Buer. Kanadagänse legen den Verkehr auf einer der Hauptstraßen in Gelsenkirchen lahm. Zurzeit sollte man sich den Tieren nur mit Vorsicht nähern.

Die Kurt-Schumacher-Straße ist eine der „Hauptschlagadern“ der Stadt, als wichtigste Nord-Süd-Achse verbindet sie die beiden Zentren Buer und Gelsenkirchen. Tausende Autos sind hier Tag für Tag unterwegs. An diesem Freitagabend Ende Juni allerdings wurde die Kurt-Schumacher-Straße für kurze Zeit zur Dorfstraße.

Verantwortlich dafür: Ein großer Schwarm Gänse, der (aus Richtung Buer gesehen) kurz vor der Kreuzung Emil-Zimmermann-Allee in aller Seelenruhe die Kurt-Schumacher-Straße überquerte. Zu Fuß. Mit zahlreichen Küken. In Sichtweite der Fußgängerampel, allerdings ohne diese zu benutzen - in Sachen Verkehrserziehung besteht bei den Gänsen offenbar noch ganz viel Nachholbedarf.

Gelsenkirchener Autofahrer warten geduldig

Hier sind sie in der Regel anzutreffen: Kanadagänse grasen in den Parkanlagen rund um Schloss Berge.
Hier sind sie in der Regel anzutreffen: Kanadagänse grasen in den Parkanlagen rund um Schloss Berge. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Und so verursachten die Gänse einen mittelschweren Verkehrsstau – zum Glück nichts Schlimmeres, denn die Autofahrer, die an diesem frühen Abend unterwegs waren, hatten die Gefahr rechtzeitig erkannt und warteten geduldig, bis die Tiere die Straße überquert hatten: erst die Fahrbahn Richtung Süden, dann die Straßenbahnschienen, dann die Gegenfahrbahn – bis sie wohlbehalten auf der Berger-See-Seite angekommen waren.

Diese unheimliche Begegnung der fedrigen Art ist in diesen Wochen nicht so ungewöhnlich, wie man meinen sollte, und dafür gibt es einen Grund. „Zurzeit ziehen die Gänse ihren Nachwuchs groß“, erklärt Stadtsprecher Oliver Schäfer. „Deshalb legen die Tiere ihre Strecken zu Fuß zurück: Die kleinen Gänse sind noch nicht in der Lage zu fliegen.“

Bisher ist es noch nicht zu Unfällen gekommen

Da die Gänse auf beiden Seiten der Kurt-Schumacher-Straße Nahrung finden (die Tiere ernähren sich vor allem von Gräsern, Sumpf- und Wasserpflanzen), wird dann schon einmal zwischen Berger See und dem Lohmühlenpark mit seinem Teich hin- und hergependelt.

Zu Unfällen sei es zum Glück noch nicht gekommen, berichtet Polizeisprecherin Merle Mokwa. „Uns liegen keine Berichte über angefahrene Tiere vor“, berichtet sie, rät aber zu erhöhter Vorsicht. „Autofahrer sollten natürlich immer ihre Umgebung im Auge behalten und bremsbereit sein“, sagt sie – gerade rund um den Berger See solle man in diesen Wochen doppelt aufpassen.

Gänse haben Migrationshintergrund

Dabei müsse man auch den Rückspiegel im Blick haben. „Wenn absehbar ist, dass der Hintermann bei einer Vollbremsung auffahren würde, muss man wohl oder übel die Kollision mit dem Tier in Kauf nehmen“, so der Rat von Merle Mokwa. In jedem Fall sollten Autofahrer nach einem Zusammenstoß mit einem Wildtier die Polizei verständigen – auch wegen der Versicherung.

Die Gänse sind übrigens Kanadagänse und haben Migrationshintergrund: Anders als die heimische Graugans ist die Kanadagans ein sogenanntes Neozoon, ein Tier also, das im Laufe der Zeit eingewandert ist. „Ein typisches Beispiel für so ein Neozoon ist etwa der Waschbär“, weiß Oliver Schäfer. Die Kanadagans sei allerdings für die heimische Tierwelt unproblematisch, sagt der Stadtsprecher, da sie der Graugans in der Regel nicht in die Quere komme. Nicht ganz unproblematisch sind die Hinterlassenschaften der Tiere: So gibt es beispielsweise in der Nachbarstadt Gladbeck regelmäßig Beschwerden über den Kot der Vögel im Nordpark und in Wittringen.

Die Kanadagans: Von Nordamerika nach Deutschland

Bei der Kanadagans handelt es sich im die weltweit am häufigsten vorkommende Gänseart. Von der heimischen Graugans unterscheidet sie sich unter anderem dadurch, dass sie deutlich größer ist, charakteristisch ist auch der schwarze Kopf.

Die Gans ist ein Neozoon: Der Ausdruck bezeichnet Tiere, die sich unter anderem durch menschliches Zutun in Gebieten verbreiten, in denen sie ursprünglich nicht heimisch waren. Ursprünglich aus Nordamerika stammend, hat sich die Kanadagans seit Mitte des 20. Jahrhunderts auch auf dem europäischen Kontinent ausgebreitet.

Ein weiterer Unterschied zwischen Kanadagans und Graugans: Die Kanadagans ist Menschen gegenüber weniger scheu – Spaziergänger am Berger See wissen das. Zurzeit sollte man aber Vorsicht walten lassen: Eben weil die Gänse gerade Junge aufziehen, legen die Elterntiere einen ausgesprochenen Beschützerinstinkt an den Tag. Und im Park, ohne Auto, ist man so einer Gans wesentlich schutzloser ausgeliefert als auf der Kurt-Schumacher-Straße...