Die Bildungschancen sind für viele Gelsenkirchener besonders schlecht, zeigt der Bildungsmonitor Ruhr. Wie das Bildungsdezernat dagegen angeht.

Gelsenkirchen. Der am Donnerstag von RuhrFutur vorgelegte Bildungsbericht Ruhr 2020 zeigt es einmal mehr: Die Region ist nicht gerade auf Rosen gebettet, Gelsenkirchen ist es erst recht nicht. Die Zahlen der Bestandsaufnahme sind wenig überraschend, aber verdeutlichen die besondere Situation im Ruhrgebiet.

In der Metropole Ruhr, wie RuhrFutur die Region benennt, leben (Stand 2018) 26,2 Prozent der Kinder unter 15 Jahren in Haushalten, die auf Hartz IV angewiesen sind – in Gelsenkirchen sind es 40,4, nur in Duisburg sind es noch mehr (44 Prozent).

In Gelsenkirchen ist der Anteil berufstätiger Frauen der geringste mit 44,7 Prozent (Ruhr 55,1), entsprechend wird deutlich weniger Ganztagesbetreuung in der Kita genutzt als bei Nachbarn wie Herne (30,3 Prozent gegenüber 58 Prozent).

Mütter mit Migrationshintergrund sind seltener berufstätig

Die Statistiken zeigen, dass Mütter mit Migrationshintergrund seltener berufstätig sind. In Gelsenkirchen haben 35,9 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund, keine deutsche Staatsangehörigkeit haben 20 Prozent – nur in Duisburg und Düsseldorf (23 Prozent) sind es mehr.

Die geringe Ganztagsbetreuungsquote mag mit dem knapperen Angebot an Kitaplätzen zusammenhängen. Aber Gelsenkirchen hat auch eine hohe Zuwachsrate bei Kindern unter drei Jahren; der Kitaausbau läuft zwar, kommt aber kaum nach mangels Flächen für Neubauten und Fachpersonal, das in ganz NRW fehlt.

In Gelsenkirchener Kitas ist (Stand 2018) bei 43,5 Prozent der Kinder daheim die Familiensprache nicht deutsch (2013 36,8 Prozent). Diese Kinder gut auf den Schulunterricht vorzubereiten, braucht Zeit und genügend Fachkräfte.

Soziale Situation der Schülerschaft nicht ausreichend berücksichtigt

Eine hohe Migrationsquote, viele internationale Förderschüler und Quereinsteiger, die ohne Sprachkenntnisse wenig Chancen haben, einen Abschluss in der vorgesehenen Zeit zu schaffen, die gesamte soziale Situation der Schülerschaft – darauf werde nicht genug Rücksicht genommen, klagen die Experten.

„Es ist schwer, diese Spirale zu verlassen“, weiß Anne Heselhaus, die neue Bildungsdezernentin: „Sprachförderung entlang der gesamten Bildungskette ist für uns das Topthema. Der Eintritt in die Grundschule ohne hinreichende Sprachkenntnisse ist eine Riesenherausforderung und braucht sehr gute Fachkräfte.“

Gemeinsam mit Lehrern wolle man jetzt verstärkt auch über attraktive Anreize für Pädagogen, sich für Gelsenkirchen zu entscheiden, nachdenken. „Beim offenen Ganztag haben wir kleine Gruppen und einen hohen Anspruch. Das erkennen die Eltern auch an“, versichert Bildungsreferatsleiter Klaus Rostek. Allerdings gilt ab 2025 ein Anspruch auf Ganztagsbetreuung, erinnert die Dezernentin. Wie das dann durchgehalten werden kann, weiß man jetzt noch nicht.

60 Prozent der Gelsenkirchener Grundschulen zählen zum Typ V

Weitere Indizien für die besondere Situation vor Ort: 60 Prozent der Gelsenkirchener Grundschulen zählen zum Typ V, der Gruppe der Schulen mit sozial besonders benachteiligter Schülerschaft, bei den weiterführenden Schulen sind es gar 70 Prozent in Gelsenkirchen. In der Metropole Ruhr sind es im Schnitt 36,2 Prozent der Schulen.

Dass es nötig ist, Ungleiches ungleich zu behandeln, um das Ziel Bildungsgerechtigkeit zumindest ansteuern zu können, wird längst allgemeinhin anerkannt. Talentschulen mit besonders guter Ausstattung sollten Abhilfe schaffen an belasteten Standorten, allerdings gab es davon viel zu wenige. 60 für das ganze Land, fünf davon in Gelsenkirchen.

Nachhaltige Unterstützung statt Projekte

Das System des schulscharfen Sozialindex ist das jüngste Landesprojekt, das am richtigen Ort Unterstützung bringen soll. „Aber von den 4851 Schulen in NRW fallen gerade mal acht in die höchste Kategorie des Unterstützungsbedarfes – die Gesamtschule Ückendorf etwa mit ihrem unbestrittenen Bedarf gehört nicht dazu“, erläutert Rostek.

Ohnehin: Projektarbeit. Für Dezernentin Anne Heselhaus sind sie kein reiner Segen: „Statt vieler befristeter Projektförderung, die aufgrund von engen Richtlinien nicht immer wirklich auf unseren Bedarf passen, wäre eine nachhaltige Unterstützung besser.“ Ein verlässlicher Fonds wie in Hessen für benachteiligte Kommunen, aus dem die Stadt Gelder für passgenaue Angebote entnehmen könnte, könnte besser helfen, die Negativ-Spirale zu durchbrechen.