Gelsenkirchen-Buer. An der Westfälischen Hochschule fangen deutlich mehr Erstsemester an, als Absolventen abschließen. Ein Berater erklärt, woran viele scheitern.
Gerade erst haben die Abiturienten ihre Abschlusszeugnisse in Empfang genommen und das Ende ihrer Schulzeit gefeiert, da beginnt für sie schon der nächste Lebensabschnitt. Fast 80 Prozent von ihnen werden sich wohl für ein Studium entscheiden – so war es in den vergangenen Jahren auch. Und weil Ingenieure am Arbeitsmarkt nach wie vor stark nachgefragt sind, macht das naturwissenschaftlich-technische Fächer attraktiv: Über 900 Nachwuchsakademiker entschieden sich im vergangenen Jahr für die Westfälische Hochschule (WH), die am Gelsenkirchener Campus genau diese Studienbereiche abdeckt.
Eine Wahl, die einige von ihnen bereuen könnten: Jeder dritte Student in NRW bricht sein Studium vorzeitig ab, in den Fächern Informatik, Elektrotechnik und Bauingenieurswesen scheitert sogar knapp die Hälfte. Das zeigt eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Die Gelsenkirchener Fachhochschule bietet genau diese Studiengänge an und auch dort erreicht bei weitem nicht jeder Studienanfänger den Bachelor-Abschluss.
In Informatik gibt es nur wenige Absolventen
935 Studenten haben sich zum Wintersemester 2018/2019 für ein Bachelorstudium an der WH eingeschrieben. Gleichzeitig beendeten 414 ihr Studium mit dem ersten akademischen Grad. Obwohl die Zahl der Studienanfänger jedes Jahr variiert, lässt sich aus den Werten doch eines ableiten: Viele Studierende verlassen die Hochschule ohne Abschluss wieder.
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Vor allem in den Informatikstudiengängen war die Zahl der Absolventen 2018 deutlich niedriger als die der Anfänger: Für das Fach Wirtschaftsinformatik entschieden sich 89 Studenten, gleichzeitig nahmen nur zehn ihre Bachelorurkunde in Empfang. Aber auch bei den Elektrotechnikern gibt es viele vorzeitige Abgänge: 41 erreichten im vergangenen Jahr den Bachelor-Grad, drei und vier Jahre zuvor (das entspricht der Regelstudienzeit) hatte die WH je rund 100 Neueinschreibungen gezählt.
Hochschule kann Abbrecherzahlen nur schätzen
Wie viele Studenten sich tatsächlich komplett umorientieren, lässt sich trotzdem nur schätzen, wie WH-Sprecherin Barbara Laaser erklärt: „Häufig erfahren wir nach einer Exmatrikulation gar nicht die Gründe.“ Die hohe Differenz zwischen Anfängern und Absolventen beschäftigt die Hochschule dennoch. Auf ihrer Webseite gibt es einen eigenen Bereich für Studienzweifler.
Westfälische Hochschule berät Studienzweifler
Neben persönlichen Beratungsgesprächen bietet die Westfälische Hochschule auch Workshops für Studenten an, die Zweifel an ihrem Studium haben.
Dort können verunsicherte Studenten gemeinsam mit den Beratern überlegen, ob und wie sich die Probleme überwinden lassen oder eine Umorientierung sinnvoll ist. Weitere Informationen dazu finden Studenten unter www.w-hs.de/zweifel-am-studium.
Doch woran scheitert der akademische Nachwuchs? Martin Tagoe aus der Studienberatung am Hochschulstandort Gelsenkirchen hat regelmäßig mit Zweiflern zu tun. „Manche, die in die Beratung kommen, dachten, man müsse studieren, um etwas zu werden“, sagt er. Gerade im Ruhrgebiet, wo über die Hälfte der Studenten aus Nichtakademikerfamilien kommen, ist der Druck, den sozialen Aufstieg zu schaffen, groß: „Da spielt die Erwartung, es später besser zu haben als Mutter oder Vater, mit rein.“
Schulabgänger unterschätzen die Anforderungen
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Außerdem wüssten viele Schulabgänger nicht, welche Anforderungen sie in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen erwarten. „Wenn sie dann durch Klausuren fallen, sind sie enttäuscht und zweifeln an ihrer Studienwahl.“ Ein Problem, dass sich laut Tagoe auch auf Wirtschaftsstudiengänge übertragen lässt. Dort standen an der WH 2018 nach Angaben der Hochschule 227 Anfänger 115 Absolventen gegenüber. „Wirtschaft ist ein beliebtes Studienfach. Der ein oder andere wählt es, ohne geprüft zu haben, ob es zu den eigenen Fähigkeiten und Zielen passt“, sagt der Berater. Die Ernüchterung folge dann oft nach den ersten Prüfungen.
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In seinen Beratungen erklärt Tagoe Zweiflern, dass es keine Schande sei, sich umzuorientieren. Neben einem Fachwechsel könne auch der Wechsel in eine Berufsausbildung neue Perspektiven eröffnen. „Wir arbeiten unter anderem mit der Industrie- und Handelskammer zusammen“, sagt er. Dort gibt es spezielle Angebote für Studienaussteiger.
Allen Hochschulinteressenten, die gerade vor der Entscheidung stehen, wie es für sie weitergeht, rät Tagoe deshalb, sich umfassend zu informieren, um Enttäuschungen zu vermeiden.