Gelsenkirchen-Erle. Gelsenkirchens Narren feiern ihren 50. Rosenmontagszug. Weit über 100.000 Menschen zog es 1970 an die Cranger Straße. Und auch so manches Tier.

Was für ein närrisches Spektakel muss das gewesen sein, am Nachmittag des 9. Februar 1970: Ein Rosenmontagszug geht über die Cranger Straße in Gelsenkirchen! Der ist eigentlich nur als einmalige Sache geplant, zum 40. Vereinsjubiläum der Erler Funken. „Lasst uns mal ein paar Wagen bauen und ’nen Zuch machen“, sind die Worte des einstigen Vorsitzenden, Jupp Nienhaus, überliefert. Die Idee findet mehr als großen Anklang: Weit über 100.000 Menschen wollen das miterleben. Sogleich ist klar: Das schreit nach einer Fortsetzung.

Polizei in Gelsenkirchen vermeldet sogar 150.000 Zuschauer

„Die Polizei hat damals gesagt, es waren 150.000 Menschen“, sagt Willi Hedrich. Er sollte es wissen, ist er doch Wagenbauer der ersten Stunde. „Das war ein kleiner Wagen, weil wir den praktisch in einer Garage gebaut haben.“ Ein Anhänger, der gezogen wurde. Er selbst aber sei immer hinterdrein gelaufen. Natürlich verkleidet.

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Das liegt ihm schon damals im Blut. In der Familie seien alle jeck gewesen, erzählt Willi Hedrich. „Meine ganzen Verwandten waren im Verein – die Mädchen haben alle getanzt.“ Ehrensache, dass der junge Erler damals auch dabei ist. Noch heute schwärmt er davon: „Da waren ja auch Tiere aus dem Ruhr Zoo mit dabei. Ich erinnere mich an Kamele.“

Damals flogen in Gelsenkirchen auch kleine Tafeln Schokolade

So geht es auch Beate Lehmkuhl. Die Bilder von einst sind bis heute präsent. „Ich weiß noch, meine Mutter hat uns hinten am Kragen gefasst und gesagt, wir schauen aus der Entfernung. Damit wir nicht auf die Idee kamen, Klümpchen zu sammeln, hat sie jedem von uns eine Tüte Bonbons gekauft. Das war etwas ganz Besonderes.“ Und es soll in der Menschenmenge die Kinder vor Verletzungen bewahren.

Jeck in Gelsenkirchen: Elke Hedrich und Brigitte Kukafka bei einem ihrer Auftritte mit der Schrubbergard Anfang der 80er Jahre.
Jeck in Gelsenkirchen: Elke Hedrich und Brigitte Kukafka bei einem ihrer Auftritte mit der Schrubbergard Anfang der 80er Jahre. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

„Damals flogen auch kleine Tafeln Schokolade. Davon habe ich mal eine ergattert, das weiß ich noch.“ Überhaupt ist das kleine Mädchen, das mit der Familie aus dem Emscherbruch zu Fuß zur Cranger Straße gekommen ist, völlig fasziniert. „Da waren Spielmannszüge dabei. Das war ja richtig laut. Ich weiß noch, schon damals sammelten Menschen mit Schirmen das Wurfmaterial. Da habe ich mich geärgert, weil ich da nicht durchschauen konnte.“

Rosenmontag 1970 – ein echter Feiertag im Gelsenkirchener Stadtgebiet

Der Rosenmontag ist damals ein echter Feiertag im Stadtgebiet. Fast kann man sagen, jeder zweite Gelsenkirchener ist dabei. „Das war etwas ganz Besonderes“, meint Beate Lehmkuhl. So ist es auch für Brigitte Kukafka. „Wir sind zusammen mit einer Frauengruppe der Schützen mitgelaufen und hatten sehr viel Spaß. In Wanne haben wir uns in einem Verleih die Kostüme ausgeliehen und waren alle als amerikanische Bauernfrauen unterwegs – mit solchen Häubchen auf dem Kopf.“

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Die Stimmung an diesem Tag ist derart großartig, dass sie alle ansteckt, erinnert sich auch Elke Hedrich gern. „Es war einfacher als heute – aber für uns mit mehr Gefühl.“ Natürlich sei man verkleidet gewesen. „Wir haben damals Petticoats angehabt. Die haben wir uns von den Töchtern einer Freundin geliehen.“ Etwas Verpflegung haben die Frauen damals auch dabei. „Eine Flasche hatten wir immer mit. Es war ja kalt“, sagt die Erlerin und schmunzelt.

Wenn einer tanzen kann, dann die Schrubbergarde in ganz besonderen Kostümen, ebenfalls bei einem Auftritt Anfang der 80er-Jahre.
Wenn einer tanzen kann, dann die Schrubbergarde in ganz besonderen Kostümen, ebenfalls bei einem Auftritt Anfang der 80er-Jahre. © FUNKE Foto Services | Joachim Kleine-Büning

Erstausgabe des Rosenmontagszuges weckt das Karnevals-Fieber

Ihr Mann Willi ergänzt, er habe auch einen Bollerwagen dabei gehabt. Später dann habe er das System der Selbstversorgung perfektioniert: „Ich habe zwei Räder zusammen geschweißt und mit einem Anhänger versehen. Da war alles drin. Und vorne hatten wir ein Transparent mit dem Schriftzug der Erler Funken befestigt.“

Die Augen des Vollblut-Narren strahlen bei der Erinnerung an die Erstausgabe des Rosenmontagszuges. Damals packt Willi Hedrich das Fieber. Bis heute erwacht es immer wieder zu dieser Zeit. Er selbst, sagt er stolz, habe fast alle folgenden Züge mitgemacht.

Grundstein für das jecke Treiben im Stadtgebiet wurde in der Freiheit Buer gelegt

Wird auch in diesem Jahr das Jubiläum des Rosenmontagszuges in Erle gefeiert, so fanden doch bereits viele Jahre zuvor närrische Umzüge in Gelsenkirchen statt. Nur wurden diese nicht zu einer festen Institution.

Die WAZ sucht Zeitzeugen

Zum Jubiläum des Rosenmontagszuges in Erle sucht die WAZ Zeitzeugen, die damals mit dabei waren, egal ob als Zuschauer oder Aktive.

Wenn auch Sie Ihre Erinnerungen teilen möchten, können Sie sich in der Redaktion melden unter der Rufnummer 0209-1709430 oder per Mail an redaktion.gelsenkirchen@waz.de.

Der Grundstein für das jecke Treiben im Stadtgebiet wird, so manch einen Bueraner wird es freuen, in der Freiheit Buer gelegt. „Hier wurde im Jahr 1852 eine Karnevalsgesellschaft registriert“, weiß Hans-Georg Schweinsberg, Sitzungspräsident des Festkomitees Gelsenkirchener Karneval und Experte in Sachen närrische Stadtgeschichte. Jene „Große Carnevals-Gesellschaft“ veranstaltet 1856 einen großen Maskenumzug durch Buer mit anschließendem Festball. „Es war wohl eine regelrechte Galasitzung, verbunden mit theatralischen Vorstellungen und Musik vom 56. Infanterieregiment.“

Rücksicht auf den Bergbau: Umzüge finden Karnevalssonntag statt

Auch wenn die Geschichte des Karnevals in Gelsenkirchen nicht lückenlos überliefert ist, fest steht, nach dem Ersten Weltkrieg gibt es wieder eine jecke Hochzeit. Mit Rücksicht auf den Bergbau finden die Umzüge am Karnevalssonntag statt. „Die Innenstadt von Buer war schwarz von Menschen“, so Schweinsberg.

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Gesamtstädtisch wird der Karneval erst in den 1950er Jahren. In dieser Zeit zieht das Narrenvolk gemeinsam über die Bahnhofstraße zum Hans-Sachs-Haus, um den Schlüssel und somit die Stadt an sich zu bringen. Das heutige Festkomitee entsteht, als oberste karnevalistische Instanz, erst später. Nämlich als die Stadt Gelsenkirchen Anfang der 1970er Jahre ihren Zuschuss zum Rosenmontagszug an die Bedingung knüpft, eine organisatorische Struktur zu finden.