Raser und Poser nerven Anwohner in Gelsenkirchen seit Jahren. Jetzt gibt es neue Lösungsvorschläge. Was zwei SPD-Politiker und Betroffene fordern
Den Namen der Straße zum Programm gemacht hat ein junger Gelsenkirchener: An der Rennbahn bretterte der 18-Jährige am Donnerstagabend mit einem Audi R8 im „Autobahntempo“ entlang, wie die Polizei es formuliert. Augenscheinlich sind ihm die weit mehr als 500 Pferdestärken ganz bewusst durchgegangen. Vorerst wird er nicht mehr in den Genuss kommen, einen solch sündhaft teuren Boliden (über 100.000 Euro) steuern zu dürfen, der Fahranfänger ist seinen Führerschein los. Wieder eine Geschichte mehr aus der Kategorie Raser und Poser in Gelsenkirchen.
Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete fordern Aufstockung der Polizeikräfte
Solches Protzgehabe wollen die beiden SPD-Landtagsabgeordneten Heike Gebhardt und Sebastian Watermeier künftig noch stärker unterbinden. Sie fordern von der Landesregierung eine Aufstockung der Polizeikräfte, um auch in den Abend- und Nachtstunden effektiver in der Fläche kontrollieren zu können. Schwerpunktkontrollen an bekannten Szene-Treffs wie dem Hafenquartier Graf Bismarck führten Gebhard und Watermeier zufolge nur zu Verdrängungseffekten an neue Orte. Von mehr Polizeistreifen im Stadtgebiet versprechen sie sich „einen stärkeren Kontrolldruck, ein erhöhtes Risiko erwischt zu werden“. Und einen weiteren Nebeneffekt: „Das könnte auch viele Formen der Alltagskriminalität eindämmen.“ Im Blick haben sie dabei etwa Gewalt-, Einbruchs- und Diebstahlsdelikte.
Gelsenkirchener Polizei: 5000 Stunden Kampf gegen Raser und Poser in zwei Jahren
Grundlage für ihren Vorstoß ist die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage Ende August von Heike Gebhardt und Sebastian Watermeier, aus der abzulesen ist, dass die Gegenmaßnahmen der Gelsenkirchener Polizei einen immensen Zeit- und Personalaufwand nach sich ziehen. Tendenz: steigend. 1200 Einzelkontrollen in 2019 und in diesem Jahr bereits 1400 Einzelkontrollen an Raser- und Poser-Hotspots in Gelsenkirchen sind darin gelistet, dazu insgesamt elf Schwerpunkt-Aktionstage zwischen 2018 und 2020, bei denen jeweils zwei bis drei Dutzend Kräfte eingebunden waren.
Hotspots in Gelsenkirchen
Beliebte Hotspots von Rasern und Posern in Gelsenkirchen sind der Hafenbereich Graf Bismarck, der Parkplatz der Zoom-Erlebniswelt und der des Nordsternparks, Teilbereiche der Horster Straße. Ins Auge genommen hat die Szene auch die Europastraße. Ein beliebter Treffpunkt ist in der Nähe ist die Zeche Ewald in Herten.
Straßenrennen können nach Paragraf 315d Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren zur Folge haben. Zu den Gegenmaßnahmen gehören auch Fahrzeug- und Führerscheineinzug.
Beachtenswert: 2018 wurden im Kampf gegen Raser und Poser 960 Stunden aufgewendet, 2019 schon mit 2200 Stunden mehr als das Doppelte und bis zum Sommer dieses Jahres 1884 Stunden.
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„Mehrarbeit wurde nicht geleistet“, antwortet Polizeisprecher Christopher Grauwinkel auf die Frage nach angefallenen Überstunden. Bei den Raser- und Poser-Einsätzen seien überwiegend Kräfte des dafür zuständigen Verkehrsdienstes eingesetzt worden, dazu speziell geschulte Beamte des Wachdienstes und der Bereitschaftspolizei. Und zwar regelmäßig oder bedarfsweise in drei Schichten.
Polizeigewerkschafter sieht höheres Abschreckungspotenzial durch mehr Beamte
Polizeigewerkschafter und Personalratsvorsitzender Matthias Büscher (GdP) beurteilt die Forderung der SPD-Landtagsabgeordneten nach mehr Polizeikräften positiv, differenziert aber zugleich. Mehr Kräfte auf der Straße könnten ihm zufolge die Eskapaden der Tuningszene zwar den Antrieb nehmen. Und auch abschreckende Wirkung entfalten, beispielsweise bei Einbrechern. „Auf Kriminalität im privaten Bereich, beispielsweise häusliche Gewalt, hat das aber wenig Einfluss. Wir bekommen nur das mit, was auf der Straße passiert, oder was uns gemeldet wird.“
Die personelle Ausstattung von Polizeibehörden krankt ohnehin an einem Systemfehler, den bislang noch keine Regierung zu lösen vermochte. Vereinfacht gesagt: Je erfolgreicher ein Präsidium ist, desto weniger Personal wird bereitgestellt. Oder in andere Dienststellen verschoben. Eine Einflussgröße ist dabei unter anderem die Kriminalstatistik. Als 2014 die Zahl der Wohnungseinbruchsdiebstähle auf hohem Niveau war, verstärkte das Gelsenkirchener Präsidium in diesem Bereich mit mehr Personal seine Anstrengungen, die Fallzahlen herunterzudrücken. Mit einigem Erfolg. Heute bilden der Kampf gegen Clan-Kriminalität oder Kinderpornografie weitere oder zusätzliche strategische Schwerpunkte, die viele Ressourcen erfordern. Es ist wie mit einem Tischtuch, an dem von verschiedener Seite gezerrt wird, es wird nicht größer, sondern es verlagert sich nur. „Der Vergleich trifft zu“, sagt auch GdP-Sprecher Matthias Büscher.
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Rund 700 Planstellen für das Polizeipräsidium Gelsenkirchen
Der Blick in die „Belastungsbezogene Kräfteverteilung der Polizei“ zeigt, dass die personelle Aufrüstung in kleinen Dosen geschieht. Gelsenkirchens Polizeibehörde kam laut Innenministerium 2018 auf 698,47 Soll-Planstellen für Polizeibeamte, 2019 waren es 700,77 und aktuell sind es 702,25. Spürbarer aufgestockt wurde zuletzt die Zahl der Regierungsbeschäftigten, sie wurde um zehn auf rund 140 erhöht, um mehr Polizisten auf die Straße zu bringen.
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Graf Bismarck: Bewohner wenden sich an Fraktionen, Wunsch nach Parkraumkonzept
Von Rasern und Posern genervte Anwohner wie die Sprecher der Gelsenkirchener Bürgerinitiative „Wohnen Graf Bismark“ Wolfgang Kothe und Achim Götte wollen daher weitere Wege gehen, um das lästige Phänomen in den Griff zu bekommen. Sie haben gerade die Ratsfraktionen angeschrieben „mit der Bitte um Stellungnahme“, nachdem im ebenso belasteten Viertel am Dortmunder Phönixsee mit gutachterlicher Unterstützung ein Parkraumkonzept erstellt wurde. Abstellen wird dort weitgehend parkscheinpflichtig. Nach etlichen Kontrollen von Polizei und Ordnungsamt, nach Einfahr- und Parkverboten in den Nachtstunden und sogar Teilsperrungen „wünschen wir uns dies als dauerhafte Lösung“, sagen die Sprecher.
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