Gelsenkirchen-Resse. Stefan Barczik aus Gelsenkirchen hatte für seinen todkranken Bruder einen Motorrad-Korso organisiert – mehr als 800 Biker folgten dem Aufruf.

Einmal, als Stefan Barczik noch Teenager war, stand sein älterer Bruder Jörg mitten in der Nacht vor seinem Bett. „Steh’ auf und zieh’ Dich an“, sagte er, „wir fahren jetzt nach Holland und gucken uns den Sonnenaufgang an.“ In dem Alter muss man zu so etwas nicht lange überredet werden, und so schwangen sich die beiden Brüder aus Gelsenkirchen auf ihre Motorräder und fuhren los, Jörg auf einer richtigen Maschine, Stefan auf seinem Leichtkraftrad.

Spätestens seit dieser Tour war Stefan Barczik das, was sein Bruder Jörg schon lange war: ein Biker. Die beiden Brüder blieben es, ein Leben lang. Und wenn man diese Geschichte kennt, dann versteht man vielleicht besser, warum das, was am Donnerstagabend auf der Ahornstraße in Resse passierte, eine so große Bedeutung für die beiden hat.

Der Gelsenkirchener rief über Facebook alle Biker zu seiner besonderen Ausfahrt auf

Gruß von Biker zu Biker: Aus ganz Deutschland waren Motorradfahrer nach Gelsenkirchen gekommen.
Gruß von Biker zu Biker: Aus ganz Deutschland waren Motorradfahrer nach Gelsenkirchen gekommen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Jörg Barczik ist am Donnerstag 64 Jahre alt geworden, und aller Voraussicht nach wird es sein letzter Geburtstag gewesen sein. Der ehemalige Schlosser leidet an einem unheilbaren Hirntumor und hat nur noch wenig Zeit, inzwischen lebt er im Emmaus-Hospiz in Resse. Stefan Barczik hatte schon lange geplant, mit seinem Bruder an dessen Geburtstag die alten Zeiten noch einmal hochleben zu lassen. „Ich wollte mir ein Motorrad mit einem Beiwagen leihen und mit ihm zu unserem alten Biker-Treff fahren“, erzählt er. Doch dann verschlechterte sich Jörgs Gesundheitszustand, eine Motorradtour war nicht mehr denkbar.

Wenn sein Bruder und er nicht zu den Bikern fahren konnten, dann mussten die Biker eben zum ihm kommen. In einer Facebook-Gruppe startete Stefan einen Aufruf und lud zu einer Ausfahrt ein: Sein Bruder würde an seinem Geburtstag um 18 Uhr in seinem Rollstuhl an der Straße sitzen, Motorradfahrer sollten vorbeifahren und grüßen, schrieb er.

Stadt und Polizei gaben grünes Licht für die Aktion

Mehr als 800 Biker waren dem Aufruf gefolgt und donnerten über die Ahornstraße in Resse.
Mehr als 800 Biker waren dem Aufruf gefolgt und donnerten über die Ahornstraße in Resse. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Ich war mir sicher, dass 50 Biker kommen, auf 100 hatte ich gehofft“, sagt Stefan Barczik. Doch die Resonanz auf seinen Aufruf übertraf die allerkühnsten Erwartungen. Schon wenige Tage nach dem ersten Facebook-Post war klar: Am Donnerstag würden weit mehr als 100 Biker nach Resse kommen.

Jetzt war Organisation gefragt, alleine konnte Barczik das nicht schaffen. „Alle haben mitgeholfen“, sagt er gerührt: Die Stadt erteilte eine Sondergenehmigung für den Korso, die Polizei sicherte zu, den Verkehr zu regeln – und der Motorradclub „Bandidos“, erfahren in solchen Aktionen, half bei der Organisation mit.

Die Motorradfahrer kamen aus ganz Deutschland

Als der große Tag schließlich gekommen war, war die Ahornstraße voll von Menschen. Gegen 17.40 Uhr holte Stefan Barczik seinen Bruder aus dem Hospiz und stellte sich mit ihm an die Straße: „Er hatte einen guten Tag“, berichtete er später, „und hat alles mitbekommen.“

Mit lautem Donnergrollen kündigte sich gegen 17.50 Uhr der Korso an, und dann waren sie da: Biker aus Gelsenkirchen, aus Recklinghausen, aus Dortmund, Hamm und Köln, aus Hamburg und dem Schwarzwald. Mehr als 800 waren es am Ende. Jörg Barczik, umringt von seiner Familie, strahlte über das ganze Gesicht, winkte, grüßte, war fassungslos. Mindestens ein Biker hatte Tränen in den Augen, auch viele Zuschauer griffen zum Taschentuch. Fast eine halbe Stunde dauerte die Vorbeifahrt – „alles verlief friedlich“, teilte Polizeisprecher Christoph Grauwinkel später mit.

Spende an das Emmaus-Hospiz

Jörg Barczik lebt im Emmaus-Hospiz in Resse: Aus diesem Grund hatte Stefan Barczik in seinem Aufruf an die Motorradfahrer auch um Spenden an die Einrichtung gebeten, auf dem Biker-Sammelplatz gab es eine Spendenbox.

Wer ebenfalls helfen möchte: Auf seiner Internetseite informiert das Hospiz auch über Spendenmöglichkeiten. Die Adresse: emmaus-hospiz-gelsenkirchen.de.

Am Morgen danach war Stefan Barczik immer noch überwältigt. „Ich habe das noch nicht verarbeitet“, sagte er. Fest steht: Er hat seinem großen Bruder einen unvergesslichen Geburtstag bereitet. Auch wegen Holland, und dem Sonnenaufgang.