Schalke-Nord. Der Gelsenkirchener Steffen Schiegner von der „Blauweißen Fahrschule“ ist wütend über den Verfall der Schalker Meile. Wie Stadt und OB reagieren.

Traditionen wollen gehegt und gepflegt werden. Wenn Steffen Schiegner auf die Schalker Meile an der Kurt-Schumacher-Straße schaut, dann überkommt ihn die Wut. Der Inhaber der „Blauweißen Fahrschule“ nahe der Glückauf-Kampfbahn prangert in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) den Verfall des Viertels an und fordert ihn auf, „etwas gegen die unzumutbaren Zustände in unserem Stadtteil zu unternehmen“ – verbunden mit einer Einladung, sich diese einmal vor Ort uns anzusehen.

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In dem Schreiben beschwert sich Schiegner darüber, dass für ihn „als einer der größten Gewerbesteuer zahlenden Betriebe das Viertel immer unattraktiver“ werde. Ähnliches gelte für die Menschen vor Ort, die vielfach in verkommenen Gebäuden wohnten. Als Beispiel führt er das Gebäude an, in dem sein Betrieb an der Kurt-Schumacher-Straße 118 ansässig ist: der vierte Hausverwalter in vier Jahren, ausgebliebene Zahlungen für Gas und Wasser an die Versorger – den neun Parteien drohte, dass ihnen der Hahn abgedreht werden würde. „Was sind das für Zustände?“, fragt Schiegner, der davon berichtet, dass sich seine Firmenanwältin und der Versorger Gelsendienste die „Finger wund geschrieben“ hätten, damit der Immobilieneigentümer die unhaltbaren Zustände ändere. „Aber: Es gab nie eine Reaktion.“

Schiegner erwartet von Baranowski ein offenes Ohr

Steffen Schiegner, Inhaber der „Blauweißen Fahrschule“ an der Schalker Meile in Gelsenkirchen.
Steffen Schiegner, Inhaber der „Blauweißen Fahrschule“ an der Schalker Meile in Gelsenkirchen. © Foto: Fahrschule

Die Fahrschule habe es sich leisten können, einen neuen Gas-Zähler einbauen zu lassen und einen eigenen Vertrag mit dem Versorger auszuhandeln. „Der andere Zähler für die acht Mietparteien fehlt bis heute. Die Menschen leben ohne Gas und sind nicht einmal in der Lage, zu kochen“, beschwert sich der Unternehmer, der bei Gelsenwasser nicht nur die 1000 Euro Nachforderung bezahlt hat, sondern auch die monatlich anfallen Wasserkosten in Höhe von 260 Euro fürs gesamte Haus. „Gäbe es uns nicht, säßen die Mieter jetzt auch noch ohne Wasser da“, sagt Schiegner, der nach eigenen Angaben mit seinem Betrieb eine Million Euro Umsatz im Jahr macht und rund 80.000 Euro an Gewerbesteuer an die Stadt abführt.

„Was soll aus unserer Straße werden?“, fragt er im weiteren Verlauf des Briefs. „Hier ist unser Lebensmittelpunkt. Hier arbeiten, wohnen und leben wir. Was für weitere Gewerbetreibende soll denn diese Straße anlocken? Was für Mieter und was für Besucher?“

Schon der zweite offene Brief

Von Frank Baranowski erwartet der Fahrschul-Besitzer ein offenes Ohr. Es sei immerhin sein zweiter offener Brief an den OB. Der Verwahrlosung wegen spekulierender Immobilien-Investoren müsse Einhalt geboten werden. Dem Eigentümer des Hauses, eine Holding, wirft der Schalker vor, in den Immobilien „reine Abschreibungsobjekte zu sehen“, dazu die „Unterschlagung von Mietnebenkosten“, weil sie die offenen Posten bei den Versorgern mit den geleisteten Zahlungen nicht beglichen.

Als glühender Schalke-Fan möchte Steffen Schiegner nur zu gern im Stadtteil bleiben. „Wir“, und damit meint Schiegner sich und elf Angestellte, „sind jetzt nach nach fast sechs Jahren drauf und dran, den Stadtteil zu verlassen“, wenn sich nichts tut. Andere Geschäftsräume habe er sich schon angeschaut, aber weil schon sein Opa und sein Sohn hier geboren seien, gehöre er als Schalker Unternehmer genau hier hin – und nicht nach Ückendorf oder in die Altstadt. Er fordert von der Stadt, einen wirtschaftlichen Belebungsprozess einzuleiten. „Uns von der ,Blauweißen Fahrschule’ reicht es nicht, dass die Masten blau angestrichen sind und auf der Brücke Schalker Meile steht.“ Deshalb solle der OB Stellung beziehen, was er denn für den Stadtteil zu tun gedenke.

Offener Brief ist im Hans-Sachs-Haus angekommen

Wie wird Oberbürgermeister Frank Baranowski auf den offenen Brief reagieren?
Wie wird Oberbürgermeister Frank Baranowski auf den offenen Brief reagieren? © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Aus der Sicht des Oberbürgermeisters hätte es eines offenen Briefs aber nicht bedurft. Baranowski war am Samstag knapp zwei Stunden auf der Glückauf-Kampfbahn beim Nachbarschaftsfest „Meilenstein 2019“. Dort habe er mit vielen Akteuren aus dem Stadtteil gesprochen. „Schade“, sagt Baranowski, „dass die ,Blauweiße Fahrschule’ die Gelegenheit dort zum Gespräch nicht genutzt hat.“ Schiegner aber will einen separates Gespräch – „nicht auf einem Nachbarschaftsfest, wo wir nicht einmal eingeladen wurden“, heißt es mit Blick auf besagten „Meilenstein“ im offenen Brief. Wobei zur Wahrheit gehört: Eingeladen war zu diesem Nachbarschaftsfest jeder, der kommen wollte.

Nach eigenem Bekunden hat Baranowski in Gesprächen am Samstag angekündigt, dass die Stadt sich nach der Bochumer Straße in Ückendorf um Schalke-Nord und die Kurt-Schumacher-Straße kümmern will.

Stadt will Schalke-Nord in die IGA 2027 einbeziehen

Erste Überlegungen gebe es bereits im Rahmen der Pläne für die Schalker Meile durch die Stiftung Schalker Markt, an denen die Stadt beteiligt ist. Einzelne Immobilien entlang der Straße habe die Stadt auch im Auge. Eine der Ideen von Stadt und Stiftung sei es zu versuchen, im Rahmen der IGA 2027 auch Schalke-Nord einzubeziehen. Dazu würden ganz aktuell Gespräche mit der Bezirksregierung geführt.

„Dass in diesem Stadtteil Handlungsbedarf besteht, steht außer Zweifel“, sagt auch Stadtsprecher Martin Schulmann am Mittwoch zur WAZ. Maßgeblich den starken Verkehr und die damit verbundene Luftverschmutzung macht er für den unattraktiven Zustand verantwortlich. Daraus würden die hohen Leerstandsquoten resultieren. „Die kann man nicht einfach wegzaubern.“

Frühere Idee: Häuser an Schalker Meile zur Belüftung abreißen

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Schulmann weist darauf hin, dass die Stadtplaner die Lage in Schalke-Nord sehr wohl auf dem Schirm hätten. „Aber das ist alles auf eine lange Zeitschiene gesetzt.“ Er erinnert an Vorschläge aus vergangenen Tagen: „Es gab ja mal die Idee, Häuser an der Schalker Meile zur Belüftung abzureißen. Aber da waren die Stadtplaner nicht begeistert.“ Man würde das Problem nur um eine Reihe nach hinten verschieben – zudem ginge der zweiten Reihe so der Schallschutz verloren.

Schalke-Nords Attraktivität zu steigern, sei nicht mal eben zu machen. Schulmann zieht einen Vergleich zur Florastraße: „Da haben Sie annähernd so viel Verkehr wie an der Schalker Meile.“ Trotzdem seien Wohnungen dort beliebter, etwa wegen der nahen Anbindung zur City. „In Schalke-Nord haben Sie dagegen nur Industrie.“ Tiefgreifende Veränderungen würden ohne eine Aufnahme in ein neues Stadterneuerungsprogramm nicht zu stemmen sein. Baranowski: „Ob das gelingt, liegt aber nicht nur in der Verantwortung der Stadt.“

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