Gelsenkirchen-Ückendorf. Der Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ fördert benachteiligte Kinder in Gelsenkirchen-Ückendorf - nun erstmals digital. Ein Vorbild für Schulen?
Der Baum namens Jojo hat auch digital Wurzeln geschlagen: Vom Lieblingsgewächs bis zum Tischkicker und den Bücherregalen hat der Verein „Tausche Bildung für Wohnen“ seine Einrichtung in Ückendorf virtuell nachgestellt. Wer online auf die einzelnen Grafikelemente klickt, wird zu Lernseiten oder direkt zum Video-Chat mit seinem Bildungspaten weitergeleitet. Digitales Lernen: So kann’s gehen.
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Natürlich war es das Corona-Virus, das den Verein dazu veranlasste, seine individuelle Förderung von benachteiligten Kindern ins Netz zu transportieren. In den beiden Standorten des Vereins in Ückendorf und Duisburg-Marxloh erhalten Kinder Nachhilfe, Hausaufgabenbetreuung und einen Ort der Gemeinschaft und Zuwendung – woran Corona nichts ändern sollte. „Wir wollten die Kinder nicht im Stich lassen“, sagt Standortleiterin Marie Angerer. Schließlich sei es während der Pandemie doppelt wichtig, der sozialen Schere und Chancenungleichheit etwas entgegenzusetzen.
Auf der Suche nach einem kindergerechten Programm
Dass sich die derzeit fünf Bildungspaten im Bundesfreiwilligendienst, die hier an der Breilstraße zum Tausch für ihre Arbeit wohnen, einfach via Whatsapp oder Skype mit den Kindern kommunizieren, wäre laut Marie Angerer jedoch problematisch gewesen. „Die meisten Chatprogramme sind in Sachen Datenschutz nicht optimal und gar nicht geeignet für Kinder“, sagt die 24-Jährige. Fündig wurde das Team nach längerer Suche beim Programm Big Blue Botton. Die Schüler können sich dort per PIN anmelden, einen Account müssen sie nicht erstellen.
Aber da sollte mehr sein als nur eine datensichere und benutzerfreundliche Videoschalte. Auch einen Wiederkennungswert haben sollte die „virtuelle Tauschbar“ – eben bis zum Baum Jojo. „Mit diesem Konzept wollen wir Vorbild für Schulen sein“, sagt Marie Angerer.
Vorbild für die digitale Tauschbar wiederum war eine Idee aus der Kölner Erwachsenenwelt. Dort mussten Bekannte die Eröffnung einer Bar im Stadtteil Ehrenfeld vorerst abblasen – und verlagerten stattdessen Theke und Tanzflur, selbst Schlange vor dem Klo und Raucherecke ins Netz. „Die Idee dieser virtuellen Bar hat uns so begeistert, dass wir das auf die Tauschbar übertragen wollten“, erzählt Marie Angerer.
Vision: Programm soll sich für alle Kinder öffnen
Um möglichst alle 40 Kinder, die derzeit in Ückendorf betreut werden, mit dem neuen Angebot zu erreichen, konnte der Verein mit Hilfe seiner Unterstützer Tablets verleihen. Der virtuelle Begegnungsraum läuft zwar auch auf dem Smartphone, dort allerdings nicht optimal. Bis auf „kleine technische Schwierigkeiten am Anfang“ habe aber bislang alles gut geklappt, sagt Bildungspate Justin Vitt (20). „Die Kinder sind total motiviert und neugierig, weil es eben etwas Neues ist“, ergänzt Kollegin Pia Rüland (19).
Sommerferienprogramm
Die virtuelle Tauschbar gibt es auf tauschebildung.org; einige der Angebote sind frei verfügbar, die Chat-Räume nicht. Ermöglicht werden die Angebote des Vereins unter anderem durch die Gelsenwasser-Stiftung und der Gelsenkirchener Stadterneuerungsgesellschaft.
Kleinstgruppen dürfen die Tauschbar an der Breilstraße 25 seit zwei Wochen wieder besuchen. Derzeit läuft dort ebenfalls in kleinen Gruppen ein Sommerferienprogramm mit wöchentlich wechselnden Themen wie „Sinne wecken, Natur entdecken“ oder „Die Modewelt und Ich“.
Trotz der breiten Akzeptanz hält Marie Angerer die digitale Förderung allein aber nicht für den Heilsbringer. „Es kann und sollte eine Ergänzung zum physischen Lernen und Spielen sein“ – eine Ergänzung, an der man allerdings auch nach Corona festhalten will.
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Der Verein will die „virtuelle Tauschbar“ weiter ausbauen und neben der digitalen Eins-zu-Eins-Betreuung auch gemeinschaftliche Videoräume mit bis zu 20 Teilnehmern online schalten. „Wir könnten uns auch vorstellen, einen Bildungspaten zu berufen, der künftig ausschließlich digital arbeitet und dann nicht zwingend hier in Ückendorf wohnen muss“, sagt Marie Angerer.
Langfristig wünscht sich Team, das Angebot für alle zu öffnen. Derzeit ist die Teilnahme auf Kinder beschränkt, die schon vom Verein betreut werden. Die Vision: Ein für Kinder geschützter, digitaler Raum über die Stadtgrenzen hinaus. Marie Angerer: „Aber dafür braucht es noch viel Geld, Energie und Einsatz.“
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