesichtszüge dann auch wieder auf und sie ergänzt: „Aber ich sehne mich sehr danach unterwegs zu sein. Ich bin eigentlich eher rastlos, immer unter Menschen.“

Überhöhen will Britta Zur dieses Thema aber nicht. Es sei zwar auch für sie als relativ neue Behördenleiterin unglücklich, nicht den sonst so von ihr bevorzugten engen Kontakt zu ihren Beamten aufrechterhalten zu können, „aber für die Kollegen auf Streife ist die Pandemie viel belastender“.

„Unbegründete Rassismusvorwürfe gegen Polizei nehmen zu“

Polizeipräsidentin Britta Zur nutzt ihren Boxsack im Büro auch um Luft abzulassen.
Polizeipräsidentin Britta Zur nutzt ihren Boxsack im Büro auch um Luft abzulassen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Ohnehin schon sind seit einigen Jahren ausgerechnet die Menschen ständig Anfeindungen, Beleidigungen, Respektlosigkeiten und tätlichen Angriffen ausgesetzt, die für uns alle den Kopf hinhalten. Das Risiko einer Ansteckung im Dienst macht die Arbeit nun nicht gerade einfacher“, sagt Zur. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamten immer wieder unbegründet dem Rassismusvorwurf ausgesetzt seien, so die Behördenleiterin.

Wenn Polizisten im Sinne der von NRW-Innenminister Herbert Reul ausgerufenen Strategie der tausend Nadelstiche gegen Clankriminalität etwa auffällig häufiger Fahrer mit einer bestimmten Migrationsgeschichte und ihre hochmotorisierten Fahrzeuge kontrollierten, dann habe das nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Es sei vielmehr eine Entscheidung, die auf den Erfahrungen der Ermittler beruhe. Dennoch würden ihre Polizisten deshalb oft als „Nazi-Schweine“ beschimpft, so Zur.

„Um eins unmissverständlich klar zu machen, ich erwarte von jedem Polizisten, dass er mehr noch als andere Bürger unsere Verfassung achtet und schützt. Rassistisches Gedankengut hat nichts, aber auch gar nichts bei der Polizei verloren. Gäbe es bei uns einen Rassismusskandal wie bei der Polizei Essen/Mülheim, auch ich würde diesen so schonungs- und lückenlos aufklären. Hier kann es keinen falsch verstandenen Korpsgeist geben“, betont Zur. Sie selbst hat in Gelsenkirchen bereits einen Polizeibeamten und gleichzeitig AfD-Mandatsträger wegen des Verdachts rassistischer Äußerungen vom Dienst suspendiert.

Britta Zur ist keine „Bedenkenträgerin“, wie sie sagt. Sie ist vielmehr schnell, entschlossen, vielseitig. So wundert es auch nicht, dass der Boxsack in ihrer Amtsstube im Präsidium in Buer tatsächlich auch immer wieder zum Einsatz kommt. Wenn sie mal Dampf ablassen will, stülpt sie sich ihre Handschuhe über und drischt auf den Sandsack ein.

Von Machos und rosa Pumps

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Dass sie in ihrer Karriere schon so manchen Kampf ausfechten musste, überrascht nicht, ist der Polizeiapparat doch schließlich immer noch sehr männerdominiert – insbesondere in den Führungspositionen. Dass Britta Zur überdies auch noch eine sehr attraktive Frau ist, die um ihre Reize weiß, befeuert manch stereotype Machovorstellung hinter vorgehaltener Hand auch unter Kollegen, wie die 39-Jährige weiß.

Aber die modebewusste Polizeichefin lässt sich davon nicht beeindrucken und so hängt nicht nur ein Boxsack in ihrem Büro, sondern stehen auch rosa Pumps für repräsentative Termine neben der Tür. „Ich polarisiere, das ist mir klar. Ich habe aber von Anfang an gesagt, ich werde mich durch dieses Amt nicht ändern. Ich merke aber, dass immer mehr Menschen begreifen, dass ich nicht nur hohe Schuhe und roten Lippenstift trage, sondern auch nicht gerade auf den Kopf gefallen bin. Ich sitze hier nicht wegen meines Nagellacks, sondern weil ich was kann“, sagt Zur, die Jägerin.