Buer. Nach Kritik Gelsenkirchener SPD-Politiker am CDU-Wahlkampf und den Faschismusvorwürfen gegen eine Gastronomin meldet sich die Wirtin zu Wort.

Zweite Runde im Parteienstreit zwischen SPD und CDU in Gelsenkirchen. Und mittendrin die Bueraner Gastronomin Maria Daré Biancolin, der ein früheres Engagement für eine faschistische italienische Partei vorgeworfen wird. Die Wirtin setzt sich nun zur Wehr, weist die Anschuldigungen entschieden zurück und fürchtet um ihre Existenz nach 35 Jahren Unternehmertum in Gelsenkirchen.

Sommeliè̯re Biancolin: Sprayerattacke auf Gelsenkirchener Ladenlokal „Lounge 1“

„Ich habe Angst und kann kaum noch schlafen“, sagt Maria Daré Biancolin am Montag in ihrem Lokal „Lounge 1“. Die Vorwürfe des langjährigen SPD-Politikers und „guten Bekannten der Familie“ Joachim Poß hätten sie schwer getroffen. Kunden stellten sie teils zur Rede, Reservierungen würden abgesagt, berichtet sie. Und davon, dass ihr Lokal am vergangenen Wochenende Ziel einer Sprayerattacke geworden sei. „Dabei gehört Faschismus weder zu meinem Demokratieverständnis noch zu dem meiner Familie“, sagt die angesehene Sommeliè̯re. Sie versteht nicht, sagt sie, wie man solche Vorwürfe erheben könne, kenne den Grund nicht.

Der Vorwurf reicht zurück ins Jahr 2018, in dem sie sich im italienischen Wahlkampf engagierte. „Eingesetzt habe ich mich damals für ein Dreier-Bündnis aus Sforza Italia, Lega Nord und Fratelli D’Italia“, bestätigt Biancolin ihre politische Arbeit seinerzeit, „aber doch nicht für Faschisten.“

Gelsenkirchener Wirtin spricht sich für ein demokratisches Europa aus

Um ihre positive Haltung zur Demokratie und Europa zu unterstreichen, verweist die Gelsenkirchenerin auf ein Interview im „Berlin Magazin“ aus 2018. Darin bezeichnet Biancolin Europa als „einzigen großen Erfolg der Zeitgeschichte“, als Garant für siebzig Jahre Frieden und Wohlstand. Und wörtlich: „Ein demokratischeres Europa, ‘geheiligt’ durch die Volksabstimmung, ist die beste Antwort auf Egoismus, Ängste und Rückschritte.“

Joachim Poß saß als Bundestagsabgeordneter bis 2017 für die SPD im Bundestag. Das Bild zeigt den gelsenkirchener bei einem Interview zum Rückblick auf seine politische Karriere. Poß hat die CDU massiv für ihren aktuellen Kommunalwahlkampf kritisiert.
Joachim Poß saß als Bundestagsabgeordneter bis 2017 für die SPD im Bundestag. Das Bild zeigt den gelsenkirchener bei einem Interview zum Rückblick auf seine politische Karriere. Poß hat die CDU massiv für ihren aktuellen Kommunalwahlkampf kritisiert. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Deutschland bescheinigte Maria Daré Biancolin zudem in dem Interview eine starke Anziehungskraft sowohl wegen der „starken Wirtschaft“ als auch wegen des „sozialen Klimas“. Dies sei den föderalen und lokalen Regierungen zu verdanken. „Wie kann man mich da in die Nähe von Faschisten rücken“, fragt die Gelsenkirchenerin.

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Joachim Poß und mit ihm auch der Bundestagsabgeordnete Markus Töns und der Landtagsabgeordnete Sebastian Watermeier – allesamt SPD-Politiker- sehen das frühere politische Engagement Biancolins indes in einem anderen Licht. Insbesondere an der Partei Fratelli D’Italia arbeiten sie sich ab. Für sie sind die „Brüder Italiens“ „eine postfaschistische und rechtsnationale Partei“. Dass die Gelsenkirchener CDU um den OB-Kandidaten Malte Stuckmann dann ausgerechnet vor zwei Wochen in diesem Lokal auf Stimmenfang für den Kommunalwahlkampf geht, widerspricht ihrer Meinung nach dem „demokratischen Grundkonsens.“

Wirtin: CDU-Shirt diente Gelsenkirchener Angestellten als Ersatz für Dienstkleidung

Den kritisierten Wahlkampfbesuch im Lokal Lounge 1 der CDU schildert Biancolin so: „Herr Stuckmann ist Stammgast bei uns und hat am besagten Samstag unser Lokal besucht. Ich selbst war zu der Zeit nicht da. An dem Tag war die Dienstkleidung aus der Wäscherei noch nicht fertig. Der Mitarbeiter hat daher ein Shirt der CDU ersatzweise angezogen, weil es unserer dunklen Dienstkleidung ähnlich ist.“ Im Keller habe ein Karton mit Shirts für die Wahlhelfer gestanden, auch die SPD hätte dort schon Sachen zwischenzeitlich gelagert. Etwa eine Stunde später habe der Mitarbeiter das Shirt wieder auf ihr Geheiß hin gewechselt.

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Familien lange freundschaftlich miteinander verbunden

Es ist ein offenes Geheimnis in Buer, dass die Familien Poß und Biancolin seit längerem eine Freundschaft pflegen. Beide Seiten bestätigen das zudem. Insbesondere die Söhne beider Familien sind miteinander befreundet. Nach Angaben von Joachim Poß „ruht die Freundschaft nach Bekanntwerden“ des politischen Engagements Maria Daré Biancolins in 2018 „aber auf Eis“.

Es gibt Fotos von Poß, die ihn als Bundestagsabgeordneten bei einem früheren Empfang in der italienischen Botschaft mit Botschafter Pietro Benassi mit Maria Daré Biancolins zeigen sollen. Sie ist zugleich Präsidentin des DE.S.A - Deutschlands Sommelier Vereinigung. Kritiker werfen Poß nun unter anderem in sozialen Netzwerken vor, sich erst mit der Unternehmerin gemein zu machen und nun Abstand von ihr zu nehmen.

Poß bestätigt seine Anwesenheit in der Botschaft. „Ich war dort als Berichterstatter für meine Partei und Italienbeauftragter“. Er habe Biancolin dem Botschafter vorgestellt. Biancolin behauptet das Gegenteil: „Ich bin mit dem Benassi befreundet.“ Sie habe Poß dorthin eingeladen.

Für Biancolin ist der Vorfall kein Anlass, daraus „einen solchen Aufreger machen“. Für Joachim Poß hingegen stellt das „eine Instrumentalisierung von Beschäftigten in einem Abhängigkeitsverhältnis“ dar, dazu noch von Menschen, ohne Kenntnis des Parteiensystems und deutscher Sprachkenntnisse. Ihm, so betont er, sei eine „derartige Inszenierung im öffentlichen Raum“ nicht in Erinnerung. Seine Kritik richte sich zuvorderst an die CDU, nicht gegen das politische Engagement der Unternehmerin. Das stehe jedem frei.

Malte Stuckmann, Oberbürgermeisterkandidat und Schatzmeister des CDU-Kreisverbands, hält die Vorwürfe vonseiten der SPD für nicht kommentierungswürdig.
Malte Stuckmann, Oberbürgermeisterkandidat und Schatzmeister des CDU-Kreisverbands, hält die Vorwürfe vonseiten der SPD für nicht kommentierungswürdig. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Video mit Interview soll den Vorwurf des Zwanges ausräumen

Von Zwang könne keine Rede sein, kontert Maria Daré Biancolin. Die Gastronomin bemüht zum Beweis ein Video mit suggestiv erscheinenden Fragen, in dem der Angestellte Auskunft darüber gibt, dass er sehr wohl deutsch spreche und auch wisse, dass er im September wählen dürfe. Der junge Mann betont, dass er das Shirt freiwillig angezogen habe.

OB-Kandidat Malte Stuckmann (CDU) bleibt bei seiner Auffassung: „Ich halte die Vorwürfe von Herrn Poß nicht für kommentierungswürdig. Meine Familie und ich gehen in dem Lokal gerne etwas essen und trinken. Punkt.“