Gelsenkirchen. . Michael Grütering, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe, erklärt im Interview, was Gelsenkirchen von Düsseldorf lernen kann.
- Folge 8 unserer Interview-Reihe „SommerGEspräche“
- Heute mit Michael Grütering, Geschäftsführer Arbeitgeberverband Emscher-Lippe
- Er erklärt, warum er gegen einen dauerhaften Sozialen Arbeitsmarkt ist
Der Soziale Arbeitsmarkt beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch die Wirtschaft. Über dieses und andere Themen sprach WAZ-Redaktionsleiter Steffen Gaux mit Michael Grütering, dem Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände Emscher-Lippe.
Herr Grütering, einen dauerhaften Sozialen Arbeitsmarkt wird es mit der neuen Landesregierung nicht geben. Die Stadt Gelsenkirchen muss nun Konzepte ändern, um von der Vorgängerregierung in Aussicht gestellte Gelder abrufen zu können. Sie haben diese Entscheidung begrüßt. Was haben Sie gegen einen Sozialen Arbeitsmarkt?
Michael Grütering: Ich habe etwas gegen einen dauerhaften Sozialen Arbeitsmarkt. Es kann sein, dass man temporär was braucht, um gewissen Umständen in bestimmten Regionen Rechnung zu tragen. Aber ein dauerhafter zweiter Arbeitsmarkt ist ordnungspolitisch völlig falsch. Wir müssen versuchen, mit engerer Anbindung an die Wirtschaft, auch die Langzeitarbeitslosen mitzunehmen. Da bin ich bei dem, was die neue Landesregierung fordert. Ist es nicht sinnvoll, die einfachsten Arbeitsplätze – die Pförtner, die Feger, die Boten – in der Wirtschaft zu platzieren? Sie könnten dann zum Teil – so wie es möglich und vertretbar ist – von der Wirtschaft bezahlt werden? Nehmen wir mal an, ein Unternehmen wäre bereit, sechs Euro für diese einfachsten Tätigkeiten zu bezahlen: Die Differenz zum Mindestlohn von 8,84 Euro könnte dann durch Transferleistungen aufgestockt werden. Das ist doch dauerhaft für die Gesellschaft, für die Betroffenen und für die Sozialkassen der richtigere Weg, weil wir dann nur die Differenz finanzieren.
Sind Sie sicher, dass die Betriebe dann einstellen würden?
Wenn ich die Unternehmen frage: Wärst du bereit, wieder einen Boten oder ein Fahrer anzustellen, wenn es wirtschaftlich für dich vertretbar wäre? Die Antwort lautet: Ja. Aber nicht für 8,84 Euro. Das kann ich schlecht finden. Es ist müßig. Wir haben alle gehofft, die Arbeitsplätze würden bleiben. Sie sind nicht geblieben.
Können Sie eine Zahl nennen, wie viele Arbeitsplätze in Gelsenkirchen dem Mindestlohn zum Opfer gefallen sind?
Nein. Aber wir haben richtig Glück gehabt, weil wir uns in einer wirtschaftlichen Boom-Situation befinden. Folglich ist der Verlust nicht so groß, da die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung permanent steigt. In schlechter wirtschaftlicher Situation wird uns der Mindestlohn mehr Arbeitsplätze kosten.
Was Sie gerade beschrieben haben mit den Transferleistungen, ist das nicht eine Art Kombilohn?
Wir haben das Thema Kombilohn hier mal praktiziert zusammen mit der Gafög – meiner Meinung nach erfolgreich. Was natürlich ein Problem ist: Es ist unverschämt teuer. Der Vorwurf, der sofort von der Arbeitnehmerseite kommt, hier sollen Billigarbeitsplätze für die Arbeitgeber subventioniert werden, ist falsch. Die Vergangenheit hat uns gezeigt: Wenn wir es nicht machen, sind die Arbeitsplätze weg.
Glauben Sie, dass über dieses Modell – das Andocken an den ersten Arbeitsmarkt – auch Arbeitslose eine Chance haben, die über 50 Jahre alt sind, die seit etlichen Jahren arbeitslos sind, die möglicherweise auch gesundheitlich eingeschränkt sind?
Ja. Und diese Pauschalität, der 50-Jährige hat keine Chance mehr – ich bin nicht bereit, das so stehen zu lassen. Der demografische Wandel wird uns erfassen. Wir werden Leute suchen, die wir in Arbeit bringen müssen. Und auch die Wirtschaft wird sich überlegen müssen, was sie da macht. Sie wird mitmachen, weil sie manche Arbeitsplätze sonst nicht besetzen kann.
Mancherorts gibt es jetzt schon viele offene Stellen.
Ja, in Düsseldorf und Köln werden gerade händeringend Leute gesucht – teilweise mit Prämien. Elektriker zum Beispiel. Sie kriegen in ganz Düsseldorf keinen Elektriker mehr. Auch das wird uns irgendwann in Gelsenkirchen erwischen. Nur später.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass sich das ursprüngliche Modell Sozialer Arbeitsmarkt an das untere Drittel der Langzeitarbeitslosen richtet, während das neue Modell für das obere Drittel ist? Für Menschen, die es auch ohne staatliche Hilfe wieder in Lohn und Brot schaffen könnten.
Ich habe ein Problem mit „oberes“ und „unteres“ Drittel. Und die einzige Änderung der neuen Landesregierung ist die Frage: Könnt ihr das nicht am ersten Arbeitsmarkt platzieren? Der Personenkreis ist der gleiche. Wir haben Schwerstfälle, die wir nicht mehr vermittelt kriegen. Da kommt dann das Argument: Wenn man die in öffentlich geförderter Beschäftigung hat, dann können die ihren Kindern wenigstens vorleben, was geregelte Arbeit ist. Das wäre für mich aber die erwähnte temporäre Geschichte.
Warum ist die Situation gerade in Gelsenkirchen so wie sie ist? Wie viel Eigenverantwortung der Stadt oder der Politik vor Ort steckt da mit drin? Oder ist das alles dem Strukturwandel geschuldet?
Strukturwandel als dauerhaftes Argument kann ich nicht akzeptieren. Manchmal glaube ich, dass es auch ein Mentalitätsproblem in dieser Stadt gibt, auch was anderes zuzulassen, was zu riskieren, einfach mal was zu probieren. Ja, wir werden auch mal scheitern mit Projekten. Ist doch nicht schlimm. Wir müssen nicht nur mehr tun als andere Regionen, wir müssen auch risikofreudiger sein.
Strukturwandel ist ja auch kein Gelsenkirchener Problem, sondern ein Ruhrgebiets-Problem.
Genau. Es gibt andere Städte wie Essen, die den Strukturwandel super hinbekommen haben. Oder gucken Sie auf das Gewerbegebiet Dorsten/Marl. Da ist jetzt alles voll. Das haben die super gemacht, muss man neidlos anerkennen. Es geht also irgendwie. Und dann frage ich mich: Warum haben wir die hier nicht? Warum ist jetzt Metro-Logistik nach Marl gegangen? Warum ist Ikea nicht hier gelandet? Warum haben wir Avato nicht gekriegt? Ich weiß das alles nicht, das sind einfach nur Fragen. Aber die anderen schaffen es ja. Es gibt ja durchaus positive Ansätze wie den Nordsternpark. Das ist toll, was da läuft. Da brauchen wir mehr von.
Nennen Sie mal ein bis zwei Beispiele, wo Sie sagen: Das sind Projekte, die man hier machen muss.
Mein Steckenpferd ist der Übergang Schule / Beruf. Dieser muss in einem Kompetenzzentrum organisiert werden, um gezielt mit allen Akteuren am Arbeitsmarkt in dieser Stadt die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Es laufen tolle Maßnahmen an unterschiedlichen Schulen, aber nie koordiniert. Keiner weiß genau, wo was wie läuft. Die Berufsorientierung muss fester Bestandteil aller Arbeitsmarktakteure dieser Stadt sein. Und darüber hinaus: Wir müssen selbstbewusster nach außen auftreten. Deutlich machen, dass wir hier tolle Ecken haben. Deutlich machen, dass wir tolle Firmen haben. Wir haben Masterflex, wir haben Gelsenwasser, wir haben Flachglas, wir haben Küppersbusch, auch wenn es da im Moment etwas kränkelt. Wir kämpfen gegen ein Klischee.
Wie kommt man denn gegen ein solches Klischee an? Die Stadt Gelsenkirchen hat ja das Image, in vielen Dingen das Schlusslicht zu sein?
Der Schlüssel zu allem ist eine vernünftige Wirtschaft vor Ort. Wir müssen mit allen Mitteln versuchen, weitere interessante Unternehmen hierhin zu holen und dürfen nicht vergessen, die interessanten Unternehmen, die wir haben, zu hofieren und zu pflegen. Das bedeutet Arbeitsplätze, das bedeutet weniger Arbeitslose, das bedeutet die Chance, den Imagewandel hinzubekommen. Ich möchte mehr Begeisterung, mehr Selbstbewusstsein und eine Wirtschaft, die stolz sagt: Ich produziere in Gelsenkirchen.
Wo läuft das, was Sie gerade angeprangert haben, besser?
In Düsseldorf.
Was kann Gelsenkirchen von Düsseldorf lernen?
Die Voraussetzungen sind natürlich verschieden. Das eine ist eine florierende Region, das andere ist eine arg gebeutelte Region – unabhängig von den Ursachen. Nehmen wir die Diskussion um den Sozialen Arbeitsmarkt. Diese Auseinandersetzung würde in Düsseldorf so nicht stattfinden. Da würden die Akteure am Arbeitsmarkt so eng miteinander arbeiten, dass da nicht ein Blatt Papier zwischen passt. Wie dort das Verhältnis zwischen Gewerkschaft, Wirtschaft und Stadt ist – das ist eine Traumsituation. Deshalb gibt es in Düsseldorf viele Projekte, die laufen. Es muss das Vertrauen der Akteure untereinander gegeben sein – und das haben wir hier noch nicht. Hier gibt es immer erst Bedenken. In Düsseldorf würde man sagen: Okay, können wir probieren. Klar, fällt man auch mal auf die Nase mit einem Projekt. Dann stellen wir es wieder ein. Aber hier fangen wir gar nicht erst an. So wie das Kompetenzzentrum zum Übergang Schule / Beruf. Da sagen mir Düsseldorfer: Sind die in Gelsenkirchen verrückt, das gar nicht zu versuchen?
Seit wann gibt es das Kompetenzzentrum in Düsseldorf?
Seit 2007. Und wenn ich mir seitdem die Jugendarbeitslosigkeitszahl in der Stadt angucke, ist diese signifikant gesunken. Solch ein Zentrum will ich für Gelsenkirchen auch. Da sind wir im Gespräch. Aber wir sind seit drei Jahren im Gespräch. Und ich verzweifele bald. Aber wir sind auf einem guten Weg. Der OB hat gesagt, wir kriegen das hin. Dann glaube ich das auch.
Sind Sie optimistisch, dass sich die Situation in Gelsenkirchen in den nächsten Jahren verbessern wird?
Ja, das glaube ich.