Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Polizei verstärkt die Präsenz an Moscheen und Orten, an denen sich viele Muslime aufhalten. Das geht vielen nicht weit genug.

Die drei Fahnen auf halbmast, jeweils ein schwarzer Flor auf den sozialen Medienkanälen Facebook und Twitter: Die Trauerbeflaggung am Gelsenkirchener Präsidium ist nicht die einzige sichtbare Reaktion der Gelsenkirchener Polizei nach dem rassistisch motivierten Mordanschlag im hessischen Hanau.

„Unsere Beamten werden verstärkte Präsenz an Orten zeigen, an denen sich in der Stadt muslimische Mitbürger in größerer Zahl treffen und aufhalten“, sagte Polizeisprecher Christopher Grauwinkel. Das Augenmerk der Einsatzkräfte wird sich dabei in den nächsten Wochen unter anderem auf Teestuben, Shisha-Bars und auch Moscheen richten, insbesondere an Tagen mit großem Zulauf wie etwa zum Freitagsgebet. Standposten, also deutlich sichtbare Einsatzwagen und -kräfte, wie sie vor Synagogen in Gelsenkirchen und Essen zum Alltag gehören, werde es aber nicht geben, so der Erste Polizeihauptkommissar weiter.anschlag in hanau – wie der staat jetzt antworten muss

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Auch in Gelsenkirchen gibt es eine erhöhte Präsenz der Sicherheitskräfte

Die erhöhte Präsenz der Sicherheitskräfte geschieht auf Anordnung des Bundesinnenministeriums. Die Polizei wird sich außerdem mit Verbänden und Institutionen darüber austauschen, wo zusätzlicher Schutzbedarf besteht, der womöglich noch nicht erfasst wurde. Das Internet weist 20 Moscheen respektive Gebetsräume in Gelsenkirchen aus. Nach Angaben der Stadt sind es mindestens um die 30, weil nicht jeder Standort im Netz eingetragen ist.

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Der rechte Terror von Hanau hat unterschiedliche Reaktionen in den muslimischen Gemeinden in Gelsenkirchen ausgelöst. In den Moscheen und Teestuben der Stadt „ist Angst und Verunsicherung bei den Mitgliedern und Besuchern“ nach wie vor spürbar. „Aber auch der Wille, mit einem verstärkten Schulterschluss dem Extremismus entschieden entgegen zu treten.“ Das bekräftigten Cesur Özkaya, Vorsitzender der Hasseler Mescid-i Aksa Moscheegemeinde und zugleich Sprecher der Plattform türkischer Vereine (TDP) Gelsenkirchen sowie Abdullah Günel, Hodscha (Islamgelehrter) und der Imam der Mimar Sinan Camii Moscheegemeinde in Bismarck.

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Trauernde halten in Hanau Fotos der mutmaßlichen Opfer in die Kamera. Nicht nur in Hessen, auch in Nordrhein-Westfalen gingen am Donnerstagabend Menschen auf die Straße, um gegen rechten Terror zu demonstrieren. Die Politik ist „fassungslos“.
Von Tobias Blasius, Matthias Korfmann und Christopher Onkelbach

Cesur Özkaya, Vorsitzender der Hasseler Mescid-i Aksa Moscheegemeinde in Gelsenkirchen. Er sagt: „Wir erwarten, dass die deutschen Behörden Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie entschiedener bekämpfen.“
Cesur Özkaya, Vorsitzender der Hasseler Mescid-i Aksa Moscheegemeinde in Gelsenkirchen. Er sagt: „Wir erwarten, dass die deutschen Behörden Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie entschiedener bekämpfen.“ © FFS | Oliver Mengedoht

In Hassel haben 37 TDP-Mitgliedsvereine und -organisationen eine Resolution verabschiedet, in der die Bluttat von Hanau und frühere rechte Anschläge „auf Schärfste verurteilt“ werden. „Diese Angriffe zielen darauf ab, Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Glaubensüberzeugungen und Identitäten abzuschrecken und den Willen des Zusammenlebens zu brechen. Dies werden sie jedoch nicht erreichen“, so Cesur Özkaya. Man erwarte, dass die deutschen Behörden „Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie entschiedener bekämpfen“.

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Forderung: Präventionsarbeit verstärken, früher beginnen

Imam Abdullah Günel sieht wie Özkaya in der Bekämpfung des Extremismus eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und plädierte dafür, durch noch mehr „interkulturelle und interreligiöse Präventivarbeit in Schulen, Vereinen und Gemeinden“, rechtem Gedankengut früher den Nährboden zu entziehen. „Das war auch unser Thema“, wie Günel erzählt, „im heutigen Freitagsgebet.“

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Von der verstärkten Präsenz der Polizei haben die beiden Gemeindevorsteher als auch die Besucher der Teestube in der Mulvanystraße in der Gelsenkirchener Altstadt noch nicht viel mitbekommen. „Grundsätzlich finden wir mehr Polizeipräsenz gut und richtig“, sagen drei Gäste zwischen Mitte zwanzig und Ende vierzig, die namentlich nicht genannt werden wollten. Das allein aber, so ihre Überzeugung, werde das Problem nicht lösen, weil man Anlaufstellen für Muslime oder anderer Glaubensrichtungen nicht ständig überwachen könne. Ihre Schlussfolgerung: „Man muss den Hass viel früher an der Wurzel packen.“

Imam: Migranten sehen Deutschland als ihre Heimat

Nach Angaben von Iman Abdullah Günel fühlen sich die Gemeindemitglieder in Deutschland heimisch. „Für die Menschen hier in der dritten Generation spielen die Türkei oder die arabischen Länder eher eine sekundäre Rolle.“ Umso größer seien die Wunden, die solch rechter Terror schlage.

Der Islamgelehrte äußerte im Gespräch auch die Befürchtung, dass verstärkte Präsenz von Polizeikräften vor Moscheen, Teestuben und anderen Einrichtungen Trittbrettfahrer erst recht dazu animieren könnte, Andersgläubige ins Visier zu nehmen.

Wie groß der Riss ist, der durch die Gesellschaft geht, deutet sich in weiteren Äußerungen an. Die häufigen Polizeikontrollen von Menschen mit Migrationshintergrund hätten zu einer Art Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen geführt. Dazu käme noch eine verfehlte Zuwanderungspolitik, die Menschen aus bildungsfernen Schichten Tür und Tor geöffnet habe. „Das war der Humus für die AfD, deren populistische Äußerungen salonfähig wurden, weil der gesellschaftliche Widerstand dagegen viel zu gering war und ist.“ Die Befürchtung eines Akademikers am Tisch: „Ich habe Angst, dass Geschichte zyklisch wird.“