Gelsenkirchen-Hassel. Für Alfred Schmidt war die Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt der Kumpel eine Lebensaufgabe. 2020 wäre er 90 Jahre alt geworden.
Alfred Schmidt? Viele junge Leute dürften mit dem Namen des Gelsenkircheners wenig anfangen können. Bei einer Stippvisite im "Museum of Modern Art" in New York könnten sie den Design-Arbeiten aber begegnen, der berühmten Essigflasche der Firma Hengstenberg etwa. Ganz so weit brauchen Kunstfreunde freilich nicht zu reisen. Es reichen ein paar U-Bahn-Stationen zur Marschallstraße in Bismarck: Dort vermitteln zwei 100 Meter lange Emaille-Platten einen Einblick in die Welt unter Tage, der eigentlichen Leidenschaft dieses "Leonardo von der Ruhr", wie ihn Freunde nannten. In diesem Jahr wäre er 90 Jahre alt geworden.
Auf Kohle geboren: Nein, das war Schmidt nun wirklich nicht. 1930 in Remscheid zur Welt gekommen, wuchs er im Bergischen Land auf, und auch als Werbedesigner hatte er mit Bergbau herzlich wenig zu tun. Trotzdem wurde der Arbeitsalltag der Kumpel Mitte der 1970er Jahre seine Lebensaufgabe.
Gelsenkirchener war befreundet mit Joseph Beuys und Wolf Vostell
Schmidt war alles andere als abgehoben. Zwar machte er sich nach seinem Design-, Malerei- und Architektur-Studium in Wuppertal international einen Namen als Produktdesigner, war befreundet mit Joseph Beuys und Wolf Vostell, wurde Art-Direktor der Düsseldorfer Werbeagentur "Troost" und regelrecht geadelt durch die Aufnahme einiger Arbeiten ins Museum of Modern Art (1969/70).
Doch Auszeichnungen hin oder her: Er konnte „die Flucht vor der Last des Sinns nicht mehr akzeptieren“ - und entwickelte die Idee, unter Tage zu malen, auch um „zu erfahren, was Kunst für Menschen in der Krise zu bewirken vermag.“ Dazu inspiriert hatte ihn eine Ballonfahrt über dem Revier - ein geradezu magisches Erlebnis.
Manche Arbeiten wirken in ihrem Realismus fast wie Fotos
Nach dem Umzug mit seiner Frau Monika 1975 ins Ruhrgebiet fuhr er nachts ins Bergwerk ein. Eingewiesen von zwei Steigern, fing er mit Rohrfeder und Tusche in über 1000 Metern Tiefe den Alltag der Kumpel an seinem Zeichenbrett auf Papier ein: die müden, von Schweiß und Schmutz geprägten Gesichter, die Enge der Schächte, die Technik – so realistisch, dass manche Arbeiten fast wie Fotos wirken.
Anfangs noch als vermeintlicher Spion des Arbeitsdirektors gemieden, gelang es Schmidt, das Vertrauen der Kumpel zu gewinnen. Sie ließen ihn an ihrem Alltag ebenso teilhaben wie an ihren Sorgen um die berufliche Zukunft in der Bergbaukrise. Er reagierte tief beeindruckt: „Die größere Leistung erbrachten nicht die Astronauten, sondern die Geonauten, die das Innere der Erde erkundeten und es im Laufe von Jahrhunderten erschlossen.“
Erster Ehrenbürger des Ruhrgebiets
Es entstanden mehr als 400 Zeichnungen von der Welt unter seinen Füßen. Sein Hauptanliegen war, für den Bergbau zu werben und den Arbeitern die Welt der Kunst nahe zu bringen. So initiierte er nach seiner ersten Ausstellung mit Bergbaubildern in der Bonner NRW-Landesvertretung (1979) die „Aktion Bilderwagen“: Mit einem Handkarren zog er zu Fuß 50 Tage lang 740 Kilometer durch die Bergmannssiedlungen im Revier. Der Verein "Pro Ruhrgebiet" ernannte ihn daraufhin zum ersten "Ehrenbürger des Ruhrgebiets".
Ob mit der Gründung des Kulturhauses Bergmannsglück (1984), in dem er vorübergehend ausländische Künstler aufnahm, ob mit dem "U-Bahnhof der Bergleute" in Bismarck (1987-1994), der Aktion "Bilderschiff" (1996), bei der Bilder in verschiedenen Häfen gezeigt wurden, ob mit Interviews oder Publikationen: Alfred Schmidt erhob die Stimme gegen die geplante Schließung von Zechen. Nicht unbeachtet, aber letztlich vergeblich.
Als er 1997 plötzlich starb, nahmen 2000 Menschen an der Trauerfeier teil, darunter zahlreiche Kumpel. Mit einem Theaterstück und einer Bergmannskapelle geriet sie zu einer letzten großen "Aktion" - eine Hommage an den Menschen und Künstler, der die Bergarbeiter nie nur als Sujet betrachtet hatte, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnet war.
>> Konzert im Zirkus Probst als Hommage an den Künstler
Anlässlich des 90. Geburtstags von Alfred Schmidt findet am Dienstag, 1. September, 18.30 Uhr (Einlass: 18 Uhr) ein Konzert im Circus Probst statt. Es ist Teil der Reihe "Kultursommer im Revier" an der Feldmarkstraße 209. Der Eintritt ist frei.
Solokünstler Norbert Labatzki präsentiert vertonte Arbeiterliteratur und philosophische Trinklieder. Alfred Schmidts Frau Monika und Tochter Kira Schmidt übernehmen die Einführung. Sie zeigen auch einige Arbeiten des Künstlers.