Buer. Karl-Martin Obermeier, Professor für Journalismus und PR an der Westfälischen Hochschule, ist offiziell im Ruhestand. Doch er hat noch was vor.

Karl-Martin Obermeier verlässt die Westfälische Hochschule Gelsenkirchen – zumindest offiziell. Der Professor für das Fach Journalismus und PR ist jetzt im Ruhestand. Die WAZ hat sich mit ihm unterhalten.

Herr Obermeier, ich sitze jetzt hier einem Professor für Journalismus gegenüber. Muss ich jetzt befürchten, dass Sie mir am Ende des Interviews sagen, Sie hätten die besseren Fragen gestellt?

Karl-Martin Obermeier: Nein, mit Sicherheit nicht. Das steht nicht zu befürchten.

Sie sind jetzt offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden. Können Sie das überhaupt – so voll und ganz Rentner sein?

Nein, das kann ich nicht. Ich gebe zwei Studiengänge ab: Journalismus und PR, Bachelor und Master. Und so wie es aussieht, kommen mehrere neue Studiengänge hinzu. Es gibt die Akademie der Arbeit. Die ist 1921 als erste deutsche Hochschule gegründet worden in Frankfurt am Main vom damaligen ADGB, also Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, und dem Land Hessen, um Leuten ohne Abitur ein Studium zu ermöglichen. Die wird nächstes Jahr 100 Jahre alt und ist mittlerweile eigentlich Kaderschmiede für den Gewerkschaftsnachwuchs in Deutschland. Es gibt kaum einen sozialdemokratischen Arbeitsminister, der nicht da studiert hat. Mittlerweile bietet die Akademie Bachelor- und Master-Studiengänge an. Was noch nicht ganz spruchreif ist: Diese Studiengänge werden künftig Studiengänge der Westfälischen Hochschule. Also, die bleiben örtlich in Frankfurt, aber werden formal Studiengänge der WH. Und in allen vier Studiengängen bin ich unterwegs.

Sie haben ja selbst als Journalist gearbeitet. Wie hat sich Journalismus in den letzten Jahren oder Jahrzehnten verändert?

Ich glaube, der Journalismus ist anspruchsvoller geworden, was zum Beispiel Recherchen angeht, ist aber im Kern gleich geblieben. Was sich geändert hat, sind die Ausspielkanäle. Früher machte man elektronische Medien, also Radio und Fernsehen, oder Print. Heute kommt eben Online dazu. Aber die Qualifikation für Journalistinnen und Journalisten ist eigentlich gleich geblieben. Die müssen recherchieren können, die müssen schreiben können. Ich habe früher immer gesagt, die Leute, die Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben, sollen zum Radio gehen. Mittlerweile machen die da auch Online, also muss man dafür auch Rechtschreibung können. Das hat sich gewandelt.

Prof. Karl-Martin Obermeier.
Prof. Karl-Martin Obermeier. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Was sich definitiv in den letzten Jahren ein bisschen geändert hat, ist die Sicht auf den Journalismus, zumindest bei einigen in unserer Gesellschaft – Stichwort: Lügenpresse. Wie sollten Journalisten Ihrer Meinung nach damit umgehen?

Offensiv. Journalisten sollten nicht mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck durch die Weltgeschichte laufen. Im Berufe-Ranking waren immer Journalisten, Politiker und Gewerkschafter unter den letzten dreien. Das war auch schon so, als ich angefangen habe. Ich glaube, wir müssen heute offensiver mit dem Job umgehen. Bedeutet im Umkehrschluss aber auch: Wir können nur offensiv damit umgehen, wenn wir sauber arbeiten. Wir müssen sauber arbeiten nach allen Kriterien, die es im Journalismus gibt, die wir hier auch vermitteln. Journalismus wird dringender gebraucht denn je. Unsere Welt wird immer erklärungsbedürftiger.

Haben Sie das Gefühl, dass Journalismus in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch einen hohen Wert hat? Zumindest muss man die Leser im Digitalen ja neu davon überzeugen, Geld für journalistische Inhalte zu bezahlen.

Ja, das ist vollkommen klar. Das sehe ich ganz genauso. Ich glaube, dass Leute bereit sind, für guten Journalismus zu bezahlen. Die Krise des Journalismus ist eigentlich eine Krise der Finanzierung der Verlage. Wenn ich Anfang der 90er-Jahre eine Wohnung gesucht habe, habe ich ganz selbstverständlich in die Zeitung geguckt und habe mich dann durch den Kleinanzeigenteil gefressen. Das war auch bei Stellenangeboten so. Wenn ich Mitte der 90er-Jahre jemandem gesagt hätte, guck doch mal im Internet, hätte der mich relativ ratlos angeguckt. Aber mittlerweile ist das Rubrikengeschäft aus den Zeitungen komplett weg.

Führt eigentlich irgendein Weg an Paid Content als Erlösquelle vorbei?

Nein. Wir brauchen Paid Content. Da bin ich fest von überzeugt. Was mir Sorgen macht, ist nicht, dass Studierende den Vulkanausbruch in Papua-Neuguinea vielleicht um fünf Minuten verpassen, sondern, dass die Lokalberichterstattung nicht mehr funktioniert. Wie funktioniert eine Demokratie ohne lokale Berichterstattung? Verlassen wir uns nur noch auf Anzeigenblätter? Die haben sicherlich ihre Berechtigung, aber eben keine journalistische Kernkompetenz. Oder verlassen wir uns auf örtliche Blogs? Ich habe bisher noch keinen Menschen getroffen, der so einen Blog macht, der nicht irgendwie intrinsisch motiviert ist. Ein intrinsisch Motivierter, der macht das für eine Partei, eine Bürgerinitiative oder was auch immer – und das wüsste ich dann gerne. Es mag Blog-Betreiber geben, die das eine Zeit lang machen, aber die wollen dann auch irgendwann Kohle sehen. Die größte Gefahr, die ich für unsere Demokratie sehe, ist der Wegfall des Lokaljournalismus.

Was empfehlen Sie den jungen Studenten, den angehenden Journalisten für ein Medium?

Die müssen Online machen.

Warum so klar?

Ich beobachte ja ein paar Dinge: Wenn ich 95 Studienanfänger frage, wer einen Fernseher hat, gehen zwei Finger hoch. Spielt also keine Rolle mehr. Dann bin ich bei linearem Fernsehen: „Tatort“, Sonntagabend, 20.15 Uhr. Guckt keiner mehr. Wenn, dann gucken die das in der Mediathek. Das lineare Fernsehen ist komplett weg. Wenn ich frage, wer keinen Spotify-Anschluss hat, gehen auch zwei Finger hoch – die haben dann aber Amazon Music. Und wenn ich frage, wer kein Netflix hat, meldet sich keiner. Das heißt: Das, was Print zurzeit durchlebt, wird in der nächsten Phase Knall auf Fall auf die Öffentlichen-Rechtlichen zukommen. Familienabend am Samstag mit großen Shows – guckt kein Schwein mehr.

Sie sind ja nicht nur Professor für Journalismus, sondern auch für Public Relations. Ist PR für einen jungen Menschen heute eigentlich die sichere Berufswahl?

Ja. Eindeutig. In der PR kriegen sie meistens eine Festanstellung und die Bezahlung ist deutlich besser geworden. Die sind schneller an der Sonne.

Was brauche im Moment für einen Abi-Schnitt, um hier zu studieren?

Im Bachelor so um die 2. Klar ist, kein Prof hätte hier jemals studieren können. (lacht) Weder Weichler noch Obermeier, die beiden Journalismus-Profs, haben jemals volontiert. Über freie Mitarbeit sind wir da reingerutscht. Damals waren die Zeiten – das klingt jetzt wie kurz nach dem Krieg – aber auch anders. Da gab’s tausend Wege in den Journalismus. Und ich kenne aus meinem Redaktionszeiten keinen, der ein abgeschlossenes Studium hatte. Das hat sich schon geändert.

Was macht Karl-Martin Obermeier demnächst im seinen Unruhestand? Reisen? Oder haben Sie Hobbys?

Nein, nicht. Also ich habe da nichts vor. Ich konzentriere mich jetzt auf die anstehenden Jobs.