Gelsenkirchen-Bulmke-Hüllen. Krankheitsausfälle ließen die Gelsenkirchener Poetry Slam Meisterschaft zum Wettstreit von Auswärtigen werden. Der Gewinner kommt aus Duisburg.
Eine Erkältungswelle hatte der diesjährigen Stadtmeisterschaft im Poetry-Slam am Freitagabend einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht. Moderator Michael Meyer, Jugendarbeiter der evangelischen Kirche und Leiter der Slam-Szene Cafésatz in Beckhausen, musste in der Flora verkünden, dass sich der vorjährige Stadtmeister Emil Bosse und die beiden Kandidaten aus der Werkstatt in Buer krank gemeldet hatten.
„Poesieduell“ schickte somit Jasmin Sell aus Bochum in den „Ring“, die Sozialpädagogin war keine Unbekannte, hat lange im Spunk den dortigen Slam-Contest organisiert. Heute trat sie also als Konkurrentin der Kandidaten des Ückendorfer Jugendzentrums Malte Küppers aus Duisburg und Tobias Reinartz aus Dinslaken auf. Für Cafésatz starteten wie geplant Pierre Adam aus Gelsenkirchen und Carina Steinhoff aus Soest.
Kindheitserinnerungen in einem zerfledderten Heft
Sechs Vorentscheidungsrunden à sechs Teilnehmern an drei Orten, um unter den Siegern zwei Kandidaten für die Stadtmeisterschaft zu küren –eine ganze Menge Poesiefür die Stadt Gelsenkirchen. Und doch zeigte der Abend im Kulturraum, dass längst eine Form von „Stand-Up-Comedy“ die Domäne der Slammer beherrscht. Lyrik, Alliterationen, gereimtes Wort, Musikalität der Sprache fand sich nur noch im Beitrag des Gelsenkirchener Pierre Adam wieder. Viele „bärtige Bären und Beeren“ und Kindheitserinnerungen in einem zerfledderten Heft.
Papierflieger – Poesie von Pierre Adam
Ein leeres Blatt für was weiß ich gemacht, vielleicht ein Blatt für Rechenaufgaben und weil wir nichts wissen ein Lächeln d`rauf malen, vielleicht ein Blatt, eingeschweißt, für immer, damit wir uns später dran erinnern, vielleicht auch nur ein Blatt, um zu Basteln, um zu schneiden, oder einfach nur ein Blatt, welches wir am Schluss zerreißen, doch du bist anders, du bist besonders, grad` weil du nicht vergleichbar bist, doch dir reicht das nicht, du möchtest viel lieber wie jeder sein, weil du überzeugt davon bist, dass du etwas zum Beschreiben bist.
Du bist dafür gemacht, aber eigentlich... einfach nur ein Blatt...Und das was aus dir wird, ist vielleicht nicht das, was du von dir erwartet hast und trotzdem ist es sagenhaft, denn du veränderst die Welt mit dem, was du zu sagen hast. Unbeschrieben bist du unbeeinflusst, dementsprechend hast du mich beeindruckt. Und trotzdem möchtest du viel lieber ein Buch sein, eine Zeitschrift, etwas was Verwendung hat, auf dem Schreibtisch, doch für mich bist und bleibst du unbeschreiblich. Zerbrich dir nicht den Kopf, ich weiß es ist hart, doch du bist gut so, wie du bist, ein Unikat.
Dennoch denkst du viel zu viel nach, so dass sich die erste Falte auf dein Fasern zeigt, du fühlst dich wie ein ungebügeltes Abendkleid. Unbeschrieben, etwas zerknittert und mit einem Eselsohr als Belohnung, bleibst du das einzige Weiß in einer Zweizimmerwohnung. Das einzige Weiß welches nicht weiß was es heißt sich zu unterscheiden, ich würd`s dir unterschreiben, damit du weißt, dass dein Weiß sich nicht drum reißt, sich bunt zu kleiden, es nicht bunt zu treiben, denn dann wärst du genauso wie jedes andere Weiß, aber weißgott du bist weißlich nicht weißer, als ein Standardweiß...
aber weiß genug um etwas zu erleben und das gibt dir die Chance dich von den anderen abzuheben...Abzuheben als wäre man ein Pilot und man fliegt los, so richtig hoch, als wäre man groß... und ab jetzt hat man das Gefühl, man hat es in der Hand, doch wie weit man kommt, entscheidet der Luftwiderstand. Eine Option die verlockend ist, dennoch hat sie einen Haken, ein Blatt bleibt ein Blatt und ein Haken .- eben ein Haken.
Du überlegst und überlegst, für was bin ich gemacht, aus einer Falte werden Falten, versuchst aus deinen Gedanken etwas zu gestalten und findest keinen Sinn, ja ich bin, was ich bin. Die Zeit vergeht und es gibt viele Möglichkeiten, die sich bieten, doch jetzt hast du dich selbst entschieden, zwar nicht das womit du gerechnet hast, aber wie sollst du auch, dir fehlten ja die Zahlen, um dir etwas auszumalen. Trotzdem hast du etwas geschaffen, es war der Wunsch etwas aus dir zu machen.
Ein leeres Blatt genau dafür gemacht. Und mit jeder weiteren Falte wirkt es für dich affektiert, doch wenn man es akzeptiert, merkst du vielleicht, dass du viel mehr bist, als nur ein Blatt Papier. Ich versuche dir dabei zu helfen, so gut wie ich kann, ich setze mich zu dir rüber und wir beide fangen in Ruhe an. Deine oberen Ecken und Kanten werden zur Mitte gelegt, in der dein Herz schlägt und wo noch viel mehr lebt. Zwei an sich vergleichbare Seiten, welche sich jedoch von Grund aus unterscheiden.
Ich nehm` meine Hand, falte den äußersten Rand und füge sie zusammen. Jetzt sind sie wieder eins und die Falte in der Mitte erweckt den Schein, als sollte es so ein. Dann noch ein Knick, aus dem die Flügel entstehen, ihr solltet ihn sehen...Aus allen Fasern und falten, Ecken und Kanten ist unter anderem ein Papierflieger entstanden. Jetzt liegst du auf dem Tisch und bist noch immer unbeschrieben, ich finde keinen Stift, als ich dich berühre, ist es so, als verstehe ich Blindenschrift. Und es fühlt sich so an, als wenn du mir sagst, schreib keine Zahl, kein Reim oder Wort auf mich Blatt, ich bin was ich bin und das ist mehr als ein Satz, ich bin mehr als ein Blatt, für was auch immer gemacht, ich bin weißgott noch immer weiß und auch wenn ich nichts weiß, weiß ich eins, - ich habe es richtig gemacht - und du hast es richtig gemacht.
ich klemme dich zwischen Zeigefinger und Daumen, vergesse Zeit und Raum und werfe dich in die Luft, - ich weiß du kommst nie wieder, doch da fliegst du nun... mein Papierflieger. Und auch wenn du unbeschrieben bliebst, gibt es jemand der dich heute noch bewundert, gibt es jemanden der dich schätzt, auch noch in einem weiteren Jahrhundert, denn keine Technik kann dich je ersetzen, kein Kind mit einem Lächeln wird dich je vergessen. Selbst ich erinnere mich an dich und bin immer wieder fasziniert, wenn du fliegst und dann am fallen bist, es ist der eine Moment, wenn du frei von allem bist.
Ein wunderschöner, poetischer Beitrag in der Endrunde: der Papierflieger. „Und auch wenn du unbeschrieben bliebst, gibt es jemand der dich heute noch bewundert, gibt es jemanden der dich schätzt, auch noch in einem weiteren Jahrhundert, denn keine Technik kann dich je ersetzen, kein Kind mit einem Lächeln wird dich je vergessen“. Das brachte Adam letztendlich den zweiten Platz. Der Sieg war ihm vielleicht verwehrt, weil seine Vorträge noch geprägt sind von Aufregung, bescheidenem Auftreten, kleine Verhaspler hier und dort. „Ich habe erst vor acht Monaten mit dem Schreiben und Vortragen von eigenen Texten angefangen“, sagte der 31-jährige Resser. Die Szene kann sich auf seine kommenden Jahre freuen.
Engagierte Texte, aber einfach gestrickte Witze
Best of Poetry Slam in Horst
Der frisch gekürte Stadtmeister wird am „Best of Poetry Slam“ auf Schloss Horst auftreten. Am Samstag, 9. November kann sich Malte Küppers mit Lara Emer, Yannick Steinkellner, Florian Stein und Veronika Rieger aus der nationalen Slammer-Szene messen.
Es moderiert Leonie Warnke. Beginn 20 Uhr, Eintritt 10 Euro. Die Kartenreservierung läuft über den Veranstalter vom Schloss Horst.
Ganz anders der Sieger des Abends. Malte Küppers trat von Beginn an souverän auf die Bühne. Die Texte des Sozialarbeiters beschäftigen sich löblich engagiert mit Vorurteilen und Ausgrenzung, mit Tod und Krankheit. Allein, häufig zielte es ab auf einfach gestrickte Witze und Schenkelklopfer, Küppers war laut, lachte über den eigenen Humor, das zog mit. Er bekam die meisten Stimmen. Der drittplatzierte Tobias Reinartz nahm mit ähnlich starker Bühnenpräsenz sich selbst auf den Arm, seine 1,95 Meter-Größe, die Komplikationen der Kleiderfindung, erzählte humoristisch über deutschen Weihnachtswahn, der mit einer Axt ein tödliches Ende fand.
Die Damen des Abends kamen nicht in die Finalrunde, obwohl sie qualitativ den Herren in nichts nachstanden. Sell überzeugte mit ihrem positiven Statement zur fülligen Figur und Steinhoff ließ das Publikum an ihrem Leben als Kindergärtnerin teilhaben, an manchen Stellen zu überzogen das Geschrei der kleinen Racker. Poetry-Slam ist auch Momententscheidung. „Respect the Poets“ war aber das Zauberwort des Abends, jeder Teilnehmer wurde durch ordentliches Klatschen belohnt.