Essen. Leistungsdruck und falsche Vorstellungen: In Ingenieurwissenschaften bleibt die Abbruchquote hoch. Bei Informatikern gibt fast die Hälfte auf.

Händeringend sucht das ganze Land gut ausgebildete Ingenieure. Dringend gebraucht werden Informatiker, Elektrotechniker, Maschinenbauer oder Bauingenieure.

Hoffnungen setzen Arbeitgeber auf die gut 206.000 angehenden Fachkräfte, die derzeit in NRW ein Fach in den Ingenieurwissenschaften studieren. Alleine an den Hochschulen im Ruhrgebiet sind es mit der Fernuni Hagen 77.640, das sind immerhin knapp 30 Prozent der rund 274.000 Studierenden in der Metropole Ruhr.

Mehr als ein Drittel bricht das Studium vorzeitig ab

Bis zum Bewerbungsschluss für das kommende Wintersemester am 15. Juli werden sich erneut Tausende für einen naturwissenschaftlichen Studiengang einschreiben. Doch offenbar unterschätzen viele Studienanfänger die Anforderungen des Studiums. Laut der Studie des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) brechen mehr als ein Drittel ihr Studium vorzeitig ab.

Demnach gaben im Maschinenbau an Universitäten, der zahlenmäßig stärksten ingenieurwissenschaftlichen Disziplin, 34 Prozent der Studierenden ihr Bachelor-Studium vorzeitig auf. In der nachgefragten Informatik waren es mit 46 Prozent fast die Hälfte. Ähnlich hoch (44%) war die Quote in der Elektrotechnik. Bei den Bauingenieuren waren es 42 Prozent. Christopher Onkelbach sprach mit Ulrich Heublein, Wissenschaftler am DZHW und Autor der Erhebung, über die Gründe für die auch weiterhin hohe Zahl von Studienabbrüchen.

Dr. Ulrich Heublein erforscht am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung die Ursachen für Studienabbrüche.
Dr. Ulrich Heublein erforscht am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung die Ursachen für Studienabbrüche. © Foto: DZHW

Herr Heublein, waren die Zahlen auch im letzten Semester wieder ähnlich?

Ulrich Heublein: Bei der Berechnung von Studienabbruchquoten kann es keine aktuellen Zahlen geben. Die Studienanfänger eines Jahrgangs müssen ja erst einige Zeit studiert haben, um eine Aussage über die Abbruchquoten treffen zu können. Unsere aktuellsten Zahlen beziehen sich den Absolventenjahrgang 2016. Wir machen diese Analysen seit über 15 Jahren und stellen in den letzten Jahren eine relativ hohe Kontinuität fest. Ich erwarte daher keine gravierenden Veränderungen.

Wie kommen Sie auf die Quoten?

Die Studienabbruchquote gibt an, wie viele Studienanfänger eines oder mehrerer Jahrgänge das deutsche Hochschulsystem ohne Abschluss komplett verlassen haben. Wenn also 46 Prozent der Informatiker ihr Studium abbrechen, bedeutet dies, dass von 100 Leuten, die das Studium begonnen haben, nur 54 ihren Bachelor-Abschluss gemacht haben.

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Welche Gründe sehen Sie für den Studienabbruch?

Mit dem Berechnungsverfahren können wir keine Ursachen erkennen. Diese ermitteln wir über Befragungen. Danach ist der Studienabbruch in den Ingenieurwissenschaften sehr stark durch Leistungsprobleme bestimmt. Vor allem ungenügende Studienvorbereitungen und damit zusammenhängend Leistungsüberforderungen führen zu Abbrüchen.

Welche Gründe gibt es außerdem?

Nachlassendes Fachinteresse oder die Erkenntnis, dass man doch lieber etwas Praktisches machen möchte. Krankheit oder finanzielle Probleme können auch eine Ursache sein.

Warum sind die Quoten gerade in den Ingenieurwissenschaften so hoch?

Diese Fächer haben zwei Probleme. Viele Studierende bemerken beim Studienstart Defizite, vor allem in Mathematik. Zudem haben sie oft falsche Vorstellungen von den Inhalten. Informatik bedeutet eben nicht Web-Sites zu erstellen, sondern ist zunächst ein hartes Studium mathematischer und naturwissenschaftlicher Grundlagen.

Und das zweite Problem?

Das liegt in der Lehrkultur der Fächer. In den MINT-Fächern – also aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – werden schon in den ersten Semestern sehr hohe Anforderungen gestellt. Das bedeutet: scharfe Selektion schon in der ersten Studienphase.

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Wird also zu früh ausgesiebt?

In den naturwissenschaftlich-technischen Fächern werden anders als etwa in den Sozial- oder Erziehungswissenschaften direkt zu Beginn hochanspruchsvolle Anforderungen gestellt. Das bricht manchem Studienanfänger, der sich erst einmal an der Uni orientieren muss und Defizite aufzuholen hat, das Genick.

Fallen dadurch Talente durchs Rost?

So wie die Situation ist, wirkt sie hochgradig selektiv. Es ist wahrscheinlich, dass Studierende verloren gehen, die eigentlich die Fähigkeiten hätten, wenn sie Zeit für die Orientierung und das Aufholen von Defiziten bekommen würden. Wer die fachlichen Studienvoraussetzungen besitzt und genügend Motivation hat, dem muss ein Studienerfolg ermöglicht werden.

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Viele sehen in einem Abbruch eine persönliche Niederlage...

Ein Studienabbruch ist kein Drama. Jeder sollte die Chance haben, sich neu zu orientieren. Entweder durch ein anderes Studium oder eine Berufsausbildung.

Streben zu viele junge Leute an die Hochschulen?

Strategien für den Studienerfolg

Psychologen der Ruhr-Uni Bochum erforschen die Gründe für den häufigen Studienabbruch in den Ingenieurwissenschaften. Prof. Joachim Wirth und Julia Weber wollen herausfinden, welche Faktoren den Studienerfolg beeinflussen. Die Psychologen fanden heraus, dass es eine wesentliche Voraussetzung für den Lernerfolg ist, bestimmte Strategien anzuwenden und umzusetzen.

Dazu zählen die Gestaltung der Lernumgebung, gutes Zeitmanagement, Motivation zu lernen, die Möglichkeit, bei Problemen Hilfe zu suchen sowie die Bereitschaft, Anstrengungen durchzustehen. „Diese Strategien sind erlernbar“, so Wirth. Sie seien eine Stellschraube, „an der man in relativ kurzer Zeit drehen kann“.

Wer diese Strategien beherrsche, erziele bessere Studienleistungen. Bei ihren Tests zeigte sich, dass Studierende des Bauingenieurwesens beim Einsatz dieser Lernstrategien signifikant schlechter abschnitten als Studierende der Geisteswissenschaften. Die Gründe dafür erforderten weitere Forschungen.

Man darf nicht verkennen, dass die Entwicklung von Bildung gesellschaftlichen Prozessen folgt. Die Anforderungen der Arbeitswelt sind komplexer geworden, qualifizierte Tätigkeiten werden mehr und mehr gefragt. Und so lange der Arbeitsmarkt Hochschulabsolventen aufnimmt, steigt der Bedarf an Akademikern.

Sie sehen also keinen „Akademisierungswahn“?

Diese Debatte ist müßig. Die Digitalisierung wird diesen Prozess eher noch beschleunigen.