Gelsenkirchen. Firmen registrieren Auftragsrückgänge, die Wirtschaftsprognosen sind nicht mehr so positiv. So schätzen Verbände und ein Unternehmer die Lage ein.
Nur knapp unter Langzeithoch lag der Elix, der Emscher-Lippe-Index, im Frühjahr bei 122 Punkten. 150 Unternehmen der Region hatten ihre Bewertung für den regionalen Konjunkturindikator abgegeben. Trotz zunehmender Skepsis sei eine positive Grundstimmung zu erkennen. Der Höhenflug der letzten Jahre sei zwar beendet, aber die „regionale Wirtschaft wächst auch 2019 weiter. Trotz zunehmender Konjunkturrisiken und einer voraussichtlich nachlassenden Dynamik im Außenhandel ist ein solides Wachstum im Jahr 2019 realistisch“, interpretierten Experten der Sparkasse, die den Elix mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Nord Westfalen herausgeben, die Situation. Und kein halbes Jahr später? Wird national vor einer größeren Konjunkturdelle gewarnt. So schätzen Wirtschaftsvertreter und Gewerkschafter die Lage im Emscher-Lippe Raum ein:
Der Unternehmer
„Seit ein paar Wochen sage ich es so: Die Party ist vorüber. Wir haben in den vergangenen Jahren ein sehr hohes Auftragsvolumen gehabt, das schon an die Grenze der kapazitiven Auslastung ging, doch das entspannt sich jetzt, wenn man es positiv ausdrücken will“, sagt Lars Baumgürtel. Der geschäftsführende Gesellschafter der Großverzinkerei-Gruppe Voigt & Schweitzer (der Metalloberflächenveredeler verzinkt in seinem Werk im Gelsenkirchener Stadthafen unter anderem Unterbauten für Sattelzugauflieger) ist Chef von bundesweit rund 2000 Beschäftigten, zudem ist Vorsitzender des IHK Regionalausschusses. Seine Bewertung, betont er, wolle er aber vor allem als Einschätzung eines größeren Mittelständlers verstanden wissen: Probleme sieht Baumgürtel vor allem branchenbezogen bei Firmen, die stark vom Export abhängig sind. Und/oder von der Autoindustrie. Die Umbrüche dort wirkten sich auf Zulieferer aus, Handelsbeschränkungen und Brexit-Desaster blieben zudem nicht ohne Folgen. „Investitionen werden zurückgehalten, weil niemand weiß, was wirklich passieren wird. In solch einem Umfeld ist wirtschaftliche Entwicklung schwierig.“ Bereiche wie die Bauwirtschaft oder die Logistik, stellt Baumgürtel fest, liefen weiterhin gut, das gelte auch für den Maschinenbau. „Aber wir stellen fest, dass Spediteure, unabhängig von Fragen des Fahrzeugantriebs, für dieses Jahr Bestellungen zurückhalten. Das gibt Kapazitätslöcher, aber wir haben die Möglichkeit, das aufzufangen. Für den Unternehmer ist die Politik gefordert: „Wir brauchen klare Industriestrategien, die die Mittelständler unterstützen. Doch die Politik im globalen und nationalen Rahmen sorgt nicht für Sicherheit. Das ist für die Wirtschaft nie gut.“
Der Verbandssprecher
„Für Gelsenkirchenhaben wir bislang ein ganz gutes Jahr gehabt. Aber es hat auch Eintrübungen und erste signifikante Auftragsrückgänge gegeben. Im Moment geht es noch, aber wir merken teilweise auch einen Abfall bis zu einem Drittel. Bereiche, die nicht mehr so gut laufen, sind die Metall- und Elektroindustrie. Dort sind vor allem Firmen betroffen, die automobillastig sind“, schätzt Michael Grütering die Lage ein. Der Rechtsanwalt ist Hauptgeschäftsführer der (Metall)-Arbeitgeberverbände Gelsenkirchen und Düsseldorf. In der Landeshauptstadt hat er bereits erste Anfragen von Unternehmen zur Kurzarbeit registriert, „das ist immer ein erster Indikator, in Gelsenkirchen haben haben wir das aber noch nicht“. Gleichzeitig, so Grütering, „haben wir die schizophrene Situation, dass wir immer noch eine hohe Fachkräftenachfrage verzeichnen können. Doch die Plätze sind nicht zu besetzen.“ Dass es eine Konjunkturdelle gibt, ist für den Geschäftsführer klar. „Doch noch weiß keiner, wie stark sie wird. Und wen sie trifft.“
Der IHK-Standortleiter
„Erste Trends sprechen“ aus Sicht von Jochen Grütters, dem Leiter des IHK-Standorts Emscher-Lippe dafür, „dass sie Stimmung etwas schlechter wird“. Die aktuelle Elix-Befragung läuft noch. Erste Einschätzungen zeigen Grütters, „dass die Geschäftserwartungen nicht mehr so gut sind wie bei den letzten Umfragen. Ich denke, dass es zu einer Konsolidierung kommen wird.“ Die abschwächende Konjunktur „wird um unsere Region keinen Bogen machen“, ist Grütters überzeugt, ebenso, dass die „international tätigen Unternehmen durch den ungeklärten Brexit und wachsende Handelsstreitigkeiten beeinträchtigt werden. Die werden das spüren, da bin ich sicher.“
Der Gewerkschafter
Der Konjunkturmotor, findet der Gelsenkirchener IG Metall-Sekretär Jörn Meiners, sei derzeit „vor allem die Bauindustrie“. Eine Eintrübung im Exportbereich sieht er „in der Tendenz gegeben, das scheint sich so zu entwickeln, dafür ist Herr Trump nicht gerade unwichtig. Aber konjunkturelle Hochs und Tiefs“, so Meiners, „haben wir immer, das ist einfach systemimmanent. Dass es irgendwo in Gelsenkirchen Kurzarbeit geben soll, ist mir nicht bekannt. Zumindest nicht aus diesen Gründen.“ Gestützt werde die Konjunktur derzeit auch durch den Binnenmarkt, ist Meiners überzeugt. „Durch die lange Zeit des Lohnverzichts für Arbeitnehmer war die Binnennachfrage nicht da. Mit den Tarifabschlüssen ist sie gestiegen.“