Gelsenkirchen. Die Neue Philharmonie Westfalen spielte ihr 6. Sinfoniekonzert im MiR Gelsenkirchen. Auf dem Plan: feinste Anarchie. Wie das Publikum reagierte.

Kein Witz: Es ging drunter und drüber im Musiktheater im Revier. Fast alle Regeln schienen außer Kraft gesetzt zu sein. Denn auf dem Programm der Neuen Philharmonie Westfalen stand feinste Anarchie – Chaos nach Noten.

Zwei außergewöhnliche, schräge Werke der zeitgenössischen Literatur dominierten am Montagabend das Programm des sechsten Sinfoniekonzerts. Zum Fürchten? Mitnichten: Das Publikum jubelte begeistert. Und das war kein Wunder.

Denn zusammen mit Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1 erlebte es einen hochkarätigen Abend der musikalischen Extraklasse. Mit einer exzellenten jungen Ausnahme-Cellistin, einem dynamischen Gastdirigenten, mit einem gesellschaftspolitisch relevanten Programm und einem launig-lockeren Moderator.

Cellistin Raphaela Gromes mit einem Lächeln im Gesicht

Im Zentrum stand dabei Friedrich Guldas Konzert für Violoncello und Blasorchester aus dem Jahr 1981. Dieses gut halbstündige, fünfsätzige Werk ist eine echte Show. Unkonventionell, überraschend, frech und virtuos. Der Zuhörer kam dabei aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus, und auch Cellistin Raphaela Gromes (28) trug fast immer ein Lächeln im Gesicht. Denn der legendäre Pianist Gulda (1930-2000), ein Exzentriker seiner Zunft, mixte in diesem Stück gnadenlos und nahtlos funkigen Jazz mit sattem Bigband-Sound, Wiener Klassik mit alpenländischer Folklore, Renaissance mit Rock.

Die Neue Philharmonie Westfalen trumpfte unter der energiegeladenen Leitung von Andreas Hotz, Generalmusikdirektor am Theater Osnabrück, auf. Unkonventionell in Jeans und High Heels meisterte Raphaela Gromes den technisch schwierigen Ritt durch die Partitur mit Bravour, mit sicherer Technik und sensiblem Gespür für Nuancen, brillierte im ausgedehnten Solo. Den letzten Satz im Stile einer Blaskapelle gab’s dann als Zugabe gleich noch einmal, und das Publikum klatschte mit. Ein Spaß!

Matthias Bongard moderierte mit seiner aus dem Radio bekannten Stimme

Für den humorigen Grundsound sorgte auch Moderator Matthias Bongard mit seiner radio- und fernsehbekannten Stimme. Notwendig für Bernd Alois Zimmermanns (1918-1970) groteske „Musique pour les soupers du Roi Ubu“ nach einem Theaterstück des französischen Dadaisten Alfred Jarry, moderierte er dann gleich den ganzen Konzertabend. Locker, informativ, manchmal zu flapsig, denn das Abo-Publikum ist ein kenntnisreiches.

Nächstes Konzert

Das 7. Sinfoniekonzert der Neuen Philharmonie Westfalen erklingt am 16. März unter dem Titel „Schicksal“ im Musiktheater im Revier. Dann stehen Werke von Leos Janácek (Suite aus Osud), Peter Tschaikowsky (Fatum) und Ludwig van Beethoven (Sinfonie Nr. 5) auf dem Programm. Es dirigiert Roland Kluttig.

Karten und Infos: 0209 4097-200 oder www.musiktheater-im-revier.de

Zimmermanns skurrile Bankettmusik-Collage für einen Despoten verlangt einen Conferencier, der zwischen jedem Couplet mit dem Fahrrad auf die Bühne fährt und die jeweilige politische Lage kommentiert. Matthias Bongard philosophierte über den immer fieser werdenden Umgang der Menschen miteinander, über Rassismus im Fußball, über die Schere zwischen Arm und Reich und vieles mehr. Musikalisch nannte Bongard den grellen Sound gegen ein Unterdrückerregime, „ein musikalisches Ratatouille“ mit der Chance zum heiteren Melodienraten. Das Orchester meisterte die Gleichzeitigkeit der Stile souverän.

Neue Philharmonie Westfalen startete ins Beethovenjahr

Nach der Pause schließlich startete auch die Neue Philharmonie Westfalen ins Beethovenjahr. Mit der Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 des damals noch jungen Wilden, der einen anarchischen Eröffnungsakkord wählte, tat sie es klangschön, in leuchtenden Farben, transparent lyrisch im zweiten Satz. Ein runder Konzertabend, der trotz des Titels nicht aus dem Ruder lief.