Gelsenkirchen-Horst. Die Lenin-Statue in Gelsenkirchen ist enthüllt. Hunderte Besucher kamen zum Festakt. Polizei verzeichnet am Samstag nur wenige Zwischenfälle.

Das feuerrote Stofftuch, das bis dahin als Sichtschutz gedient hatte, wurde am Samstagnachmittag um punkt 15.19 Uhr beiseite gezogen. Unter den Klängen und Gesängen der „Internationale“ erlebte die Lenin-Statue vor der MLPD-Bundeszentrale ihre feierliche Enthüllung. Laut Veranstalter sollen 800 Besucher rund um den Ort des Festaktes dabeigewesen sein, die Polizei zählte etwa 350. An den beiden Gegendemonstrationen von Anmeldern aus dem politisch rechten Lager, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite stattfand, nahmen addiert etwa 50 Personen teil. Bis zum Nachmittag blieb es laut Polizei bei kleineren Zwischenfällen.

„Wir haben bislang sechs Strafanzeigen vorliegen“, sagte Gelsenkirchens Polizeisprecher Christopher Grauwinkel am Samstag gegen 17 Uhr. Darunter war als schwerstes Delikt eine versuchte gefährliche Körperverletzung. Ein Teilnehmer der Enthüllungszeremonie soll laut Polizei versucht haben, eine Flasche in Richtung der rechten Gegendemonstranten zu werfen, wurde aber von eigenen Leuten daran gehindert. Zudem wurde laut Grauwinkel eine verbotene Fahne gezeigt, mitgeführte Pyrotechnik sichergestellt und eine Sachbeschädigung begangen – Letzteres im Kreise der Gegendemonstranten.

Aufstellung der Lenin-Statue erfolgte nun drei Monate später als geplant

Sein Blick geht vom Sockel direkt hinüber zum Schloss Horst auf der anderen Straßenseite: Die Lenin-Statue wurde in der früheren Tschechoslowakei von Künstler Vladimir Kyn entworfen. 16.000 Euro hat die MLPD dafür bezahlt. Nun steht sie vor der Bundeszentrale in Gelsenkirchen.
Sein Blick geht vom Sockel direkt hinüber zum Schloss Horst auf der anderen Straßenseite: Die Lenin-Statue wurde in der früheren Tschechoslowakei von Künstler Vladimir Kyn entworfen. 16.000 Euro hat die MLPD dafür bezahlt. Nun steht sie vor der Bundeszentrale in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Für die MLPD ist mit der Aufstellung ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Nachdem die Partei das gusseiserne Standbild für 16.000 Euro von einem österreichischen Händler erstanden hatte, wollte sie es auf ihrem Privatgrundstück an der Schnellhorststraße/Ecke An der Rennbahn mitten in Horst aufstellen. Die Pläne stießen auf massive Kritik seitens der anderen Parteien und der Stadtverwaltung. Letztere hatte mit Gründen des Denkmalschutzes versucht, die Aufstellung zu verhindern, was in zwei Gerichtsinstanzen scheiterte. Die geplante Aufstellung im März fiel dann ins Wasser, weil das Corona-Virus den Sozialisten einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Nun also mit drei Monaten Verspätung der Vollzug.

MLPD-Bundesvorsitzende Gabi Fechtner betonte in ihrer Ansprache, dass der 20. Juni bewusst als Ausweichdatum gewählt worden sei, weil an diesem Tag des Jahres 1982 die Partei gegründet wurde. Die Aufstellung einer Lenin-Statue in Zeiten, in denen weltweit andere Denkmäler mit umstrittenen Figuren vom Sockel gestürzt werden, betrachtet sie „weder als Provokation noch als Personenkult“. Vielmehr sei die Statue ein „Pflock“, den ihre Partei eingeschlagen habe, um in eine Diskussion über unser Gesellschaftssystem zu kommen. „Eine demokratische, gleichberechtigte Debatte auf Augenhöhe wurde uns bislang stets verwehrt“, klagte Fechtner an.

MLPD solidarisiert sich mit streikenden Stahlarbeitern von Thyssenkrupp in Duisburg

Ihr Vorgänger im Amt des Parteivorsitzenden, Stefan Engel, sprach von einer systematischen Unterdrückung aller Menschen in diesem Land, die sich dem Sozialismus verbunden fühlen, allein aufgrund ihrer Weltanschauung. „Wir sind und bleiben trotzdem ein Stachel im Fleisch der bürgerlichen Gesellschaft“, sagte Engel bei einer Pressekonferenz, die vor der Enthüllung im Innenhof der MLPD-Zentrale stattgefunden hatte.

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Fechtner sprach einen Solidaritätsgruß an die Stahlarbeiter von Thyssenkrupp in Duisburg aus, die aufgrund des drohenden Verlustes von Tausenden Arbeitsplätzen nun erste Streikaktionen durchgeführt hatten. Sie sprach aber auch die Nachbarn in Horst direkt an: Diese hätten nicht nur mit Ablehnung reagiert, behauptete Fechtner in ihrer Ansprache. Das direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite liegende Schloss Horst hielt indes eine unübersehbare Botschaft für den neuen, gusseisernen Nachbarn bereit: „Kein Platz für Lenin!“ – so prangt es in weißen Buchstaben auf der gesamten Fensterfront eines der braunen Backsteingebäude. In Schloss Horst findet zudem eine Ausstellung statt, die sich kritisch mit dem Kommunismus und seiner Geschichte auseinandersetzt.

Anwohner spielen beim Schutz vor Vandalismus eine zentrale Rolle

Auf dem Marktplatz in Gelsenkirchen-Horst war eine Videoleinwand aufgebaut, auf der die Enthüllung der Lenin-Statue übertragen wurde. Auch dort schauten einige Neugierige zu und lauschten den Reden.
Auf dem Marktplatz in Gelsenkirchen-Horst war eine Videoleinwand aufgebaut, auf der die Enthüllung der Lenin-Statue übertragen wurde. Auch dort schauten einige Neugierige zu und lauschten den Reden. © Thomas Richter

Für die MLPD-Bundesvorsitzende spielen die Anwohner rund um die Kreuzung aber auch noch aus anderer Sicht eine entscheidende Rolle: Sie sollen als „soziale Kontrolle“ dienen und dabei helfen, dass die Statue vor nächtlichem Vandalismus geschützt wird. Man wolle auch selbst diverse Maßnahmen zum Schutz der Statue ergreifen, so Fechtner. „Aber wir können ja jetzt nicht die nächsten Jahre jede Nacht eine Wache davor hinstellen“, hatte sie bereits im Vorfeld im Gespräch mit der WAZ gesagt.

Die MLPD habe die Polizei gebeten, künftig vermehrt Streife im Bereich der Horster Mitte zu fahren. Darauf angesprochen, erklärte Polizeisprecher Grauwinkel, dass diese zentrale Kreuzung im Stadtteil regelmäßig von Polizeistreifen angefahren werde. Eine 24-Stunden-Überwachung dieses Bereiches sei den Ordnungshütern aber selbstverständlich nicht möglich.

20 Gegendemonstranten der AfD saßen am „Katzentisch“

Bei der Gegendemonstration der AfD waren 20 Teilnehmer. Sie saßen quasi am „Katzentisch“, denn von ihrem Versammlungsort an der Brücke zu Schloss Horst waren sie für die Teilnehmer der Enthüllungszeremonie quasi unsichtbar. Sie trugen Plakate mit der Botschaft „Keine Statuen für Massenmörder“. Bereits um 15 Uhr, als das Standbild noch gar nicht enthüllt war, beendete die AfD-Gruppe ihren Protest und zog von dannen.

Länger hielten es die rund 30 Teilnehmer der anderen Gegendemo aus. Diese war laut Polizei von einer Privatperson angemeldet worden, die zum Umfeld der rechten Partei Patrioten für Deutschland gehören soll. Sie schwenkten schwarz-rot-goldene Landesfahnen, hielten Schilder hoch mit Botschaften wie „Schämt Euch!“ und beließen es bei lauten Zwischenrufen. Gegen 15.45 Uhr zog auch diese Gruppe dann ab. Die Feier vor der im Farbton Perlgrau frisch lackierten Lenin-Statue am MLPD-Sitz ging am späten Nachmittag weiter.

Keine Verkehrsprobleme trotz Teilsperrung der Kreuzung

Obwohl einige Fahrspuren in der Kreuzung An der Rennbahn/Turfstraße/Schnellhorststraße für den Durchgangsverkehr ab dem frühen Mittag teilweise oder vollständig gesperrt waren, blieb das befürchtete Verkehrs-Chaos aus. Das anwesende Großaufgebot der Polizei sorgte auch hier für Ordnung.

Kein Verständnis für den Menschenauflauf hatte ein Busfahrer der Bogestra. Als er an der Haltestelle „Schloss Horst“ gestoppt hatte und auf die noch verhüllte Statue blickte, rief er kopfschüttelnd durch sein geöffnetes Seitenfenster in Richtung MLPD-Sympathisanten: „Haben Sie denn nix aus der Geschichte gelernt?!?“

„Insgesamt ist es weitgehend friedlich und störungsfrei geblieben“, so die Polizei in einer ersten Bilanz am Samstagabend.