Gelsenkirchen-Buer. BMG-Projektentwickler sieht Stadtteil “im Zentrum eines epochalen Umbruchs“. Immobilien-Eigentümer könnten B-Ladenlokale zu Wohnraum umbauen.
Auch wenn er längst nicht mehr als Gärtner arbeitet: Etwas zum Wachsen und Blühen zu bringen, liegt dem Landschafts-Architekten Dr. Siegbert Panteleit immer noch im Blut. Ob als Gelsendienste-Verantwortlicher für die Wochenmärkte, Sprecher der Buer-Management-Gesellschaft (BMG) oder Chef seines Standort- und Projektentwicklungsbüros SPE: Der 66-Jährige ist Experte in Sachen Stadtumbau, wie die Revitalisierung der einstigen Schrottimmobilie Hertie-Haus in Buer zeigt. Wo er weitere Handlungsfelder sieht, erläutert er im Sommergespräch.
Als Karstadt-Galeria-Kaufhof jetzt das Aus vieler Filialen ankündigte, waren Sie da erleichtert, dass es Buer nicht mehr treffen kann?
Siegbert Panteleit: Absolut! Das war eine Bestätigung, dass sich die Mühen der Sanierung und Umnutzung gelohnt haben, trotz vieler Herausforderungen. Die BMG als Zusammenschluss buerscher Immobilieneigentümer hat beim Kauf und Umbau des Hertie-Hauses zum Lindenkarree von der Weitsicht und Kompetenz solcher Persönlichkeiten wie dem verstorbenen Gerhard Schreiner profitiert. Und noch heute lebt die BMG vom Vor-Ort-Sein vieler Mitglieder, die vor der eigenen Haustür die Möglichkeiten erkennen und Interessen bündeln.
Wie aktuell beim geplanten Ankauf der alten Post an der Königswiese?
Dort gilt es, sich durch eine vorzeitige Festlegung etwa auf Seniorenwohnen nichts zu verbauen. Sinnvoll wäre eine Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten. Auch Gastronomie ist in Teilbereichen denkbar. Möglicherweise müssen wir auch erst eine Zwischennutzung als Bürofläche vorsehen. Noch ist der Kaufvertrag noch nicht unterschrieben.
"Saturn-Schließung wäre eine Katastrophe, aber auch eine Chance"
Was ist denn an Seniorenwohnungen an diesem Standort so nachteilig, abgesehen von möglichen Konflikten mit der Gastronomie auf der Domplatte?
Die Zukunft gehört dem Mehrgenerationenwohnen, dann können alle profitieren. Das macht die Innenstadt vielfältiger und auch nach Geschäftsschluss und an Wochenenden belebter. Allerdings dürfte es teuer werden, das außen repräsentative Gebäude mit seinem nüchternen Betonwerk im Inneren für eine Wohnnutzung umzubauen. Da sehe ich mehr Chancen im direkten Umfeld und dort, wo sich der Einzelhandel aus B-Lagen zurückzieht.
Wie kann das gelingen, falls sich womöglich Magneten wie Saturn aus Buer verabschieden?
Für Buer wäre die Schließung des Frequenzbringers Saturn eine Katastrophe. Aber es wäre auch eine Chance, sich um andere Nutzungen zu kümmern. Ich bin sicher, dass der Thelen-Gruppe als Eigentümer da etwas Gutes einfällt. Immobilien-Eigentümer von Lokalen in B-Lagen können diese z.B. zu Kombinationen von Wohn- und Arbeitsräumen umbauen. Wir müssen uns bewusst machen, dass sich Buer und der Stadtnorden geografisch betrachtet im Zentrum eines epochalen Umbruchs in der Energiebranche befinden. Allein im Chemiepark Marl-Hüls entstehen in den nächsten Jahren 5000 Arbeitsplätze, hinzu kommen weitere Investitionen von BP, Evonik oder Phenolchemie. Die gut verdienenden Facharbeitskräfte brauchen hochwertigen Wohnraum, der Platz auch fürs Homeoffice bietet. Das ist eine Riesenchance für Buer, die wir im Wettbewerb mit anderen Städten nutzen müssen. Stadtentwicklungspolitik muss höher, dichter und natürlicher werden.
"Wer nur kurzfristige Erlöse im Sinn hat, betreibt Downtrading"
Was heißt das konkret?
Es geht darum, wo es baulich möglich ist, auf bestehende Immobilien in der Innenstadt noch ein, zwei Geschosse draufzusatteln, um so mehr Wohnraum zu generieren, ohne Freiflächen zuzubauen. Dächer und Fassaden sollten im Sinne einer nachhaltigen Klimapolitik begrünt werden, auch das erhöht die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum.
Ob das bei Objekten wie dem "schwarzen Block" auf der Hochstraße funktioniert?
Mir steht es nicht zu, Eigentümern Ratschläge zu erteilen. Aber es stellt sich die Frage, ob an manchen Stellen nicht ein Abriss und Neubau mit Einzelhandel und Wohnungen samt digitaler Bestausstattung sinnvoller wäre. Wer nur kurzfristige Verwertungserlöse im Sinn hat, betreibt Downtrading. Wie das ausgehen kann, ist auf der Bochumer Straße zu sehen, wo die Stadt mühsam Schrottimmobilien aufgekauft hat und mit hohem Aufwand die Revitalisierung betreibt, die private Eigentümer Jahrzehnte versäumt haben.
"Stadt plant digitale Straßenlaternen auf dem Marktplatz"
Gelsenkirchen setzt als Smart City ja überhaupt auf eine gute digitale Infrastruktur als Standortfaktor für Unternehmen...
Digitalisierung spielt eine große Rolle beim Strukturwandel. Davon können alle profitieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Installation von drei neuen Straßenlaternen mit Sensortechnik auf dem Marktplatz. Diese können etwa Daten zu Luftqualität, Zahl vorbeifahrender Autos oder freien Parkplätzen erfassen, die in einer Citycloud gespeichert werden. Dort sind sie, im Rahmen des Datenschutzes, von Bürgern und Unternehmen abrufbar. Anfang August werden diese Laternen aufgestellt.
Stichwort Gastronomie: Da tut sich ja einiges. Avanciert Buer zum neuen Bermuda-Dreieck?
Das hoffe ich doch nicht. Wir wollen nichts kopieren, sondern etwas Individuelles schaffen, das lokale und regionale Vielfalt abbildet. Der Feierabendmarkt auf der Domplatte ist so ein Eigenformat. Es wäre zu wünschen, dass Gastronomien kulinarisch neue Wege gehen. Auch das macht die City attraktiver.
"Den Wochenmarkt wird es auch in 20, 30 Jahren noch geben"
Dieses Ziel verfolgt auch die Initiative der Stadt, etwa den Bereich um die Kunstwiese an der Rottmannsiepe für umliegende Gastronomen herzurichten...
Dort wird zurzeit auf einer Seite ein hölzernes Plateau diskutiert und geplant, um die Fläche für die umliegende Außengastronomie und auch für kleinere Veranstaltungen zu erweitern. Wir wollen prüfen, ob das funktioniert und angenommen wird.
Wo sehen Sie Buer und den Stadtnorden in 20, 30 Jahren?
Ach, um Buer ist mir nicht bange. Ich denke, dass sich dann der Wohnraum in Richtung Stadtteilpark Hassel und Scholven erweitert hat und dass Buer als Kern von der Ansiedlung neuer Arbeitskräfte profitiert hat. Auch Buer-West mit seiner hervorragenden Anbindung an den Nord-Süd-Grünzug mit dem regionalen Radwegenetz wird sich als Wohnstandort etabliert haben. Den Wochenmarkt wird es weiter geben. Wie wichtig der ist, haben wir ja in der Coronazeit gemerkt.
>> Persönliches: Dr. Siegbert Panteleit
Geboren in Gladbeck, aufgewachsen in Horst, absolvierte Panteleit eine Ausbildung zum Gärtner, bevor er Landschaftsarchitekt wurde. Nach Forschungstätigkeiten an der TU Hannover und der Uni Dortmund wurde er Landschaftsplaner beim Kommunalverband Ruhrgebiet, erster Geschäftsführer des Initiativkreises Ruhrgebiet sowie Projektentwickler u.a. bei Heitkamp.
2000 gründete er sein Büro SPE in Buer und ist für verschiedene Beteiligungs- und Kooperationsgesellschaften in den Geschäftsfeldern Stadtumbau, Wirtschaftsförderung, Quartiers-, Immobilienentwicklung und -betrieb tätig.
Panteleit (66) lebt mit seiner Frau in Buer. Er hat eine Tochter und ein Enkelkind.