Gelsenkirchen. Weil sie in Einrichtungen und mit wenig Abstand leben, haben viele Wohnungslose Angst vor Corona. Sogar die eigenen Familien scheuen den Kontakt.

„Wenn man keinen festen Wohnsitz hat, distanziert sich die eigene Familie, weil sie das Risiko einer Corona-Infektion sieht und Angst hat, wenn man sie besucht. Das ist schade“, erzählt Diana von ihren ganz persönlichen Erfahrungen. „Natürlich ist man in einer Unterkunft für Wohnungslose einem höheren Risiko ausgesetzt, als es Menschen sind, die allein leben, sich nicht Küche und Bad teilen müssen, vielleicht sogar das Schlafzimmer.“ Gerade jetzt, in der Erkältungszeit, lebe sie mit der Frage, „ist es Corona oder nicht?“.

Diana sitzt auf dem Hof hinter dem „Weißen Haus“ in Gelsenkirchen, der Anlaufstelle für Wohnungslose und jene, die davon bedroht sind, ihre Wohnung zu verlieren. Unter einem Zeltdach gibt es hier sechs kleine Tische, aufgestellt mit großem Abstand. Einer der wenigen Orte, wo Gespräche gefahrlos möglich sind, wo Gemeinschaft entspannt erlebbar ist.

Geplante Aktionen fallen aus

Gerade jetzt, wenn das Martinsfest ansteht, ist traditionell der Blick auf den Heiligen, der einst seinen Mantel mit einem Bedürftigen – vielleicht auch Wohnungslosen – teilte, und so Sinnbild für ein gesellschaftliches Miteinander fernab eines klassischen Klassenbewusstseins wurde, gerichtet.

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Eigentlich, erzählt Einrichtungsleiter Henryk Münzer, habe man seitens der Kirchengemeinde St. Urbanus und der Caritas, Träger des Hauses an der Hochstraße, ganz besondere Aktionen geplant. Bürger hätten mit einem Klienten des „Weißen Hauses“ Kleidung kaufen gehen oder gemeinsam essen gehen können. „Dabei geht es natürlich um das Teilen von Kleidung und Essen. Noch wichtiger wäre aber der Kontakt gewesen.“ Der findet nun durch den zweiten Lockdown nicht statt.

Vielmehr vertiefen sich die Kluften. Denn Geschichten wie die von Diana gibt es hier viele. Und so steht jetzt schon fest, nach Corona muss in besonderer Weise in das gesellschaftliche Miteinander investiert werden. Wann auch immer das sein wird.

Der Schutz vor Corona ist arbeitsaufwendig

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Der ganze Alltag in der kleinen Einrichtung, die vor allem vom Engagement vieler Ehrenamtlicher lebt, ist bestimmt von der Pandemie. Das ist schwierig für die Hilfesuchenden, die froh sind, hier Gemeinschaft erleben zu können und es nun nur auf Abstand dürfen. Und es ist schwierig für die Mitarbeiter, die jeden Besuch penibel dokumentieren müssen, die nun auch draußen das Essen ausgeben, die für den Schutz aller sorgen, die putzen und desinfizieren.

„Wir müssen auch viel ermahnen, an die Einhaltung aller Regeln erinnern. Dann wird schnell gesagt, wir sind unfreundlich. Aber sonst können wir zumachen“, sagt Henryk Münzer und mahnt die dramatischen Folgen an, die das hätte. Ein Corona-Ausbruch in der Einrichtung wäre der Supergau.

Weihnachten bleibt auf der Strecke

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Das "Weiße Haus" ist eine Obdachenlosen-Anlaufstelle der Caritas in Gelsenkirchen-Buer. © FFs | Olaf Ziegler

Weil es einfach nicht möglich ist, werden die Besucher auch in der Vorweihnachtszeit auf lieb gewonnene Traditionen verzichten müssen. Die Weihnachtsfeier am Tannenbaum, das gemeinsame Festessen in großer Runde, alles scheint in diesem Jahr undenkbar. Gerade in diesen schwierigen Zeiten wird das ein recht trostloses Fest.

„Ja, es ist anders als sonst. So wie überall.“ Die Kirchengemeinde werde noch einige Pakete packen für die Menschen hier. Viel weihnachtlicher wird es aber wohl nicht. Diana traut sich trotzdem, ihre Wünsche zu formulieren. „Eine Wohnung und dass ich meinen Hund zurückbekomme, wieder einen besseren Kontakt zu meiner Familie zu haben – und kein Corona zu bekommen.“