Gelsenkirchen-Buer. Der Verein Nienhof versucht, den Wegfall des regulären Angebots durch ein Not- und Krisentelefon aufzufangen. Klienten fehlt die Tagesstruktur.
"Und bleib gesund!": Womit in Zeiten der Corona-Pandemie jedes Telefonat, jede Begegnung endet, das ist für psychisch Erkrankte gleich doppelt schwer umzusetzen. "Das Kontaktverbot trifft unsere Klienten besonders hart, weil sie die persönliche Ansprache und eine geordnete Tagesstruktur dringend brauchen", so Jürgen Skotschke, Geschäftsführer des Vereins Nienhof in Buer, der Menschen in seelischen Krisen betreut. Kurz: Die Zahl der Betroffenen, deren Erkrankung wieder aufbricht und die deshalb eine stationäre Behandlung benötigen, nimmt zu.
"Unsere Tagesstätte in Erle, die täglich von rund 27 Klienten besucht wird, mussten wir wegen Corona schließen", erklärt Skotschke. Damit fällt für sie die Möglichkeit weg, gemeinsam ihren Alltag zu gestalten, soziale Kontakte zu knüpfen und praktische Fertigkeiten zu trainieren. "Da stürzen viele in ein großes schwarzes Loch. Depressionen oder Psychosen brechen wieder aus oder werden stärker", hat er festgestellt. Ohne die Pandemie würde das wahrscheinlich so nicht passieren.
Gelsenkirchener Team hat Einzelkontakt intensiviert
Auch den täglich bis zu 20 regelmäßigen Besuchern der Kontaktstelle an der Nienhofstraße fehle der persönliche Austausch "total", der ebenso wie die Einzelberatung von rund 250 Frauen und Männern im Jahr darauf abziele, neu aufbrechende seelische Krisen im Vorfeld zu verhindern bzw. zu erkennen. "Für die Menschen selbst, aber auch für deren Angehörigen ist das eine Katastrophe."
Weil es schwieriger als sonst sei, die Klienten stationär unterzubringen, hat das multiprofessionelle Nienhof-Team ein Not- und Krisentelefon eingerichtet sowie den Einzelkontakt intensiviert. "Nicht bei jedem ist es mit einem längeren Telefonat getan. Wir suchen die Leute etwa auch zu Hause auf, gehen auf Abstand mit ihnen spazieren und versuchen so, den Wegfall der Angebote aufzufangen", so Skotschke.
Geschäftsführer hofft auf Lockerungen in der Tagesstätte Erle
Obwohl die 27 qualifizierten Fachleute aus den Bereichen Psychologie, Pädagogik, Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Ergotherapie, Heilerziehungspflege und Arbeitspädagogik teilweise in Kurzarbeit seien, engagierten sie sich außerordentlich. "Sie wissen, dass das System der Betreuung sonst zusammenbrechen würde. Die Situation für die Klienten ist schon sehr dramatisch. Auch ein Anstieg der Suizidzahlen ist nicht auszuschließen."
Weiteres Problem: Da viele Klienten Psychopharmaka einnähmen, seien sie gesundheitlich angeschlagen und gehörten damit zur Risikogruppe, bei der eine Corona-Infektion womöglich einen schweren Verlauf nehme. "Insofern ist das Virus für die Betroffenen doppelt gefährlich."
Alle hofften nun, dass die Wiedereröffnung der Erler Tagesstätte mit reduzierter Besucherzahl und im Schichtbetrieb "in nicht allzu ferner Zukunft" möglich sei. Entsprechende Gespräche dazu würden gerade mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege sowie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Kostenträger geführt. "Bis dahin müssen unsere Klienten, müssen wir alle noch durchhalten."
>> Der Verein Nienhof
Der Nienhof ist ein 1979 gegründeter gemeinnütziger Verein mit Sitz an der Nienhofstraße 8 in Gelsenkirchen-Buer, der sich um die Bedürfnisse und Interessen von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Krisen kümmert. Er betreibt auch
Die Haupt- und Ehrenamtlichen bieten Unterstützung bei der Strukturierung des Alltags, bei sozial-rechtlichen Angelegenheiten, bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (etwa mit Ausflügen und einem Begegnungscafé), bei der Nachsorge zu einem Krankenhausaufenthalt auf einer psychiatrischen Station/Tagesklinik, beraten zu psychosozialen Themen (in Einzel- oder Gruppengesprächen) und begleiten bei der beruflichen Orientierung oder Neufindung. Die Angebote sind in der Regel kostenlos. Kontakt: Telefon 0209 37 95 81