Gelsenkirchen-Erle. Viele kamen zum letzten Gottesdienst in der Erler Kirche. Das Spektrum der Gefühle reichte von Trauer über Unverständnis bis Hoffnung auf Rettung.
Ein Kreuz steht auf dem Boden des Eingangsbereiches der Kirche St. Konrad. Es besteht aus etlichen Grablichtern, aufgestellt in einem Kreuz aus Korbgeflecht. Die Botschaft ist deutlich: Hier steht ein Abschied an. Gleichsam ist dies Symbol ein Mahnmal, ein stiller Protest einiger Gemeindemitglieder, die sich so lange eingesetzt haben für den Fortbestand ihrer Kirche und doch nun enttäuscht werden.
„Das ist ein schmerzhafter Moment“, weiß Propst Markus Pottbäcker um die Gefühle der Menschen. Er ist gekommen, die letzte Predigt zu halten. „Das ist ein Gebäude, das nicht nur eine rein religiöse Bedeutung hat, sondern eines, das die Menschen, die hier leben, mit ihrer Biografie verbinden.“
Gelsenkirchener können Tränen nur mit Mühe zurückhalten
Tatsächlich berichten nahezu alle, die jetzt eintreffen, um dem Gotteshaus Lebewohl zu sagen, von persönlichen Momenten. „Jahrelang habe ich hier ehrenamtlich gearbeitet“, erzählt die Küsterin, die auch heute hier Dienst tut. Kaum kann sie, die hier alle nur „Johanna“ nennen, die Tränen zurück halten. „Wir haben hier geheiratet, meine Jungs wurden hier getauft.“ Nun heißt es, Abschied nehmen. „Ich läute zum letzten Mal die Glocken.“ Ehrenamtlich hier tätig war auch Gisela Schwark zwischenzeitlich. Sie singt zudem im Gospelchor und sagt, natürlich hätte jener sich auch gern mit einem Konzert verabschiedet. Wegen der aktuellen Verhaltensregeln sei das aber nicht möglich. „Gerade in dieser Situation ist ein Abschied schwierig.“
Corona, das hört man immer wieder, mache diesen Moment doppelt schlimm. Einerseits suchen Christen in solch schwierigen Zeiten Halt in der Gemeinschaft der Gläubigen, andererseits macht es einen festlich-würdigen Abschied von der Kirche nahezu unmöglich. Ganz verzichten wolle man aber doch nicht auf Gesang. „Es ist gute Tradition, dass hier in St. Konrad zum Ende des Gottesdienstes ein Marienlied gesungen wird“, erklärt der langjährige Kirchenmusiker Josef Suttmeyer. Das wolle man auch heute tun.
Kirchenmusiker Suttmeyer gibt die Hoffnung noch nicht auf
Er, der hier über 50 Jahre lang tätig ist, hier 1960 seiner Frau das Ja-Wort gibt, eng mit der Gemeinde verbunden ist, gibt die Hoffnung noch nicht auf: „Ich staune, dass man die Entscheidung nicht anders hinbiegen kann.“ Da werde man weiter den Dialog suchen.
Die Gespräche vor dem Eingangsportal zeigen auch, diese Kirchenschließung bewegt die Gemüter, sorgt für Kritik und großes Unverständnis. Keineswegs, erklärt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, könnten mangelnde Besucherzahlen der Grund für die Aufgabe des Gotteshauses sein. „Wir hatten hier in der Gegend die beste Quote.“ Als es noch Sonntagsmessen gab, seien stets mindestens 120 Menschen gekommen und selbst zur Vorabendmesse am Samstag noch rund 70. „Es lohnte doch noch.“ Nun drohten Gemeinde und Gemeinschaft verloren zu gehen.
Gläubige fühlen sich an Beerdigung erinnert
Aus des Gotteshauses steht seit 13 Jahren fest
Das Aus für die Kirche St. Konrad ist schon lange beschlossene Sache. Vor 13 Jahren stand schon fest, das Gotteshaus muss geschlossen werden. Bis 2013 war die Zukunft noch gesichert – als Filialkirche von St. Mariä Himmelfahrt.
Die aktiven Zeiten an der Erler Kirche hätten sich nur durch den Eintritt in einen neuen Umstrukturierungsprozess verlängert, erinnert der Propst, den besonders zu Beginn seiner Dienstzeit in Buer Schreiben erreichten von Menschen, die sich für den Erhalt des Gotteshauses einsetzten. Das habe nachgelassen. Nicht aus Akzeptanz für die Entscheidung, weiß Pottbäcker. „Da spielt Resignation eine große Rolle.“
„Die Messe war ein fixer Termin. Da traf man sich. Jetzt verteilt sich das auf andere Kirchen – und das ZDF“, schimpft die Christin und schildert, wie sehr sie dieser Schritt betroffen macht: „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Gemeinde als Heimat empfunden. Wir haben jetzt alle das Gefühl, dass hier ein Stück Kirche als Gemeinschaft aufgegeben wird. Es fühlt sich wirklich an wie eine Beerdigung.“
Weil etliche Menschen dies nicht miterleben wollten oder sich dazu nicht in der Lage fühlten, seien sie fort geblieben. Für Christine Kürten ist das keine Option. „Ich will meine Solidarität bezeugen und einen würdigen Abschluss mitgestalten“, sagt sie, die mittlerweile zur Gemeinde St. Mariä Himmelfahrt gehört. Deren Tage aber seien ja auch gezählt.
„Erstmal müssen die Emotionen sein – und das dürfen sie auch“, hat Propst Markus Pottbäcker Verständnis. Gleichsam wagt er einen Blick in die Zukunft. „Ich nehme sehr ernst, was heute an Gefühlen vorherrscht und versuche gleichzeitig, eine Brücke zu bauen.“ Seine Botschaft: „Nichts von dem, was da ist, geht verloren.“ Den Menschen der Gemeinde will er beistehen. „Ich bin ein Seelsorger, auch in Situationen des Abschieds. Ein letzter Gottesdienst, ein solcher Moment ist auch für mich nicht schön.“