Die Wochenendtipps stehen diesmal unter besonderen Vorzeichen: Sie richten den Blick auf das Kriegsende 1945 und die NS-Zeit in Gelsenkirchen.
Es ist der 8. Mai 1945, der durch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht als Ende des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte eingeht – ein großer Tag für die Welt. Und ein Tag, der ganz lokal Spuren hinterlässt, bis heute auch im Stadtnorden die Menschen bewegt.
Museale Spurensuche
Die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ schildert die Geschehnisse im Dritten Reich in Gelsenkirchen, arbeitet Geschehnisse und Schicksale auf, bietet stets aktuelle wie lokale Denkanstöße. Eröffnet wird sie am 8. Mai 1994 an einem schaurigen Ort: im ehemaligen Polizeigebäude an der Cranger Straße 323, das während der NS-Zeit Sitz der NSDAP-Ortsgruppenleitung Buer-Erle ist. Das Haus mit seiner so wichtigen Ausstellung ist ausgerechnet am heutigen Tage geschlossen. Zwar steht die Öffnung am Dienstag, 12. Mai, kurz bevor. Heute aber kann man hier nicht des Kriegsendes gedenken. Deswegen stellt das Institut für Stadtgeschichte wichtige Quellen zu dieser Zeit aus dem Stadtarchiv auf seiner Facebook-Seite online.
Katalog zur Ausstellung
Wer lieber mit Zeit und Bedacht die Ausstellung erkunden will, kann das auf dem heimischen Sofa tun. Unter dem Titel „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ ist ein Katalog zur Dauerausstellung erschienen, heraus gegeben von Dr. Daniel Schmidt von Institut für Stadtgeschichte. Das Buch ist im Klartext-Verlag erschienen.
Historische Orte erleben
Mehrere Orte im Stadtnorden sind einst Schauplatz für die Verbrechen der Nazis. Heute erinnert hier eine Gedenktafel daran, verschwindet dort Geschichte im Grün der Natur. Daniel Schmidt hat für jene, die eine Zeitreise wagen wollen, gleich mehrere Tipps: „Das Mahnmal für die zerstörte Synagoge in Buer am Gustav-Bär-Platz und die Gedenksteine auf dem jüdischen Teil des Alten Friedhofs an der Mühlenstraße.“ Von einer besonders schauderhaften Tat in den letzten Tagen des Krieges zeugt eine Stolperschwelle vor dem Polizeipräsidium. „Wenige Tage vor der Befreiung durch US-Truppen ermordete die Gestapo elf Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion.“ Sie seien vom Polizeirevier zur Löchterheide gebracht worden. „Morgens um 6 Uhr – barfuß und in Schlafanzügen.“ Nahe der Sieben-Schmerzen-Kapelle werden sie ermordet. Demnächst, so Schmidt, solle auch dort eine Gedenktafel aufgestellt werden.
Drittes Reich im Kleinen
Auch interessant
Wie konnte das passieren? Das fragen sich Menschen heute. Die Zeiten nachzuempfinden, dabei kann die Kultur helfen. Etwa in Form eines Buches. Daniel Schmidt empfiehlt da zum Beispiel „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada. Der Roman basiert auf dem authentischen Fall des Ehepaars Otto und Elise Hampel, das in Berlin von 1940 bis 1942 Postkarten-Flugblätter gegen Hitler verteilt – und denunziert wird. „Das ist ein höchst beeindruckendes Portrait ganz normaler Menschen im Dritten Reich“, so Schmidt. Zumal die Lebenswelt der Protagonisten Otto Quangel und seine Frau Anna eindrücklich beschrieben wird. „Deren Hausgemeinschaft kam mir vor wie das Dritte Reich im Kleinen.“
Holocaust im Graphic Novel
Für Jung und Alt gleichermaßen geeignet sei die Lektüre „Maus“ von Art Spiegelman, immerhin 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Der polnische Jude Wladek Spiegelman erzählt darin seinem Enkel die Geschichte seines Lebens, berichtet von der Rettung aus dem KZ und vom Fluch des Überlebens. Das Besondere: „Die Mäuse sind die Juden und die Nazis die Katzen“, erklärt Daniel Schmidt. „Das Buch lohnt sich wirklich – auch für Erwachsene.“
Reisetipp für Geschichtsinteressierte
Zuletzt empfiehlt Daniel Schmidt eine neue Ausstellung: „Wer nach Berlin kommt, sollte sich die Zeit nehmen und das Haus der Wannseekonferenz besuchen. Die dortige Ausstellung ist mittlerweile komplett erneuert und in dieser Form erst seit Anfang des Jahres zu sehen. Meiner Einschätzung nach ist dies eine der besten Ausstellungen zum Thema Nationalsozialismus, die es derzeit in Deutschland gibt. Sie hat auch einen Bezug zu Gelsenkirchen: Dr. Alfred Meyer, Gelsenkirchener Nationalsozialist und Gauleiter von Westfalen-Nord, saß als Vertreter des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete dort mit am Tisch, als die Organisation der ,Endlösung’ besprochen wurde.“