Gelsenkirchen-Resse. Die Begleitung Sterbender in Resse hat sich längst etabliert. Anliegen ist es, Schmerzen zu lindern und den letzten Tagen mehr Leben zu geben
Die letzte Reise antreten: Diese blumige Umschreibung des Sterbens, sie galt vor elf, zwölf Jahren buchstäblich für schwerstkranke Menschen, die im Hospiz begleitet werden wollten. "Damals mussten Gelsenkirchener nach Recklinghausen oder Bochum fahren", erinnert sich Irmhild von Fürstenberg, Initiatorin des Emmaus-Hospizes St. Hedwig, das am 1. April 2010 im einstigen St.-Hedwig-Krankenhaus Resse eröffnete. Die Jubiläumsveranstaltung, sie ist wegen der Coronakrise verschoben. Einen Grund zum Feiern gibt's trotzdem, findet Sozialpädagoge Michael Rohr vom Leitungsteam. Gerade weil es in der Einrichtung um Tod und Trauer geht.
Eine "Klinik zum Sterben"? Als Irmhild von Fürstenberg 2005 gemeinsam mit dem damaligen Servitenpater Christian M. Böckmann für ihre Idee warb, waren die Vorurteile groß. "Viele in Kirche, Politik und Bevölkerung meinten, es ginge darum, Schwerstkranke abzuschieben. Da mussten wir echte Überzeugungsarbeit leisten, um Gesellschafter für die gemeinnützige Trägergesellschaft zu finden", so die Mitbegründerin. Dabei wusste die damals frisch pensionierte Lehrerin und Malteserin nur zu gut, worum es ging, hatte sie doch selbst enge Angehörige gepflegt und beim Sterben begleitet.
Nicht jeder Familie ist die Betreuung Sterbender möglich
"Nötig war so eine stationäre Einrichtung, weil es nicht jeder Familie möglich war und ist, Schwerstkranke optimal zu betreuen", sagt die 76-Jährige, und Sozialarbeiter Rohr nickt: "Obwohl es einen sehr guten ambulanten Palliativdienst gab, war die Gründung überfällig, gerade in einer früheren Bergarbeiter-Stadt wie Gelsenkirchen mit ihren vielen Lungenerkrankungen."
Nach zehn Jahren hat sich das Hospiz an der Hedwigstraße längst etabliert, die Warteliste ist viel länger, als das Haus mit seinen zehn Einzelzimmern Plätze bietet. 1412 Gäste und deren Angehörige hat das multiprofessionelle Team bislang bis zum Tod begleitet, unabhängig von deren Glauben, wohlgemerkt.
Schmerzlinderung steht im Fokus - aber auch die Lebensqualität
"Wir sind ein überkonfessionelles Haus", betont Rohr. Sobald die Zusage der Kostenträger vorliegt, sei der Gast das Maß aller Dinge. "Unsere 25 examinierten Pflegefachkräfte, auf Abruf bereitstehende Ärzte, christliche, muslimische und jüdische Seelsorger sowie 25 Ehrenamtliche betreuen sie medizinisch, pflegerisch und seelisch rund um die Uhr", berichtet Rohr, stolz auf das "tolle, engagierte Team", das gerade auch in der Coronakrise besonders gefordert ist, weil Angehörige die Sterbenden nur noch eingeschränkt und dann auch nur in den Gästezimmern besuchen können.
Den Kranken mit hochwirksamen Palliativmedikamenten so weit wie möglich die Schmerzen zu nehmen, sei selbstverständlich. Dabei gehe es aber nicht um Sterbehilfe, sondern um Linderung und darum, Sterben als natürlichen Teil des Lebens anzusehen - und zu gestalten. "Wir haben auch innere und äußere Konflikte mit Angehörigen im Blick und bemühen uns, wenn es gewünscht ist, zu vermitteln", erzählt Rohr, dass da mitunter auch detektivischer Spürsinn gefragt sei. Unter Zeitdruck, versteht sich.
Suche nach verlorenem Sohn
"In einem Fall hatten wir nur ein altes Foto von dem Sohn, zu dem der Gast seit vielen Jahren den Kontakt verloren hatte. Auf dem Bild trug jener einen Pulli mit Firmenlogo. Darüber kamen wir schließlich an die Telefonnummer des Mannes, der sich sofort auf den Weg zu seinem Vater machte. Es war ein herzergreifendes Wiedersehen. Unser Gast wirkte danach wie erlöst", erinnert sich der Sozialarbeiter. "Wenn jemand aber partout nicht will, dass wir eine bestimmte Person verständigen, dann respektieren wir das natürlich."
Den Sterbenden jeden erfüllbaren Wunsch von den Augen abzulesen, darin sei das Team geübt. Konkrete Hilfen hat es nicht nur bei quälenden Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen oder Juckreiz, sondern auch bei vermeintlichen Nebensächlichkeiten, die aber die Lebensqualität ungemein erhöhen können. "Wenn jemand spätabends Hunger auf ein Schnitzel mit Pommes hat, dann saust ein Ehrenamtlicher los und kocht oder besorgt das", so Rohr. Dem Leben nicht mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben: Das ist das Leitmotiv im Emmaus-Hospiz.
Ehrenamtliche und Sponsoren sind unverzichtbar
Überhaupt, die derzeit 25 freiwilligen Helfer: Einige könnten sogar nachts angerufen werden, wenn ein schlafloser Gast eine Hand braucht, an der er sich festhalten kann, oder ein Gegenüber, um über die kleinen und großen Dinge im Leben zu sprechen. Andere stellen Spardosen in Geschäften auf oder backen Waffeln zu Gunsten des Hospizes, bieten Führungen durch das Haus an, verteilen Info-Flyer über das Hospiz und den Förderverein, der jährlich zwischen 120.000 und 130.000 Euro an Betriebskosten selbst einwerben muss. Kranken- und Pflegekassen übernehmen nur einen Anteil von 95 Prozent, "immerhin fünf Prozent mehr als bis 2018".
"Nur über die vielen Sponsoren, private wie Firmen, war in den letzten zehn Jahres vieles möglich, was die Lebensqualität der Gäste verbessert hat", unterstreicht Rohr. Die 2017 gestartete Renovierung der Zimmer etwa nach einem speziellen Farb- und Beleuchtungskonzept ("die Gäste können ja persönliche Gegenstände wie einen Sessel oder Bilder mitbringen, sollen sich aber auch darüber hinaus heimisch fühlen"), die Rampe auf den großen Außenbalkon, die auch bettlägerigen Gästen einen direkten Blick in den Himmel ermöglicht, dann die teilweise Überdachung des Balkons... Die Liste der Baumaßnahmen, finanziert durch Spender oder Benefiz-Veranstaltungen von Chören oder Musikern, sie ist lang.
Wie Irmhild von Fürstenberg als "Mutter des Emmaus-Hospizes" die Entwicklung "ihrer" Einrichtung nach zehn Jahren beurteilt? Aus dem Fördervereins-Vorstand hat sie sich zwar zurückgezogen, arbeitet aber noch für den Malteser Hilfsdienst in der Gesellschafterversammlung mit. "Ich bin zutiefst dankbar, dass uns damals die Gründung geglückt ist und dass sich das Haus in der Stadt und darüber hinaus mit seiner tollen Arbeit einen so guten Ruf erarbeitet hat. Es hätte nicht besser laufen können."
>> Die zehn Träger der Emmaus gGmbH
2007 gründeten sich eine Trägergesellschaft und ein Förderverein mit Irmhild von Fürstenberg an der Spitze. Träger der Emmaus gGmbH sind heute die Katholischen Kliniken Emscher-Lippe (KKEL) GmbH, die Augustinus GmbH, das Sankt-Marien-Hospital, die Elisabeth Stift GmbH, die Qualitätsgemeinschaft Praxisnetz Gelsenkirchen (QPG), der Malteser Hilfsdienst Essen, die Pfarrei St. Urbanus, der Hospizverein St. Hildegard, der Caritasverband Gelsenkirchen und die Beteiligungsgesellschaft des Bistums Essen (MBH)